Nur zu viel des Guten?

Als viszerale Organe sind Magen und Darm vom vegetativen Nervensystem innerviert und haben anstelle von Nozizeptoren organspezifische niedrig- und hochschwellige Rezeptorsysteme, die je nach Reizintensität aktiviert werden. Viszerale Signale setzten im Rückenmark Reflexsysteme in Gang, die im Zusammenspiel mit dem enterischen Nervensystem Funktionen wie die Motilität regulieren. Ein Teil der Signale wird im Hirnstamm registriert, der für die Regulation, Koordination und Modulation essenzieller Lebensfunktionen zuständig ist, der Großteil wird aber nicht an das Großhirn weitergeleitet. Erst hochschwellige Reize wie etwa starke Dehnung bzw. Schmerzreize gelangen organunspezifisch in höhere Hirnareale, den sekundären somatosensorischen Kortex und den Inselkortex. Dort bilden sich über verschiedene Kommunikationswege enge Verbindungen zwischen dem vegetativen Nervensystem, dem Hormonsystem und dem Immunsystem zurück zum enterischen Nervensystem, wodurch sich die komplexen biologischen und psychologischen Einflüsse auf Störungen der Magen-Darm-Funktion erklären lassen.

„Zu viel des Guten“

Im einfachsten Fall liegt einem sporadischen Völlegefühl, das innerhalb von 24 Stunden nach einer üppigen Mahlzeit auftritt, eine Magenüberladung mit folgender Dysbalance der Magen-Darm-Tätigkeit zugrunde. Magendrücken deutet aber nicht zwingend auf das Ausreizen des Fassungsvermögens (durchschnittlich 1,5 l) hin, vor allem, da eine normale Dehnung des Magens die Magenleerung fördern würde. In vielen Fällen ergibt sich bei zu großen oder fetthaltigen Mahlzeiten ein relativer Mangel an Magensaft, Gallensäuren und Lipase, wodurch die Fettverdauung verzögert wird. Übermäßig fetthaltiger Chymus hemmt allerdings die Magenleerung und wird nur verzögert weiterbefördert. Bei vielen Patient:innen kommt noch ein „träger Darm“ hinzu, wenn etwa durch ballaststoffarme Kost und Bewegungsmangel die Peristaltik verlangsamt und die Motilität beeinträchtigt ist.

„Luft im Bauch“

In diesem Fall können auch übermäßige Gasansammlungen nicht mehr gut abtransportiert werden (Meteorismus). In normaler Menge werden Gase durch den Gasaustausch zwischen Darmlumen und Kapillaren dem Blutkreislauf zugeführt und abgeatmet oder über den Anus ausgeschieden. Sie entstehen hauptsächlich durch Aerophagie – etwa bei zu hastigem Essen – und bei der Verwertung von Nahrungsbestandteilen im Darm. Art und Menge der Gasbildung können durch die Wahl der Lebensmittel und das individuelle Darmmikrobiom beeinflusst werden. So können ein ungewohnt hoher Ballaststoffanteil, Hülsenfrüchte und kohlensäurehaltige Getränke die Gasbildung fördern. Viele Betroffene vertragen Lebensmittel, die verstärkt fermentierbare Oligosaccharide, Disaccharide, Monosaccharide und Polyole (FODMAP) enthalten, schlecht. Diese können aufgrund fehlender Enzyme in den oberen Darmabschnitten nicht verdaut werden und führen durch die bakterielle Zersetzung im Kolon zu vermehrter Gasbildung. Dieselben Mechanismen kommen bei Blähungen durch Zuckerersatzstoffe (Sorbit) und Medikamente (Antibiotika, NSAR, Antidiabetika wie Metformin und Acarbose) zu tragen, darüber hinaus wirken Abführmittel und Lipasehemmer begünstigend.

Hormonelle Einflüsse und eine mikrobielle Fehlbesiedelung des Dünndarms können ebenfalls Meteorismus verursachen: Imbalancen im Östrogen-Progesteron-Haushalt in der Schwangerschaft und (Prä-)Menopause beeinträchtigen die Darmperistaltik. Motilitätsstörungen gelten – neben weiteren Faktoren – wiederum als Risikofaktoren für eine Überwucherung des Dünndarms mit Bakterien aus dem Dickdarm bzw. pathogenen Keimen, die sich dort an der Verdauung beteiligen und durch Fehlgärungen etwa Schwefelwasserstoff, Kohlendioxid oder Methan bilden (SIBO = Small intestinal bacterial Overgrowth).

Stress

Auch von chronischem Stress und psychischen Belastungen weiß man, dass sie mit Meteorismus in Verbindung stehen können. Im Tierversuch und teilweise auch am Menschen konnten Verzögerung der Magenentleerung, Beschleunigung der Dünn- und Dickdarmpassage, Stimulation der Säuresekretion und Minderdurchblutung der Mukosa gezeigt werden, die hauptsächlich durch CRH (Corticotropin-releasing-Hormon) vermittelt wurden. Darüber hinaus bestehen komplexe Wechselwirkungen zwischen Stressmediatoren und der Darmmikrobiota (Mikrobiota-Darm-Hirn-Achse).

Krankheitswert

Im Rahmen einer funktionellen Bauchblähung kann Meteorismus sogar als krankhaft gelten. Laut den Rom-IV-Kriterien, die formuliert wurden, um funktionelle gastrointestinale Störungen (FGID) zu diagnostizieren, reichen die Symptome von Völlegefühl oder Druck im Bauchraum bis hin zu einer sichtbaren Zunahme des Bauchumfanges (abdominelle Distension). Häufig treten Blähungen allerdings auch als Symptom einer schwerwiegenderen Grunderkrankung auf (Reizdarmsyndrom, Morbus Crohn, Pankreasinsuffizienz, chronische atrophische Gastritis, Hepatitis, Leberzirrhose, kolorektales Karzinom) und generell bei Erkrankungen mit einem Mangel an proteolytischen oder lipolytischen Enzymen.

Hilfe aus dem OTC-Sortiment

Leichte dyspeptische Beschwerden sind allerdings ein klassisches Einsatzgebiet für die Selbstmedikation. Pflanzliche Karminativa (Anis, Fenchel, Pfefferminze, Kamille etc.), Amara (Wermutkraut, Angelikawurzel, Tausendgüldenkraut, Enzianwurzel etc.) und Scharfstoffdrogen (Senfsamen, Galgant, Ingwer etc.) wirken entblähend, spasmolytisch und durch Anregung der Magensaft- und Gallenproduktion sowie der Darmmotilität verdauungsfördernd. Bei übermäßigen Gasansammlungen helfen nichtresorbierbare Silikonöle (Dimeticon, Simeticon), welche die Oberflächenspannung von Gasblasen herabsetzen und die Gase leichter resorbierbar machen. Spasmolytika wie Butylscopolamin werden bei begleitenden krampfartigen Beschwerden eingesetzt. Enzympräparate mit entsprechendem Lipase-Gehalt können zur Verbesserung der Verträglichkeit fettreicher Speisen und Probiotika zur Unterstützung des Darmmikrobioms versucht werden.