Stress, ungünstiger Lebensstil und so manche Ernährungsgewohnheiten gelten als klassische Ursachen von Verdauungsproblemen, sofern diese nicht eine andere Krankheit als Ursache haben. Ein oftmals unterschätzter Faktor ist jedoch der weibliche Zyklus. Besonders zwischen den Zyklustagen 4 und 14 steigt der Östrogenspiegel stark an. Dabei wird nicht nur die Gebärmutterschleimhaut aufgebaut, sondern es kommt auch zu Wassereinlagerungen, erhöhter Peristaltik und Flatulenzen. Kurz vor dem Eisprung sinkt der Östrogenspiegel wieder ab, der Progesteronwert steigt, und die Dickdarmpassage verlangsamt sich – eine Phase, in der es vermehrt zu Obstipation kommen kann. Nicht zu unterschätzen ist auch der Faktor Stress rund um den Stuhlgang selbst. Viele Frauen vermeiden einen Stuhlgang außer Haus, so gut es geht. Diese teilweise Unterdrückung des Defäkationsreizes begünstigt das Auftreten einer Obstipation. Betrachtet man all die genannten Aspekte, ist es kein Wunder, dass Frauen insgesamt deutlich öfter von Verdauungsproblemen betroffen sind als Männer. Man schätzt, dass zum Beispiel Verstopfungssymptome doppelt so häufig auftreten.1
Die physiologischen Unterschiede zwischen Frauen und Männern betreffen den gesamten Gastrointestinaltrakt. Beispielsweise funktionieren die Muskeln dieses Traktes bei den beiden Geschlechtern unterschiedlich. Der Ösophagussphinkter schließt bei Frauen mit mehr Kraft als bei Männern. Untersuchungen zeigten, dass der Muskel nach dem Konsum von Flüssigkeiten bei Frauen mehr spannt. Infolgedessen haben Frauen häufiger ein „Globusgefühl“, also den Eindruck, sie hätten einen Klumpen im Hals. In puncto Speiseröhre weist das weibliche Geschlecht jedoch auch Vorteile gegenüber dem männlichen auf. Es kommt durch den starken Schließmuskel zu weniger Schädigungen der Speiseröhre durch Rückfluss des Magensaftes. Da Frauen auch insgesamt betrachtet weniger Säure als Männer produzieren, ist das Auftreten von säurebedingten Ulzera seltener als bei Männern. Damit hat es sich aber auch schon mit den Vorteilen, denn: Frauen sind sensitiver gegenüber Irritationen im Bereich des Ösophagus, weshalb sie im Fall einer Refluxerkrankung stärker leiden als Männer.2
Die Magenentleerung läuft bei Frauen langsamer ab als bei Männern. Dies erklärt auch, weshalb die Tendenz zu Übelkeit und Ansammlung von Gasen ausgeprägter ist.2 In jüngeren Jahren wird der Dickdarm bei Frauen langsamer entleert als bei Männern. In den reiferen Jahren entfällt dieser Nachteil. Dennoch ist vor allem die chronische Verstopfung ein häufiges Frauenthema, das sich mit zunehmendem Alter verstärkt. Das IBS (Irritable Bowel Syndrom) kommt bei Frauen um das Zwei- bis Sechsfache häufiger vor.2 Die Gallenblasenentleerung geht bei Frauen langsamer vonstatten als bei Männern. Die Tendenz zur Gallensteinbildung ist doppelt so hoch. Dieser Effekt verstärkt sich in der Schwangerschaft und könnte der Grund sein, weshalb es bei vielen Frauen zu einem Gallensteinleiden kommt, nachdem sie ein Kind zur Welt brachten.2
Ein Grund für die Unterschiede könnte in der Hirnstruktur liegen. Frauen weisen höhere Spiegel des Neurotransmitters GABA (Gamma-Aminobuttersäure) auf. GABA beeinflusst die Aktivität von Neuronen, welche die Verdauung mitsteuern. Daten deuten darauf hin, dass die GABA-Aktivität in diesen Neuronen bei Frauen und Männern sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Sogar von einem therapeutischen Potenzial wird schon gesprochen, wenn es gelänge, die Aktivität dieser Neuronen bei Frauen selektiv zu verändern. Im Tierversuch zeigte sich, dass Nerven bei weiblichen Nagetieren mehr Signale erhalten, die intestinale Bewegung des Speisebreis zu unterdrücken. Bei Stimulation waren diese Nerven auch weniger ansprechbar. Wenn diese Ergebnisse auf den Menschen ebenfalls zutreffen, gäbe es eine schlüssige weitere Erklärung, weshalb Verdauungsprobleme bei Frauen häufiger sind als bei Männern.3