Wandern – Therapie und Risikosport

Der Mensch ist für das moderne Leben nicht gemacht – tägliches Wandern, Barfußgehen oder Laufen wäre aus Sicht der Evolutionsmediziner ein wesentliches Aspekt, um unser Leben zu verlängern – wären da nicht auf der anderen Seite Kreuzschmerzen, Gelenkabnützungen, Fußfehlstellungen, Druckstellen an der Haut sowie ein generell hohes Verletzungsrisiko. Auf der einen Seite Winston Churchills „No sports!“, auf der anderen Seite die Theorie des Evolutionsmediziners Daniel Lieberman von der Harvard University, die besagt, dass nicht nur der aufrechte Gang, sondern auch seine Fähigkeit, lange und ausdauernd zu rennen, den Menschen überhaupt ausmacht.

Aufrechter Gang – Fehlkonstruktion

Aufgrund biologischer Konstruktionszwänge ist der Mensch aber für den aufrechten Gang denkbar ungeeignet. Zwar hat er gegenüber allen anderen Säugetieren den Vorteil, zwei freie Hände zu haben, doch muss er dafür mit einer Vielzahl von symptomatischen Leiden büßen: Fersensporn, Ballenzeh, Knieschäden und Venenthrombosen suchen den Menschen in der Regel nur deshalb heim, weil er aufrecht geht. Die größten Tragödien spielen sich allerdings im Rücken ab: Spondylose und Skoliose sind ursprünglich rein humane Erkrankungen, die erst durch Überzüchtungen und nicht artgerechte Haltung unsere Haustiere auch dort immer bekannter werden. Bandscheibenvorfälle v. a. im Bereich der unteren Lendenwirbel – zwischen L4 und L5 – wären im Vierfüßlergang auch unbekannt.

Tägliches Marschieren

Trotz aller Evolutionstheorien leben wir sehr gut auf unserem heutigen Niveau. Antibiotika und Geburtszange, pasteurisierte Milch und Konservendosen, Heizungen und Roboter haben immerhin zu einer drastisch erhöhten Lebenserwartung geführt. Und doch: „Die Menschen hätten erheblich mehr gesunde und glückliche Jahre“, sagt Detlev Ganten, ehemaliger Chef der Berliner Charité, „wenn sie jeden Tag ausgedehnte Wanderungen unternähmen.“ Auch die fernöstlichen Mönche planen das tägliche Marschieren in ihren Tagesablauf ein. Ein kurze Meditationsrunde im tibetischen Zentrum in Dharamsala dauert etwas über 1 Stunde am Rundweg durch die Berge. Durchblutungsstörungen und Herzerkrankungen zählen dort daher zu den Seltenheiten. Die tibetische Medizin weiß genau um das Manko an Bewegung der westlichen Bevölkerung Bescheid. Spezielle Kräutermischungen aus tibetischen Heilpflanzen gegen Durchblutungsstörungen haben es bei uns immerhin bis zum registrierten Arzneimittel geschafft.

Wandern als Therapie

Die spektakulärste Wirkung des Wanderns ist wohl die nachweisliche Senkung des Blutdrucks. Eine unter der Federführung der Universität Innsbruck durchgeführte österreichische Wander-Höhenstudie erforschte die Auswirkung eines dreiwöchigen Wanderurlaubs unter anderem auf hohe Blutdruck-, Blutzucker- und Cholesterinwerte und stellte dabei fest, dass am Ende des Urlaubs alle Risikowerte deutlich verbessert waren. Das Training stärkt zusätzlich den Herzmuskel, und die Lunge wird besser durchblutet.

Barfuß laufen

Beim Gedanken ans Wandern kommt dem pharmazeutisch geschulten Leser sofort das Blasenpflaster in den Sinn. Natürlich ist es der Topseller für die Wanderapotheke. Das ungewohnte Schuhwerk sorgt fast unweigerlich für Reibungen und Druckstellen an den Füßen. Grund dafür ist originellerweise, dass der Mensch evolutionsgemäß gar nicht zum Schuhträger erschaffen wurde: eine Studie unter 2.300 Kindern in Indien hat beispielweise gezeigt, dass jene Kinder, die immer barfuß liefen, nur in 2,8 % der Fälle Plattfüße hatten, während die Schuhträger zu über 15 % einen falschen Gang hatten – die Schuhe hatten Muskeln ihrer Füße verkümmern lassen, unterfordert sanken die Fußrücken nach unten. Klassisches Beispiel dafür aus unseren geografischen Breiten ist der immer häufiger und bereits im Teenageralter auftretende Hallux valgus, der ebenfalls als anerzogene Muskelschwäche gesehen werden kann.

Hornhaut durch Belastung

Unter der Hautoberfläche der Füße befinden sich Keratinozyten, die unter konstantem Druck oder Reibung eine erhöhte Zellteilungsrate aufweisen. Je massiver die Reibung oder Belastung, umso rascher daher das Zellwachstum. Durch die erhöhte Proliferation wandern ältere Zellen an die Oberfläche, wohin die Blutgefäße allerdings nicht mehr reichen. Dadurch sterben die Zellen ab und entwickeln sich zu toten Hornzellen und später zu Hornschuppen, die schließlich durch nachdrängende Zellen abgestoßen werden. Die Folgen sind oft fatal, denn die wachsende Schicht abgestorbener Hornzellen übt ihrerseits Druck auf die darunter liegende feine Blutgefäße aus, was die Blutzirkulation und damit die ausreichende Sauerstoffversorgung behindern kann. Gelpolster als Blasenpflaster sowie der gute alte Hirschtalg eignen sich sowohl zur Prophylaxe als auch zur Akutbehandlung.

Runner’s Purpura

Ob nach langem Wandern oder nach einem Marathonlauf, an den Unterschenkeln können sich rote, leicht juckende Ekzeme bemerkbar machen, die typischerweise den Sockenbereich aussparen. Diese belastungsinduzierte Purpura wird gerne mit einer Veneninsuffizienz verwechselt. Histopathologisch handelt es sich allerdings um leukozytoklastische Vaskulitiden unbekannter Ursache. Vermutet wird eine thermoregulatorische Fehlregulation der Hautvenolen mit Versagen der Muskelpumpe, ohne dass sich etwa sonografisch eine chronisch venöse Insuffizienz zeigt. Im Allgemeinen verschwinden die Hauterscheinungen spontan innerhalb weniger Tage, das Tragen von Kompressionsstrümpfen sowie die Verwendung von Venentopica kann aber die Entwicklung positiv beeinflussen.

 

Tipps für die Wanderapotheke

  • Pflaster, Verbandmaterial
  • Blasenpflaster
  • Steristrips
  • Desinfektionsmittel
  • Zeckenzange
  • Traumaspray oder Roll-on
  • Antihistaminicum
  • Schmerztabletten möglichst als ­Direktgranulat
  • Kreislauftropfen