Interview

„The lower the better“

ARZT & PRAXIS: Welche Parameter sind für die Diagnose Hyperlipidämie entscheidend? Welche sind die wichtigsten Verlaufsparameter?

Prim. Univ.-Prof. Dr. Peter Fasching: Relevant zur Beurteilung des Lipidstoffwechsels ist das basale Lipidprofil, das sich aus dem Gesamtcholesterin, meistens auch aus dem High-Density-Lipoprotein(HDL)-Cholesterin (HDL-C), den Triglyzeriden und dem errechneten Low-Density-Lipoprotein(LDL)-Cholesterin (LDL-C) zusammensetzt und bereits bei jungen Erwachsenen als Teil der Gesundenuntersuchung erhoben werden sollte. Das LDL wird mithilfe der Friedewald-Formel errechnet (LDL-Cholesterin = Gesamtcholesterin minus HDL-C minus Triglyzeride/5).
Diese Formel ist bei hohen Triglyzeridwerten (≥ 400 mg/dl) nicht mehr anwendbar. Wenn die Berechnung dadurch nicht möglich ist, kann alternativ das Non-HDL-Cholesterin berechnet werden, das sich aus der Differenz von Gesamt- und HDL-Cholesterin ergibt. So findet sich in den entsprechenden Leitlinien der ESC (European Society of Cardiology, Anm.) bzw. der EAS (European Atherosclerosis Society, Anm.), auf denen auch jene der Österreichischen Diabetes Gesellschaft (ÖDG, Anm.) beruhen, neben dem LDL- auch das Non-HDL-Cholesterin als Zielparameter.
Neben dieser Basisdiagnostik ist die einmalige Bestimmung von Lipoprotein(a), Lp(a), sinnvoll. Einmalig deshalb, weil der Spiegel dieses Lipoproteins genetisch determiniert und durch derzeit verfügbare Medikamente kaum veränderbar ist. Werte, die deutlich im oberen Quartil liegen, sind als kardiovaskulärer Risikofaktor zu werten. Der Lp(a)-Wert ist im Routine-Lipidprofil nicht enthalten, sondern muss gesondert angefordert werden.
Derzeit befinden sich allerdings Substanzen in der klinischen Erprobung (Antisense-Oligonukleotide, Anm.), die mittels Eingriff in die RNA die Lp(a)-Produktion beeinflussen können. Wenn diese Therapie zum Einsatz kommt, könnte darunter auch eine regelmäßige Lp(a)-Kontrolle interessant werden und nicht nur die einmalige Erhebung.
Ein weiterer Parameter, dessen Einordnung allerdings eher von Spezialist:innen vorgenommen wird, ist Apolipoprotein B (ApoB), durch dessen Messung auch LDL quantifiziert wird.

Welche Rolle spielt der HDL-LDL-Quotient gemäß den Leitlinien bzw. in der klinischen Praxis?

Seit etwa 10–15 Jahren spielt der HDL-LDL-Quotient überhaupt keine Rolle mehr. Das liegt vor allem daran, dass der Stellenwert des HDL-Cholesterins deutlich zurückgegangen ist. Hohe HDL-Werte wurden früher auf Basis epidemiologischer Studien als gefäßschützend interpretiert. Von diesem Schutz ist man auch dann ausgegangen, wenn gleichzeitig hohe LDL-C-Werte vorlagen. Diese Position hat man mittlerweile verworfen. Es herrscht zwar nach wie vor die Meinung vor, dass das LDL-C bei niedrigen HDL-Werten noch toxischer ist, aber was sich leider nicht bewahrheitet hat, ist, dass hohe HDL-Konzentrationen hohe LDL-Konzentrationen sozusagen abmildern. Zumindest ist eine Vorhersage für das Individuum nicht zulässig. Es hat sich zudem in Studien gezeigt, dass keine der therapeutischen Interventionen, mit denen sich das HDL steigern lässt, wie Nikotinsäure oder die Hemmung des CETP (Cholesterinester-Transferprotein, Anm.), auch einen Gefäßschutz bewirkt. Dieser Erkenntnis entsprechend wird in den Leitlinien der HDL-Wert auch nicht mehr als Zielparameter genannt.
Kurz gesagt: HDL hat seinen Status als Gefäßprotektor und Zielparameter eingebüßt, wodurch auch der HDL-LDL-Quotient seine Bedeutung verloren hat.

Wann ist eine medikamentöse lipidsenkende Therapie indiziert?

Die Leitlinien orientieren sich, wenn verfügbar, an der LDL-C-Konzentration als Zielparameter. Ansonsten greift man, wie erwähnt, auf das Non-HDL-C zurück. Der jeweilige Zielwert richtet sich nach dem individuellen kardiovaskulären Risiko, für dessen Ermittlung u. a. Geschlecht, Alter, Rauchgewohnheiten, Blutdruck und Gesamt- bzw. LDL-Cholesterin berücksichtigt werden.
Ich kann in diesem Rahmen nur auszugsweise Richtwerte der Leitlinien bei bestimmten Risikokonstellationen wiedergeben: Generell lässt sich sagen, dass auch bei niedrigem kardiovaskulärem Risiko das LDL-C unter 115 mg/dl liegen sollte. Das ist in der Praxis etwas schwierig umzusetzen, denn es würde bedeuten, dass ab diesem Wert bei jedem Menschen eine lipidsenkende Therapie indiziert wäre.
Bei mittlerem Risiko liegt der Zielwert bei < 100 mg/dl, beim Hochrisiko-Kollektiv bei < 70 mg/dl und bei sehr hohem Risiko (das betrifft etwa Personen nach atherosklerotischer Komplikation oder mit DM II inkl. Risikofaktoren) werden ein LDL-C von < 55 mg/dl sowie eine Halbierung des unbehandelten Ausgangswertes empfohlen.
Bei familiären Hypercholesterinämien gelten wieder andere Grenzwerte. Hier muss ich noch einmal auf die entsprechenden Leitlinien verweisen.

