Virale Infekte abseits von COVID – womit wir diesen Winter rechnen müssen

Um vorherzusagen, wie die kommende Influenzasaison aussehen wird, bräuchten wir eine Kristallkugel“, sagt Priv.-Doz.in Dr.in Monika Redlberger-Fritz, Leiterin des Nationalen Referenzlabors für die Erfassung und Überwachung von Influenza-Virusinfektionen und Mitglied des Nationalen Impfgremiums, „aber wenn sie kommt, dann wird sie stark!“.
Die Stärke der Grippewelle variiert bekanntlich von Jahr zu Jahr. Aus den Statistiken der vergangenen 20 Jahre lässt sich den Experten zufolge ablesen, dass nach einer oder zwei milden Influenzasaisonen die kommende umso stärker ausfällt. In der Saison 2020/2021 wurden im österreichischen Sentinella-System lediglich ­2 Influenzafälle detektiert, so Redlberger-Fritz. „Normalerweise kommt ein gewisser Teil der Bevölkerung während einer Influenzasaison mit dem Virus in Kontakt, ohne Symptome zu entwickeln. Auch wenn in der darauffolgenden Saison ein anderer Virusstamm vorherrscht, entsteht dennoch eine gewisse Kreuzprotektivität. Diese ist im vergangenen Jahr ausgefallen.
Aktuell sind viele COVID-Hygienemaßnahmen nach wie vor in Kraft. Lockern jedoch immer mehr Länder ihre Maßnahmen, erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass Influenzaviren eingeschleppt werden könnten. „In Kroatien ist es beispielsweise bereits zu einem lokalen Influenzaausbruch durch einen Reiserückkehrer gekommen“, so Redlberger-Fritz.
Im Gegensatz zu Oktober letzten Jahres gibt es heuer bereits eine geringe Influenzaaktivität auf der Nordhalbkugel. Auf der Südhalbkugel ist die Influenzasaison 2021 ausgeblieben. Unklar ist, was passiert, wenn nun Australien seine Grenzen öffnet. „Dann könnte es eventuell zu einer azyklischen Influenzasaison kommen“, meint Dr. Albrecht Prieler, Kinderarzt und Mitglied des Nationalen Impfgremiums.

Die Rolle der Kinder
Eine der Befürchtungen der Experten ist, dass Kinder in Gemeinschaftseinrichtungen zu den Treibern einer starken Influenzasaison werden könnten. Laut Redlberger-Fritz gibt es mittlerweile drei Geburtenjahrgänge, die noch nie Kontakt mit einem der vier humanpathogenen Virusstämme (H3) hatten – das sind ca. 240.000 Kinder –, und bis zu 5 Geburtenjahrgänge, die mit einzelne Subtypen noch nicht in Berührung gekommen sind. „Dies ist eine relativ große naive Population mit naivem Immunsystem bei der hohes Ansteckungspotenzial und die Gefahr einer Superspreader-Reaktion besteht.
Während bei gesunden Kindern über sechs Jahren schwere Verläufe eher selten seien, kommt ihnen als Überträger oft eine entscheidende Rolle zu. „Ähnlich wie bei COVID-19 ist man mit Influenza auch schon vor Ausbruch der Symptome ansteckend, die Inkubationszeit ist kurz. Die Kinder verbreiten das Influenzavirus in Kindergarten und Schule und nehmen es von dort mit nach Hause“, erläutert Prieler.

Azyklischer Anstieg von Infektionen
Seit dem Sommer beobachten die Kinderärzte einen vermehrten Anstieg von Infekten, die üblicherweise erst später auftreten. „Es scheint, als holen wir den vergangenen Winter nach“, so Prieler. „Spätestens seit Mitte August beobachten wir in den Ordinationen einen Anstieg von typischen Winterinfekten. Insbesondere Infektionen mit dem RS-Virus, der auch die Kinderintensivstationen beschäftigt, aber auch Kehlkopfentzündungen, Durchfälle und Magen-Darm-Erkrankungen erreichen gerade ein Ausmaß, das wir sonst erst im November beziehungsweise Dezember sehen.
Dass bei Kindern jetzt viele andere respiratorische Infektionen auftreten, aber vergleichsweise wenig COVID-Fälle liege auch daran, dass diese nicht nur über die Atemwege verbreitet werden. „Die Übertragung mittels Schmierinfektion spielt bei Rhino- und Adeno-, aber auch bei Influenzaviren eine deutlich größere Rolle als bei Coronaviren“, erläutert Redlberger-Fritz. Darüber hinaus ist in Kindergärten und Schulen die Maskenpflicht bereits zum großen Teil gefallen.

