RSV, das respiratorische Synzytial-Virus, war Kinderärzt:innen und Eltern schon länger bekannt, aber spätestens seit der Erkältungssaison 2022/23 ist es auch einer breiteren Öffentlichkeit ein Begriff. In dieser Saison trafen erstmals RSV, SARS-CoV-2 und das Influenza-Virus gleichzeitig ohne pandemiebedingte Einschränkungen auf die Bevölkerung. Dies hatte für RSV einen gewissen Aufholeffekt zur Folge, da sich bis dahin stärkere und schwächere RSV-Saisonen von Jahr zu Jahr abwechselten. So begann die RSV-Welle meist Mitte November und dauerte etwa 20 Wochen. Die RSV-Saison 2020/21, die laut diesem Muster wieder stärker geworden wäre, fiel aufgrund der diversen Maßnahmen zur Einschränkung der COVID-19-Pandemie jedoch völlig aus. Da damit die Geburtenkohorte eines ganzen Jahrgangs nicht in Kontakt mit RSV kam, war die folgende Saison 2021/22 sehr stark und begann zudem über 10 Wochen früher als üblich. Durch den Lockdown Ende November 2021 wurde diese Saison jedoch abrupt beendet. Die RSV-Welle 2022/23 begann schließlich ebenfalls etwas früher als im langjährigen Mittel und fiel in ganz Europa massiv aus, wodurch es zu den auch in der Öffentlichkeit diskutierten Folgen wie Spitalsüberlastungen, Medikamentenmangel etc. kam.
Speziell bei älteren Personen ist eine rein klinische Unterscheidung von RSV und anderen Viren wie Influenza oder SARS-CoV-2 kaum möglich, da sich die Symptome ähneln. Etwa 2–3 Tage nach der Ansteckung kommt es zu den ersten Symptomen wie Husten, Halsschmerzen, Kurzatmigkeit und Fieber. Auch die vulnerablen Bevölkerungsgruppen sind ähnlich. Besonders bei Menschen mit Vorerkrankungen kann es durch eine RSV-Infektion zu vermehrten Exazerbationen bei Asthma oder COPD bzw. einer Destabilisierung von bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen kommen. Asthma und COPD verschlechtern sich durch RSV tendenziell sogar mehr als durch Influenza. Eine an RSV erkrankte Person ist etwa 8 Tage ansteckend, geschwächte Personen auch länger. Nach 7–10 Tagen nehmen die Beschwerden wieder ab. Patient:innen mit einem schweren Verlauf müssen häufig stationär aufgenommen und dort im Schnitt 12 Tage lang behandelt werden. Der Anteil der hospitalisierten Personen, die auf die Intensivstation gebracht werden müssen oder versterben, ist sogar um 40–60 % höher als bei Influenza.
Mehrfachinfektionen mit unterschiedlichen Viren sind möglich und führen in der Regel zu einer noch höheren Krankheitslast für die Betroffenen, was die Prognose entsprechend verschlechtert. In der Saison 2022/23 wiesen 26 % der eingesendeten Proben von Personen im Alter von 0 bis 20 Jahren eine Doppel- oder Mehrfachinfektion auf. Seit einigen Jahren gibt es Point-of-Care-Tests, die hauptsächlich zum Testen von Influenza verwendet wurden, aber zusätzlich RSV nachweisen können. Mittlerweile stehen auch sogenannte Triple-Rule-outs zur Verfügung, mit denen COVID-19, Influenza und RSV bestimmt oder ausgeschlossen werden können. Bei Kindern kann man RSV aufgrund der hohen Viruslast bei der Erstinfektion relativ leicht mittels Schnelltests diagnostizieren. Bei Erwachsenen ist das nicht der Fall, da bei ihnen die Viruslast deutlich geringer ist. Im Spital erfolgt der Nachweis meist mittels PCR.
