Schnupfenzeit und Grippewelle Ursachen für saisonale Ausbrüche

Eine Viertel- bis halbe Million Menschen erkrankt jährlich weltweit an Influenza, jedoch nicht überall und auch nicht alle zur selben Zeit. Die Theorien zu den zugrunde liegenden Mechanismen für das saisonale Auftreten von endemischen Infektionskrankheiten sind zahlreich.
Auf der Nord- und Südhalbkugel tritt die Influenzasaison jeweils in den kühlen Wintermonaten auf. Niedrige Temperaturen, trockene Innenraumluft und wenig Sonnenlicht – so vermutete man – sind die Voraussetzungen für den Ausbruch der jährlichen Influenzaendemien. Bis bekannt wurde, dass auch in den Tropen Influenzaepidemien auftreten, wo es nur selten an Sonne mangelt und die Luftfeuchtigkeit sowie die Temperatur über das Jahr kaum schwanken. Paradoxerweise häufen sich die Influenzafälle vorwiegend zur Regenzeit, was im Widerspruch zur trockenen Luft als Auslöser steht. In Singapur kommt es sogar zu zwei Influenzahöhepunkten im Jahr: Dezember/Jänner und Juni/Juli. Es ist naheliegend, dass saisonale Infektionsraten mit sich über das Jahr verändernden Umweltbedingungen assoziiert sind. Neben dem Klima gibt es jedoch noch weitere Faktoren, die sich auf die Verbreitung und den Ausbruch von viralen Infektionskrankheiten auswirken können. In ihrem Review haben Tamerius et al. die gesammelte Evidenz für mögliche Ursachen der saisonalen Häufung zusammengetragen.1

Räumliche Nähe

Sinkende Außentemperaturen verleiten uns Menschen zu einem verstärkten und damit beengteren Aufenthalt in Gebäuden oder Transportmitteln. Es gibt Hinweise aus der Forschung, dass dieser engere Kontakt in den Wintermonaten die Verbreitung von Infektionen begünstigt. Auch die Epidemien während der Regenzeit wären so erklärbar. Viele Personen in einem Raum finden sich auch in Schulklassen. In einer französischen Studie konnte gezeigt werden, dass die Virusübertragung unter Kindern in den Schulferien um etwa ein Viertel niedriger ist als während der Schulzeit.2 Unklar bleibt jedoch, warum die Epidemien dann nicht im Herbst, direkt nach dem Start des Schuljahres, sondern erst später in den Wintermonaten ausbrechen.

Die Übertragung von Influenza- und Rhinoviren kann über Tröpfchen, Aerosole und direkten Kontakt mit kontaminierten Trägern und Oberflächen stattfinden. Diesen Transfer unbeschadet zu überstehen setzt eine gewisse Stabilität des Virus voraus. Das Virusüberleben wurde daher als weiterer relevanter Faktor für den Ausbruch einer Epidemie gewertet und erforscht. Der Großteil der Studien kam zu dem Ergebnis, dass das Überleben des Influenzavirus negativ mit der relativen Luftfeuchtigkeit korreliert. Eine Untersuchung an Meerschweinchen zeigte zudem, dass sich die ­Virusübertragung über Aerosole bei einem Temperaturanstieg von 5 bis 20 °C verringert und bei 30 °C vollständig verhindert wird.3 Darüber hinaus ist bekannt, dass das Influenza-Virus sensibel auf ultraviolettes Licht reagiert, weswegen die Vermutung naheliegt, dass das Virusüberleben während der dunklen Wintermonate beziehungsweise der Regenzeit in tropischen Regionen begünstigt ist.

Saisonales Immunsystem

Menschen mit einer Influenza-Infektion entwickeln in der Zeit zwischen den Influenza-Saisonen weniger starke Symptome als während einer endemischen Periode. Diese Beobachtung verstärkte die Vermutung, dass auch das menschliche Immunsystem saisonalen Schwankungen ausgesetzt ist.

Kalte Luft führt zur Vasokonstriktion und zu einem verringerten Blutfluss in den Atemwegen, was wiederum eine verminderte Verfügbarkeit von Abwehrzellen in diesen Regionen bedingt. Trockene Luft beeinträchtig die mukoziliäre Reinigung der Nasenschleimhaut: Die Flimmerzellen stellen ihre Transportfunktion ein, wodurch eine Keimbesiedelung erleichtert wird.

Ein weiterer bekannter immunsystem­stimulierender Faktor ist das Vitamin D, das mit Hilfe der Sonnenstrahlung in der Haut gebildet wird. Mehrere Studien konnten zeigen, dass bei Personen mit niedrigem Vitamin-D-Level das Risiko für einen respiratorischen Infekt erhöht ist.4, 5 Zu den Vitamin-D-Spiegeln in tropischen Regionen ist noch wenig bekannt. Durch den wolkenverhangenen Himmel in der Regenzeit reduziert sich aber auch dort die Sonnenexposition.

Auch das Vorhandensein anderer dominanter Pathogene kann Einfluss auf das Ausmaß und den Zeitpunkt einer Influenzaepidemie haben. Im Herbst 2009 kam es zum Beispiel bei einem gleichzeitigen Ausbruch von Infektionen mit Rhinovirus zu einem schnellen Rückgang von Infektionen mit dem Influenzavirus H1N1 in Schweden und zu einem untypisch langsamen Start der Grippewelle in Frankreich.6, 7 Weitere Forschung wird laut Tamerius et al. notwendig sein, um das epidemiologische Rätsel der saisonalen viralen Infektionen zu lösen.

 

 

Neuer Wirkstoff gegen Rhinoviren entdeckt

Wissenschafter vom Imperial College London haben einen Wirkstoff entwickelt, der Erkältungen an der Wurzel packt: Er hindert Rhinoviren daran, sich erfolgreich im Wirt zu vermehren. Das Forscherteam setzte das Molekül IMP-1088 aus zwei bereits bekannten chemischen Bestandteilen zusammen. In der neuen Kombination hemmten sie ein menschliches Protein mit dem Namen N-Myristoyltransferase (NMT). Genau dieses Protein wird von klassischen Erkältungsviren benötigt, um in der Wirtszelle zu überleben und sich zu vermehren. Die Viren kapern das Protein und bauen daraus ihr Kapsid, welches das Virusgenom umhüllt und es schützt. Ohne NMT können sich die Erreger nicht vermehren. Experimente haben bestätigt, dass eine Blockierung des Proteins durch einen Wirkstoff die weitere Replikation von Rhinoviren in menschlichen Zellen vollständig verhindert. Es fanden sich keine Hinweise, wonach IMP-1088 toxisch für die Zellen sein könnte. Ähnliche Ansätze waren bisher an solchen Nebenwirkungen gescheitert. Der entscheidende Vorteil des nun erforschten Wirkstoffs: Er greift ein menschliches Protein und nicht die Viren selbst an. Weil dieses Protein von allen Rhinoviren benötigt wird, wirkt das Mittel daher bei verschiedenen Erregerstämmen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich Resistenzen entwickeln.

Quelle: Scinexx

Referenzen:

1 Tamerius et al., Environ Health Perspect 2011; 119(4):439–445

2 Cauchemez S et al., Nature 2008; 452:750–754

3 Lowen AC et al., PLoS Pathog 2007; 3:1470–1476

4 Aloia JF et al., Epidemiol Infect 2007; 135:1095–1096

5 Ginde AA et al., Arch Intern Med 2009; 169:384–390

6 Linde A et al., Euro Surveill 2010; 14(40):pii:19354

7 Casalegno JS et al., Euro Surveill 2009; 15(6):pii:19485