Relikt oder Notwendigkeit? – Wesentliche Aspekte in der magistralen Arzneimittelherstellung durch Apotheker

Konsensuale Problemlösung

Der Therapiefreiheit des Arztes steht das strafbewehrte Verbot gegenüber, als Apotheker bedenkliche Arzneimittel in Verkehr zu bringen! Juristisch gilt der Apotheker als letzte und entscheidende Instanz bei der Inverkehrbringung von (magistralen) Arzneimitteln. Er haftet nach dem Allgemeinen Bürger­lichen Gesetzbuch unbeschränkt für seine Handlungen und ist daher verpflichtet, die Dosierung, die pharmazeutische Qualität aller Bestandteile (Ausschluss von bedenklichen oder obsoleten Rezepturbestandteilen) und die chemisch-physikalische und mikrobielle Haltbarkeit im Anwendungszeitraum zu beurteilen. Die Haftung bleibt aufrecht, selbst wenn er den Arzt über die Bedenklichkeit der Rezeptur informiert. An seiner Letztverantwortung ändert das nichts. Es muss daher ein Abstimmungsprozess zwischen Arzt und Apotheker erfolgen, in dessen Rahmen medizinische und pharmazeutische Not­wendigkeiten gegenseitig abgestimmt werden können. Nur wenige Ärzte kennen z. B. die Standardrezepturen im Rahmen des „Neuen Rezeptur Formulariums“ (NRF), ein Bestandteil des Deutschen Arzneimittelcodex (DAC). Die NRF-Standardrezepturen werden regelmäßig auf Aktualität geprüft und sind daher wissenschaftlich am letzten Stand. Wenn Ärzte statt­dessen frei komponierte magistrale Zubereitungen einsetzen, kann dies mit Nachteilen verbunden sein.


Die Bedeutung der Arzneiform

Dermatologen ist die Bedeutung der Grundlage für das Abgabeverhalten gut bekannt. Je nach Wirkstoff wird eine hydrophile oder lipophile Grundlage eingesetzt. Bei oralen Arzneiformen besteht hingegen die Tendenz, Dragees, Kapseln, Tabletten, Manteltabletten oder Retardformen usw. in einen Topf zu werfen und vor dem Hintergrund der Generikawelle als austauschbar zu betrachten. Das mag zwar praktisch sein, der Gebrauchswert für den Patienten kann sich jedoch verringern. Denken Sie an teilbare Tabletten und Rheumapatienten mit eingeschränkter Griffstärke. Eine leicht teilbare Tablette durch eine schwer teilbare zu ersetzen kann ggf. den Therapieerfolg in Frage stellen!
Die pharmazeutisch-technologischen Gegebenheiten in der Apotheke beschränken die Auswahl der oralen Arzneiformen ausschließlich auf Tropfen, Säfte und Kapseln mit nicht ver­zögerter Wirkstoffabgabe! Eine zugelassene Spezialität in Retardform durch eine magistral rasch freisetzende ersetzen zu wollen wird nur in seltenen Fällen gelingen. Zu unterschiedlich sind die Blutspiegelverläufe, und zu groß ist das Risiko von unerwünschten Wirkungen bei fraglicher Wirksamkeit.


Paradebeispiel „Fampridin“

4-Aminopyridin kommt schon seit Jahren bei neurologischen Erkrankungen als magistral zubereitetes Kapselpräparat zum Einsatz.1 Es hat allerdings in dieser Form den Nachteil einer nur kurzen Halbwertszeit und plasma­spitzenbedingter Nebenwirkungen1, wie Krampfanfälle, Schlaflosigkeit, Angst, Gleich­gewichtsstörungen, Schwindelgefühl, Parästhesien, Tremor, Kopfschmerzen und Asthenie2. Eine zur Verbesserung der Gehfähigkeit von erwachsenen Patienten mit multipler ­Sklerose (MS) mit Gehbehinderung (EDSS 4–7) zugelassene retardierte Spezialität in Tablettenform (Fampyra® 10 mg ­Retardtabletten) wurde entwickelt, um den raschen Anstieg der Plasmakonzentration, wie er bei der Verabreichung einer Fampridin Immediate-Release-(IR-)Kapsel beobachtet werden kann, zu reduzieren.1 Die Fampyra ® 10-mg-Retardtabletten weisen eine Hydrokolloidmatrix auf.
Einzelne Kassen lehnen die Verordnung von Fampyra® ab und verweisen auf die billigere magistrale Herstellung. Leider kann der Apotheker kein Retard-Präparat herstellen. Erschwerend kommt hinzu, dass für 4-Aminopyridin eine Arzneibuchvorschrift fehlt und daher fremde Analysenzertifikate akzeptiert oder ein Kontrolllabor mit der Überprüfung beauftragt werden müssten.

Eine bemerkenswerte EU-Resolution CM/ResAP (2011)1 regelt die Qualitäts- und Sicherheitserfordernisse von magistral hergestellten Produkten und enthält den bemerkenswerten Absatz 3.2. „added value and responsibility of health care professionals. A pharmacist should be able to refuse a prescription for a pharmacy preparation. If a suitable pharmaceutical equivalent is available on the national market, inform the physician and discuss with him, if there is a special need to dispense a pharmacy preparation.” (https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=1734101&Site=CM)


1 Cornblath DR et al., Clin Ther 2012; 34:1056–1069

2 Husseini L et al., Nervenarzt 2010; 81:203–211

Berufliche Verpflichtungen für den Apotheker
Am Beginn der Beurteilung einer Rezeptur wird die Wirkstoffqualität und die Herstellbarkeit der Arzneiform stehen:
  • Gibt es die rezeptierten Substanzen in Arzneibuchqualität überhaupt?
  • Fällt die pharmakologische und toxikologische Nutzen-Risiko-Bilanz positiv aus?
  • Ist der Wirkstoff in der gewünschten Anwendungsform und Stärke schon als Fertigpräparat vorhanden?
  • Welche Arzneiform wird gewünscht? Sterile Parenteralia und konservansfreie Ophthalmologika lassen sich apothekenüblich nur schwer produzieren. Ist die Laufzeit ausreichend? Bei Topika und Augentropfen wird von 4 Wochen auszugehen sein.
  • Bei hoch wirksamen Substanzen (< 25 mg/Einzeldosis) sieht das Europäische Arzneibuch eine Gehaltsbestimmung als ­Endkon­trolle vor! Ist sie im Apothekenlabor realisierbar? Magistral wird gewöhnlich die Qualität durch den Herstellvorgang gesichert. Reicht das bei sensiblen Wirkstoffen aus?
  • Ist der Arbeitskontakt mit dem Wirkstoff für das Personal unbedenklich?
  • Und zuletzt: Für die verwendeten Rezepturbestandteile und ihre Qualität müssen rückverfolgbare Aufzeichnungen erstellt und ­­5 Jahre lang aufbewahrt werden.