ARZT & PRAXIS: Frau Primaria, wie bewerten Sie den aktuellen Einsatz digitaler Tools in der Pneumologie?
Ein großes Problem bei digitalen Tools in der Medizin ist die fehlende Validierung. Apps und Tools wie Wearables müssen bei Verwendung in der Medizin reproduzierbare Ergebnisse liefern und evidenzbasiert sowie leitlinienkonform eingesetzt werden. Oft wissen wir jedoch nicht, wer hinter einer App steht, wie häufig sie aktualisiert wird oder wie gut sie validiert ist. Besonders bei Apps in verschiedenen Sprachen gibt es Lücken: Während es im Englischen einige validierte Anwendungen gibt, finden sich auf Deutsch oft nur wenige verlässliche Apps, z. B. für Asthma oder COPD.
In Deutschland bietet die Atemwegsliga Orientierung. Sie prüft und empfiehlt einige Apps, etwa Schulungs- und Tagebuch-Apps, wobei die Atemwegsliga auf Aspekte wie Kosten, Datenverarbeitung und Finanzierung achtet. Oft bleibt dennoch die Frage, was mit den Daten geschieht, offen. Apps können den Alltag chronisch Kranker durchaus erleichtern, z. B. über Erinnerungsfunktionen, ihre Anwendung als medizinisches Produkt ist allerdings problematisch. Aus ärztlicher Sicht lässt sich aktuell keine App uneingeschränkt empfehlen, da in der Regel der medizinische Nutzen nicht nachgewiesen ist. Organisationen wie die Atemwegsliga oder auch Fachgesellschaften sind verlässliche Quellen, um Apps mit medizinischem Hintergrund zu finden. Es bleibt aber immer wichtig, kritisch zu hinterfragen, wer eine App finanziert, wer für den Inhalt verantwortlich ist und welche Interessen dahinterstehen.
Welche Rolle spielt Telemedizin bzw. Telemonitoring bei der Betreuung von Patient:innen?
Wir stehen bei der Telemedizin und beim Telemonitoring sozusagen noch am Beginn der Reise. Das Hauptproblem liegt weniger in der Technik als vielmehr in der fehlenden Interoperabilität und in organisatorischen Hürden. Zum Beispiel können niedergelassene Ärzt:innen häufig keine geschützten Daten an Kliniken senden, was zu einem Rückgriff bzw. Ausweichen auf veraltete Kommunikationswege wie das Fax führt. Gleichzeitig nutzen Patient:innen selbst oft unsichere Kanäle wie WhatsApp, während medizinische Systeme strengeren Datenschutzanforderungen und gesetzlichen Vorgaben unterliegen.
Die Herausforderungen liegen derzeit in der Finanzierung, der Integration in den Arbeitsalltag der Ärzt:innen und im Datenschutz. Telemedizin wird aktuell mehr in Studien und Projekten eingesetzt als in der allgemeinen Versorgung. Während einfache Anwendungen wie Telefonate weitverbreitet sind, befinden sich das kontinuierliche Übertragen und Bearbeiten von Patientendaten, wie es beim Telemonitoring der Fall ist, noch in der Entwicklungsphase.
Die Verhinderung von Exazerbationen ist ein wesentlicher Aspekt der Asthmatherapie. Können digitale Innovationen dazu beitragen, Exazerbationen frühzeitig zu erkennen bzw. zu verhindern?
Es gibt bereits digitale Hilfsmittel, die auch zu diesem Zweck eingesetzt werden. So können beispielsweise Smart Inhaler die Therapieadhärenz verbessern und so möglicherweise auch Exazerbationen verhindern. Sie ermöglichen es, Algorithmen zu hinterlegen, die Therapieanpassungen vorschlagen, wie z. B. die Steigerung der inhalativen Therapie bei bestimmten Symptomen. Technisch ist heute vieles möglich: von der digitalen Erfassung von Atemflusswerten (Peak Flow) bis hin zur Übermittlung von FeNO-Werten an Ärzt:innen. Allerdings zeigt sich, dass die Nutzung solcher Gadgets anfangs hoch ist, die Adhärenz aber mit der Zeit nachlässt.
Womit lässt sich das am ehesten erklären?
Das Hauptproblem liegt oft nicht im Wissen, sondern in der langfristigen Motivation, insbesondere bei chronischen Erkrankungen. Patient:innen wissen meist, was zu tun ist, aber die Adhärenz nimmt oft ab, sobald es ihnen besser geht. Digitale Tools lösen dieses Problem nicht unbedingt und sind in ihrer Wirksamkeit oftmals ambivalent. Beispielsweise zeigen Daten, dass Kinder Smart Inhaler zwar häufiger nutzen, wenn sie wissen, dass die Daten an Ärzt:innen gesendet werden, aber die Kontrolle durch solche Geräte gleichzeitig als belastend empfinden. Dies führt dazu, dass 50 % der Smart Inhaler verloren gehen oder beschädigt werden, während dies bei herkömmlichen Inhalern nur zu 15–20 % der Fall ist. Die positiven Effekte wie die verbesserte Dosierung und Einnahmehäufigkeit treten in den Hintergrund, wenn sich Patient:innen durch häufige Erinnerungen gestört fühlen und dann ihre Devices bewusst oder unbewusst verlieren.
Wie können durch digitale Lösungen Patient:innen mit Asthma besser in die eigene Therapie eingebunden werden?