RSV ist die häufigste Ursache von Infektionen der unteren Atemwege bei Kleinkindern. Schätzungen aus dem Jahr 2019 zeigen, dass weltweit bei Kindern unter 5 Jahren 33 Millionen RSV-bedingte akute Infektionen der unteren Atemwege auftraten. Diese führten zu 3,6 Millionen Hospitalisierungen und 26.300 Todesfällen im Krankenhaus sowie insgesamt mehr als 100.000 RSV-assoziierten Todesfällen. Noch dramatischer sind die Zahlen, wenn man nur Kinder unter 6 Monaten betrachtet: Hier kam es zu 6,6 Millionen akuten Infektionen der unteren Atemwege mit 1,4 Millionen Hospitalisierungen, 13.300 intramuralen Todesfällen und 45.700 RSV-assoziierten Todesfällen insgesamt. 2 % der Todesfälle bei Kindern unter 5 Jahren sind auf RSV zurückzuführen, bei Kindern im Alter zwischen 28 Tagen und 6 Monaten sogar 3,6 %. Umgerechnet auf Österreich ist daher von 54.600 im ersten Lebensjahr mit RSV infizierten Kindern, 11.000–22.000 Infektionen der unteren Atemwege und 1.100 mit obstruktiver Bronchitis hospitalisierten Kindern auszugehen.
Bei älteren Personen gehen Schätzungen für das Jahr 2015 von 1,5 Millionen schweren Atemwegsinfektionen aufgrund von RSV bei Personen über 65 in Industrienationen aus. 14,5 % davon sind hospitalisierungspflichtig. Weltweit dürfte es etwa 336.000 RSV-bedingte Hospitalisierungen und 14.000 Todesfälle in dieser Altersgruppe gegeben haben.
2023 wurden die ersten Impfstoffe gegen RSV zugelassen und kurz darauf auch in die Empfehlungen des Nationalen Impfgremiums übernommen. Diese Empfehlungen gelten für Personen über 60 Jahre, aber auch für Personen mit schweren Grunderkrankungen ab 18 Jahren. Für Neugeborene gibt es mit Palivizumab (Synagis®) bereits seit vielen Jahren eine passive Immunisierung in Form von monoklonalen Antikörpern, die allerdings nur für Risikosäuglinge zur Verfügung steht und die in der RSV-Saison einmal monatlich verabreicht werden muss. Nirsevimab (Beyfortus®) ist eine passive Immunisierung für alle Kinder in ihrer ersten RSV-Saison, die nur noch einmal pro Saison notwendig ist. Diese ist seit 2023 zugelassen, wird aber erst nächstes Jahr in Österreich zur Verfügung stehen. Eine weitere Schutzmöglichkeit ist die Impfung werdender Mütter, die sich in der Schwangerschaft impfen lassen können, um durch die Weitergabe der mütterlichen Antikörper gegen RSV das Neugeborene zu schützen. Die mütterliche Impfung mit dem bivalenten, proteinbasierten Totimpfstoff Abrysvo® wurde Ende August 2023 von der EMA zugelassen. Zusätzlich ist der Impfstoff zur aktiven Immunisierung von Personen ab 60 Jahren zugelassen. Ebenfalls seit 2023 gibt es für Erwachsene über 60 Jahre mit Arexvy® außerdem einen monovalenten proteinbasierten Totimpfstoff, also ebenfalls eine klassische aktive Immunisierung.
Idealerweise werden diese Impfstoffe vor Beginn der RSV-Saison im September/Oktober verabreicht. Die Influenza-Impfung sollte jährlich aufgefrischt werden und wird etwas später, im Oktober/November, durchgeführt.
Die außergewöhnlich starke RSV-Saison 2022/23 und die im Zuge der COVID-19-Pandemie verbesserten Nachweismöglichkeiten zeigten, dass RSV nicht nur für Säuglinge, sondern auch für Menschen mit Grunderkrankungen oder im höheren Alter ein nicht zu unterschätzendes Gesundheitsrisiko darstellt. 2023 wurden neue Impfmöglichkeiten zur passiven und aktiven Immunisierung von Säuglingen und Erwachsenen zugelassen.