Wer impft wie in der Pandemie?
Das Impfverhalten und der damit einhergehende Infektionsschutz wurde seit Beginn der Pandemie durch verschiedenste Faktoren beeinflusst. So wurde vergangenes Jahr in Österreich erstmals eine Influenza-Durchimpfungsrate von über 20 % erreicht. Üblicherweise liegt diese unter 10 %, obwohl laut WHO eine 75%ige Rate anzustreben ist. Umfragen lassen für heuer wieder einen Rückgang impfwilliger Personen erwarten.

Zwar ist nicht im Detail bekannt, wie viele Impfungen durch Schulschließungen verabsäumt wurden, werden diese jedoch nicht rasch nachgeholt beziehungsweise der Regelbetrieb bei den entsprechenden Jahrgängen wiederhergestellt, befürchten Experten einen Anstieg der entsprechenden Infektionen beziehungsweise das Wiederaufflammen fast vergessener Erkrankungen. „In den Monaten Februar bis November 2020 wurden nur 70 % der Impfstoffe für die Vierfachimpfung (Diphtherie-Tetanus-Keuchhusten-Polio), 39 % der Meningokokken-ACWY-Impfstoffe, 45 % der HPV-Impfstoffe und 40 % der Hepatitis-Impfstoffe aus dem Gratis-Kinderimpfkonzept abgerufen“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Karl Zwiauer, Kinderarzt und Mitglied des Nationalen Impfgremiums.
Bei der Pneumokokken-Impfung hin­gegen hatte die Pandemie einen positiven Einfluss auf die Impfbereitschaft, wie Mag.a Renée Gallo-Daniel, Präsidentin des Österreichischen Verbandes der Impfstoffhersteller, aus einer aktuellen Umfrage zitiert. „Die Zugehörigkeit zu einer Risikogruppe dürfte manchen bewusster geworden sein: 16 % wurde die Impfung aufgrund einer chronischen Lungenerkrankung empfohlen – 2019 waren es 6 %.“ Menschen, die sich in den letzten 12 Monaten gegen Pneumokokken haben impfen lassen, hätten dies am häufigsten aufgrund der Empfehlung eines Arztes, aus Präventionsgründen oder wegen der Zugehörigkeit zur Corona-Risikogruppe getan.
Das Alter der Betroffenen ist ein kritischer Faktor für schwere Pneumokokken-Erkrankungen. Das gilt einerseits für Kinder unter fünf Jahren und andererseits für Menschen ab ­60 Jahren. Unabhängig vom Alter wird die Pneumokokken-Impfung Menschen mit Immunschwäche, Asthma, COPD, Herz-Kreislauf-­Erkrankungen, Diabetes oder anderen schweren Vorerkrankungen besonders empfohlen.

Influenza impfen, aber nicht zu früh!
Wir wissen nicht, ob die Influenzasaison heuer schon stark sein wird oder erst nächstes Jahr, aber Impfen ist in jedem Fall eine gute Vorsorge“, ruft Redlberger-Fritz zur Immunisierung auf. Der Impfschutz hält laut Expertin circa 16–20 Wochen an, weswegen die Impfung nicht zu früh erfolgen sollte. Diese wird laut Prieler grundsätzlich gut vertragen und steht für Kinder von 2–18 Jahren auch als Nasenspray zur Verfügung. Die Impfung ist allen Kindern zu empfehlen, nicht nur den Risikogruppen, so Prieler: „Wir brauchen eine hohe Durchimpfungsrate, um auch die Säuglinge, die ja bis zum 6. Lebensmonat nicht geimpft werden können, zu schützen – hier muss das Umfeld geimpft werden. Auch Schwangere sollen sich gegen Influenza und Pertussis impfen lassen, vorzugsweiseim 2. bzw. 3. Trimenon, damit das Neugeborene einen entsprechenden Antikörperschutz mitbekommt.
Die Influenzaimpfung ist im Rahmen des kostenfreien Kinderimpfprogrammes für Kinder zwischen sechs Monaten bis zum vollendeten 15. Lebensjahr gratis.


Quellen:

  • OTS0081, 28. 9. 2021, „Verstärktes Wiederauftreten der Pneumokokken verhindern – jetzt impfen lassen!“
  • OTS0048, 21. 9. 2021, „Schulimpfungen jetzt nachholen!“, ÖVIH
  • Virtuelle Pressekonferenz am 14. 10. 2021: „Influenza-Saison 2021/22: Womit müssen wir rechnen und was können wir tun?“, ÖVIH