Zukünftig könnte es durchaus sinnvoll sein, Daten punktuell zu messen und bei Bedarf an Ärzt:innen zu übermitteln, z. B. wenn es den Patient:innen schlechter geht. Viele Menschen nutzen bereits heute gerne Apps wie „Pollen+“ des Österreichischen Pollenwarndienstes, die situativ angewendet werden können, anstatt täglicher Erinnerungen, die oft als lästig empfunden werden. Tools, die sporadisch genutzt werden, etwa zur Messung der Sauerstoffsättigung oder zur Planung von Aktivitäten bei allergischem Asthma, könnten eventuell eine größere Akzeptanz finden.
Digitale Tools können das Wissen der Patient:innen nachweislich verbessern, etwa durch korrektere Inhalationstechniken. Dennoch bleibt die Adhärenz eine Herausforderung, und es fehlen bislang validierte Studien, die belegen, dass digitale Tools zu weniger Spitals- oder Notaufnahmen führen. Harte Fakten zum tatsächlichen Nutzen solcher Technologien sind noch begrenzt.
Welche Entwicklungen gibt es beim schon länger verfügbaren Schlafapnoe-Monitoring?
In der Schlafapnoe sind wir bereits weit fortgeschritten. Leichtere Fälle können heute oft ambulant diagnostiziert und eingestellt werden. Unterstützende Tools wie KI-gestützte Systeme ermöglichen eine schnellere und effizientere Auswertung der Daten, wodurch Personalressourcen geschont werden. Bei leichteren Formen ohne erhebliche Komorbiditäten ist es möglich, Diagnostikgeräte nach Hause zu schicken. Die Patient:innen erfassen über ein bis zwei Nächte ihre Daten, die anschließend hochgeladen und ausgewertet werden. Auch eine Therapie mittels PAP-Gerät kann zu Hause eingestellt werden.
In Österreich gibt es bereits erste Modelle für diesen Ansatz. Allerdings bleibt die Frage der Finanzierung und Honorierung im niedergelassenen Bereich offen. Die Digitalisierung wird in der Therapie der Schlafapnoe und in der Schlafmedizin generell jedoch zweifellos einen großen Wandel bringen.
Wie funktioniert das Schlafapnoe-Monitoring im Spital versus zu Hause?
Bei Verdacht auf Schlafapnoe wird häufig zuerst eine Voruntersuchung durch niedergelassene Fachärzt:innen durchgeführt, meist mit einem Polygrafie-Gerät. Dieses misst Atemfluss, Sauerstoffsättigung sowie Atembewegungen von Brust und Bauch, um eine erste Einschätzung zu ermöglichen. Im Schlaflabor wird dies durch EEG-Messungen und Bewegungssensoren ergänzt, um Schlafstadien wie REM und Non-REM zu bestimmen.
Zunehmend werden EEG-Messungen durch alternative Methoden wie die Aktigrafie ersetzt. Diese Technik analysiert Bewegungen während des Schlafes und ermöglicht eine einfachere Diagnostik mit einer Manschette am Arm, die die aufwendigen Untersuchungen im Schlaflabor für häufige Schlafstörungen teilweise ersetzen kann.
Ist durch Smartwatches und Fitnessarmbänder eine Zunahme an pulmologischen Diagnosen zu bemerken oder zu erwarten?
Smartwatches und Fitnessarmbänder führen in der Schlafmedizin mittlerweile häufig zu Anfragen aufgrund von erfassten Schlafdaten, die Abweichungen anzeigen. Oft betrifft dies allerdings symptomfreie Personen, bei denen die Geräte zwar punktuelle Abweichungen erkennen, die jedoch klinisch nicht relevant sind. In diesem Zusammenhang besteht die Gefahr einer Überdiagnostik, da viele Nutzer:innen keine Beschwerden haben, sich aber durch die Daten der Wearables unnötig Sorgen machen. Selbst bei leichten Schlafbeschwerden reichen häufig einfache Maßnahmen wie die Verbesserung der Schlafhygiene aus, statt direkt eine Therapie zu beginnen.
Ein grundsätzliches Problem besteht darin, dass insbesondere gesundheitsaffine Menschen diese Geräte nutzen, während Personen mit höherem Gesundheitsrisiko, etwa Raucher:innen oder Menschen mit Adipositas, eher dazu tendieren, sie zu meiden. So entsteht auch eine Art Zwei-Klassen-Medizin: Übermotivierte nutzen die Technologie exzessiv, während diejenigen, die sie wirklich brauchen könnten, kaum erreicht werden. Es bleibt eine Herausforderung, die Technologie zielgerichtet an diejenigen zu bringen, die sie am meisten benötigen.
Mit der Umsetzung welcher digitalen Innovationen rechnen Sie in den nächsten Jahren?
Die technischen Möglichkeiten in der Asthmaversorgung sind heute bereits weit fortgeschritten, werden jedoch häufig durch organisatorische Hürden begrenzt. Eine Kombination aus Smart Devices und KI könnte Asthmapatient:innen zukünftig noch individueller begleiten und präzise auf deren Bedürfnisse eingehen. Beispielsweise könnten Pollenwarnungen automatisch die Dosierung am Smart Inhaler anpassen, und eine KI könnte anhand von Hustenmustern oder anderen Parametern entscheiden, ob eine weitere Therapieanpassung wie ein orales Steroid notwendig ist. Die behandelnden Ärzt:innen könnten dann die Therapie – auch aus der Ferne – dementsprechend umstellen bzw. adaptieren.
Die Perspektive, digitale Gadgets und KI für Messungen wie die Spirometrie zu Hause zu nutzen, ist realistisch und machbar. Damit solche Technologien effektiv integriert werden, müssen jedoch die Leitlinien entsprechend angepasst werden. Hier sind wissenschaftliche Fachgesellschaften und medizinische Fachkräfte gefragt, digitale Innovationen stärker in die Leitlinienarbeit einzubinden.
Vielen Dank für das Gespräch!