Neueste Erkenntnisse und klinische Anwendungen der Lipidtherapie

Die Dyslipidämie stellt einen besonders kritischen Risikofaktor für die Entwicklung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der führenden Todesursache weltweit, dar.
Es besteht nicht nur ein Zusammenhang zwischen kumulativer lebenslanger Cholesterinbelastung und dem kardiovaskulären (CV-)Risiko, es konnte umgekehrt auch eine relevante CV-Risikoreduktion durch eine effiziente Cholesterinsenkung bewiesen werden. Basierend auf dem für Cholesterin gültigen Prinzip „lower is better for longer – even at low risk“, wird eine Bestimmung des Lipidstatus inklusive kardiovaskulären Risikoscreenings auch bei gesunden Menschen frühzeitig empfohlen. Diese Empfehlung gilt für gesunde Männer spätestens ab dem 40. und Frauen ab dem 50. Lebensjahr. Die einmalige Bestimmung der Lipoprotein(a)-(Lp[a]-)Konzentration ist ein wichtiger Bestandteil für eine umfassende Risikoabschätzung. Eine Nüchternblutabnahme zur Erstellung des Lipidprofils ist nur in Ausnahmefällen bei sehr hohen TG notwendig.

Risikostratifizierung und Cholesterin-Zielwerte

Die aktuellen Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie geben einen Fahrplan zur Berechnung des individuellen CV-Risikos und der sich daraus ergebenden Cholesterin-Therapieziele vor. Hierbei steht die Senkung des Low-Density-Lipoprotein-Cholesterins (LDL-C) im Zentrum des Lipidmanagements.

Alle Patient:innen mit manifester atherosklerotischer Erkrankung gehören zur kardiovaskulären Höchstrisiko-Population. Bereits der Nachweis signifikanter atherosklerotischer Plaques im Karotis-Duplex oder in der Koronar-CT-Angiografie sind ausreichend. Hier sollte neben einem LDL-C-Zielwert von unter 55 mg/dl zusätzlich auch eine Absenkung des LDL-C-Ausgangswertes um zumindest 50 % angestrebt werden.

Die Patient:innen mit einem besonders ausgeprägten CV-Risikofaktor wie beispielsweise LDL > 190 mg/dl, Lipoprotein(a) > 180 mg/dl (>430 nmol/l) oder einem Blutdruck > 180/110 mmHg haben hohes CV-Risiko und damit ein definiertes LDL-C-Therapieziel von unter 70 mg/dl. Patient:innen mit Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz sind je nach Ausprägung einer der beiden Risiko-Kategorien zuzuordnen. Für alle anderen Patient:innen sollten die SCORE2-Tabellen zur Berechnung des CV-Risikos in der Primärprävention verwendet werden.

Therapeutische Strategien

Auch wenn Lebensstilmodifikationen bestehend aus mediterraner Diät und körperlicher Aktivität nur einen limitierten Effekt auf das Cholesterinprofil haben, so sollten diese Maßnahmen stets die Basis einer jeden weiterführenden Therapie bilden. An medikamentösen Therapien stehen neben den etablierten Statinen und Ezetimib mit der Bempedoinsäure, den PCSK9-Hemmern und Inclisiran auch weitere potente Therapien zur Verfügung. Nachdem das Ausgangs-LDL-C je nach Therapiekombination um bis zu 85 % abgesenkt werden kann, sollte bei einer Vielzahl der Patient:innen ein Erreichen der LDL-C Zielwerte möglich sein. In der klinischen Realität erreichen dennoch circa zwei Drittel der Patient:innen ihre LDL-C Ziele nicht.

Lipidtherapie bei speziellen Patientengruppen

Statin-Intoleranz

Die geschätzte Prävalenz der Statin-Intoleranz oder statinassoziierten Muskelschmerzen liegt zwischen 5 % und 10 % und reicht von leichter Schwäche, Krämpfen und Muskelschmerzen bis hin zu der sehr seltenen und schweren Rhabdomyolyse. Bei Vorliegen einer Statin-Intoleranz sollte nach kritischem Hinterfragen der Unverträglichkeit (SAMS Clinical Index) je nach CV-Risiko auf eine Bempedoinsäure oder gleich auf hochpotente subkutan zu applizierende PCSK9-Hemmer oder Inclisiran umgestellt werden.

Familiäre Hyperlipidämie

Bei Patient:innen mit einem LDL-C über 190 mg/dl und einer positiven Familienanamnese sollte eine heterozygote familiäre Hypercholesterinämie (FH) in Betracht gezogen werden. FH ist die häufigste monogenetische Erbkrankheit mit einem deutlich erhöhten CV-Risiko (1 : 200 bis 1 : 500). Patient:innen mit FH haben einen LDL-C-Mindestzielwert von weniger als 70 mg/dl und sollten an ein spezialisiertes Zentrum überwiesen werden. Dort sollte unbedingt ein Familienscreening erfolgen.

Lipoprotein(a)-Erhöhung

Der Lp(a)-Spiegel ist genetisch bedingt und kann derzeit weder durch Lebensstilmodifikation noch durch zugelassene Medikamente relevant gesenkt werden. Weltweit haben vermutlich 20 % der Menschen erhöhte Lp(a)-Werte. Ein Wert über 50 mg/dl (125 nmol/l) ist bereits mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert. Bei stark erhöhten Lp(a)-Werten über 180 mg/dl (430 nmol/l) wird empfohlen, diese Patient:innen ähnlich wie Patient:innen mit familiärer Hypercholesterinämie (FH) zu behandeln. Da derzeit keine Medikation zur Lp(a)-Senkung zugelassen ist, wird bei diesen Patient:innen versucht, das CV-Risiko durch intensive LDL-C-Senkung und strenge Behandlung anderer CV-Risikofaktoren zu reduzieren. Bei autosomal dominanter Weitergabe ist ein Lp(a)-Screening bei Verwandten 1. und 2. Grades zu empfehlen. Derzeit laufen vielversprechende Phase-III-Studien mit Antisense-Oligonukleotid-Therapien, die Lp(a) im Mittel um ca. 80 % absenken können.