Interview

Praktische Ermittlung des Osteoporoserisikos

Wir haben mit Tagungspräsidentin Univ.-Prof.in Dr.in Astrid Fahrleitner-Pammer, Klinische Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, Universitätsklinik für Innere Medizin, MedUni Graz, derzeit auch Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Knochen- und Mineralstoffwechsel (ÖGKM), und Tagungssekretär Priv.-Doz. Dr. Christian Muschitz , health-Pi Medical Center Wien, gesprochen.

ARZT & PRAXIS: Frau Professor Fahrleitner-Pammer: Warum gab es Ihrer Meinung nach beim diesjährigen Osteoporoseforum eine Rekordzahl von über 400 Teilnehmer:innen?

Univ.-Prof.in Dr.in Astrid Fahrleitner-Pammer: „Es gab großes Interesse am Entwurf der neuen Osteoporose-Leitlinie.“; © Archiv

Fahrleitner-Pammer: Zum einen gab es heuer großes Interesse an der ersten öffentlichen Präsentation des Entwurfs unserer neuen Osteoporose-Leitlinie. Zum anderen aber hat sich sicherlich der besondere Charme des jährlichen Osteoporoseforums herumgesprochen. Es gibt einen einzigen Vortragssaal, ein strukturiertes und abwechslungsreiches Programm und nahezu alle Vorträge finden auf Deutsch statt . Wir achten auf ein exaktes Zeitmanagement und jede:r kann sich auf Zeitangaben verlassen, etwa, wenn parallel Verpflichtungen bestehen oder nur einzelne Vorträge interessant sind. Sie können die Vortragenden in den Pausen jederzeit ansprechen, auch bei den abendlichen Networking-Events. An dieser Stelle möchte ich mich ausdrücklich bei unseren Sponsoren und beim Team vom Hotel Scalaria bedanken, ohne deren jahrelange Unterstützung dieser perfekte Rahmen nicht möglich wäre.

Für die Vertreter:innen welcher Fachgebiete lohnt sich ein Besuch?

Fahrleitner-Pammer: Wir bemühen uns um ein praxisorientiertes Programm. Daher sprechen wir sowohl praktische Ärzt:innen als auch Fachärzt:innen im niedergelassenen Bereich und im Spital an. Wichtig ist ein Grundinteresse an der Osteologie. In Sankt Wolfgang können Sie Ihre Kenntnisse auffrischen, aber auch knifflige Fälle mit Kolleg:innen und Expert:innen diskutieren. Es gibt DFP-Punkte für die Teilnahme. Wenn man bedenkt, dass das höhere Lebensalter ein entscheidender Risikofaktor für Osteoporose ist, können wir davon ausgehen, dass in den nächsten Jahren die Zahl der Patient:innen mit Osteoporose weiter ansteigen wird. Deren Betreuung wird eine Herausforderung für uns Ärzt:innen, aber auch für das Gesundheitssystem sein. Umso entscheidender ist gute Fortbildung.
Das 33. Osteoporoseforum findet übrigens vom 15. bis 17. Mai 2025 in Sankt Wolfgang statt (siehe auch: www.oegkm.at).

Was hat Sie persönlich besonders interessiert?

Fahrleitner-Pammer: Ich kann – leider – nicht auf alle interessanten Vorträge im Detail eingehen. Es fällt aber auf, dass das Thema künstliche Intelligenz (KI) in der Medizin inzwischen auch bei kleineren Kongressen wie unserem Osteoporoseforum mehr Raum bekommt. Zum einen profitieren wir in der Medizin sehr davon, etwa in der osteologischen Radiologie. KI-Software kann inzwischen etwa sehr diskrete Wirbelkörperfrakturen erkennen, die mit freiem Auge nicht sichtbar sind. Das erleichtert uns, Patient:innen mit erhöhtem Osteoporoserisiko rechtzeitig zu behandeln. Umgekehrt ist es immer wieder erschreckend, zu erkennen, wie sehr diese Technologie auch missbraucht werden kann. Osteologisch spannend waren auch die beiden Keynote Lectures, in denen erneut untermauert wurde, wie komplex und interaktiv das „Organsystem Knochen“ ist.

Herr Dozent Muschitz, wenn ich den Stab an Sie weiterreichen darf, welche fachlichen Themen möchten Sie aufgreifen?

Priv.-Doz. Dr. Christian Muschitz: „Ein Kernthema der Leitlinie ist die Strategie zur Evaluierung des Knochenbruchrisikos.“; © Archiv

Muschitz: Alle Vorträge waren hervorragend, die Vortragenden haben aktuelle und neue Entwicklungen inkludiert. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bedanken. Herausgreifen möchte ich die Vorstellungen des ersten Entwurfs unserer neuen Leitlinie. Die alten Leitlinien von „Arznei und Vernunft“ stammen aus 2017 und sind fachlich nicht mehr aktuell, ganz abgesehen davon, dass sie online nicht mehr verfügbar sind.

Was sind die entscheidenden Neuerungen in dieser Leitlinie?

Muschitz: Ein Kernthema ist die neue Strategie zur Evaluierung des Knochenbruchrisikos. Wir wollen uns künftig einer dynamischen Risikobewertung bedienen. Konkret bedeutet das, zunächst das Risiko per FRAX® zu ermitteln (frax.shef.ac.uk/FRAX/tool.aspx?lang=de).
Die Daten wurden inzwischen auf das österreichspezifische Frakturrisiko kalibriert. Sie geben in den FRAX® Alter, Geschlecht, Größe und Gewicht ein sowie, ob folgende Risikofaktoren bestehen: vorangegangene Fraktur, Hüftfraktur bei einem Elternteil, gegenwärtiges Rauchen, frühere oder aktuelle orale Glukokortikosteroide, rheumatoide Arthritis, sekundäre Osteoporose sowie problematischer Alkoholkonsum. Daraus erfolgt die Zuordnung zu einer niedrigen, mittleren, hohen oder sehr hohen Risikokategorie. Eine Knochendichtemessung ist in diesem Stadium noch nicht erforderlich.

Welche Folgen ergeben sich aus diesen Kategorien?

Muschitz: Bei niedrigem Risiko ist keine weitere medikamentöse Intervention erforderlich. Bei mittlerem Risiko sollten Sie eine Knochendichtemessung veranlassen, mit der Sie das Risiko im FRAX® neu berechnen können, um gegebenenfalls eine Therapie einzuleiten. Bei hohem Risiko ist eine spezifische Osteoporosetherapie indiziert, im Regelfall mit einer antiresorptiven Substanz. Bei sehr hohem Risiko soll eine primäre osteoanabole Therapie, gefolgt von einer antiresorptiven Therapie, verordnet werden, wobei jeweils die Einschränkungen und Kontraindikationen zu beachten sind. Alle Osteoporosepatient:innen sollten darüber hinaus als Basisprophylaxe Vitamin D und Kalzium sowie Proteine (vorzugsweise durch die Ernährung) erhalten und zu regelmäßiger Bewegung motiviert werden.

Welche Risikofaktoren für Osteoporose werden in der täglichen Praxis oft unterschätzt?

Muschitz: Ein entscheidender und klinisch sehr relevanter Risikofaktor für Osteoporose ist eine orale Glukokortikoid-Therapie ≥ 5 mg Prednisolon-Äquivalent pro Tag, die länger als drei Monate andauert. Dazu werden wir in unserer Leitlinie eine eigene Tabelle haben. Wichtig ist aber: Bei jedem Menschen im Alter 50+ und einem klinischen Risikofaktor für Osteoporose soll eine FRAX®-Berechnung ohne DXA-Messung durchgeführt werden. Die Risikofaktoren werden in der neuen Leitlinie in einem eigenen Kapitel erläutert.

Vielen Dank für das Gespräch!