Welche Substanzen sollen primär eingesetzt werden?

Grundsätzlich ist eine Statintherapie das Mittel der Wahl, wobei heutzutage nur noch die hochpotenten Statine Atorvastatin und Rosuvastatin eingesetzt werden sollten. Eine Abweichung davon muss konkret begründet werden, z. B. bei Unverträglichkeit. Meines Ermessens sollte stets die maximal verträgliche Statindosis gewählt werden, insbesondere bei Patient:innen mit hohem oder sehr hohem kardiovaskulärem Risiko. Man kann im Allgemeinen davon ausgehen, dass, wenn das Statin gut vertragen wird, auch die Höchstdosis vertragen wird. Worauf man achten muss, sind Muskelschmerzen sowie Enzymanstiege der Muskel- und Leberparameter. Dann ist je nach Ausprägung eine Dosisreduktion oder ein Therapieabbruch indiziert.

Wie ist vorzugehen, sobald der Zielwert erreicht ist?

Für das LDL-C gilt: „the lower the better“. Das bedeutet für die Praxis, dass man, auch wenn der Zielwert bereits unterschritten wird, weiterhin bei der Höchstdosis bleiben sollte – nicht zuletzt, um eine allfällige Regression von atherosklerotischen Veränderungen bzw. Plaques zu fördern.

Wann ist eine Therapieeskalation indiziert?

Ist unter einer Statintherapie alleine das LDL-Ziel nicht zu erreichen, soll das Statin entweder mit dem Resorptionshemmer Ezetimib oder mit dem Cholesterinsynthesehemmer Bempedoinsäure kombiniert werden. Potenziell sind auch orale Triple-Therapien aus diesen beiden Substanzen und einem Statin zugelassen. Wenn nun unter den genannten Kombinationstherapien die Zielwerte nicht erreicht oder die Therapien nicht vertragen werden, kommen PCSK9-Inhibitoren zum Einsatz. Dazu zählen die PCSK9-Antikörper Alirocumab und Evolocumab, die sich im Regelfall die Patient:innen alle zwei Wochen selbst subkutan verabreichen können. Diese PCSK9-Inhibtoren sind relativ hochpreisig, weshalb sie über spezielle Erstbewilligungszentren verordnet und auch chefärztlich bewilligt werden müssen. Eine noch neuere Möglichkeit der PCSK9-Beeinflussung ist die RNA-basierte Therapie mit Inclisiran. Hier wird über eine sogenannte Silencing-RNA die Produktion des PCSK9-Enzyms in der Leber gehemmt, wodurch ebenfalls eine Halbierung des LDL-C-Ausgangswertes erreicht werden kann. Inclisiran wird nach einer engermaschigen Gabe in der Induktionsphase nur 2x/Jahr ebenfalls subkutan verabreicht, in diesem Fall allerdings nur durch Gesundheitspersonal, z. B. durch den Hausarzt oder die Hausärztin.
Mittlerweile eher in den Hintergrund getreten ist die Triglyzerid-senkende Therapie mit Fibraten, da die Studienlage hierzu nicht wirklich überzeugend ist, wobei für bestimmte Substanzen und Patientensubgruppen mit gemischter Hyperlipidämie in Kombination mit Statinen auch positive Resultate vorliegen.
Dieses Jahr wurde eine Phase-III-Studie zu Pemafibrat, einem Fibrat neuerer Generation, einem sogenannten Superfibrat, aufgrund des nicht nachweisbaren Nutzens vorzeitig abgebrochen. Die Publikation der Ergebnisse steht aber noch aus. Insgesamt gibt es keinen harten Hinweis darauf, dass eine alleinige medikamentöse Triglyzeridsenkung durch Fibrate einen tatsächlich verlässlichen Gefäßschutz bewirkt. Aber auch hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn momentan befinden sich weitere Substanzen aus dieser Wirkstoffgruppe in klinischer Entwicklung.

Welche Therapeutika sind obsolet oder sollten nur noch in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen?

Wirklich obsolet ist die Nikotinsäure. Fibrate sind nur noch in speziellen Situationen empfohlen, und zwar, wenn die Triglyzeride trotz diätetischer Maßnahmen und trotz Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage hoch bleiben, ab einem Bereich von 400 mg/dl. Aber wie gesagt: Die Gefäßprotektion ist nicht gesichert.

Welche nicht-medikamentösen therapeutischen Maßnahmen werden empfohlen?

Diätetische Maßnahmen sind immer relevant, wobei hier gleich einschränkend gesagt werden muss, dass auch durch strengste diätetische Maßnahmen eine Absenkung des Ausgangswertes um etwa 10 % bis maximal 20 % zu erwarten ist. Deswegen ist bei einer bedeutsamen Abweichung von den LDL-C-Zielwerten mit Diät alleine nicht das Auslangen zu finden.
Bei den Triglyzeriden sieht das anders aus: Hier ist eine Reduktion der Zufuhr von Kohlenhydraten und gesättigten Fettsäuren oder auch von Alkohol therapeutisch relevant, insbesondere bei einer Prädisposition zur Hypertriglyzeridämie, die meist auf einer Lipoproteinlipase-Schwäche beruht. Das unterstreicht auch den Wert des Nüchtern-Labors bei Hypertriglyzeridämie, das es bei der Beurteilung des LDL-C oder des Gesamtcholesterins nicht unbedingt braucht.
Daneben wird natürlich auch körperliche Aktivität empfohlen, die sich aber ähnlich wie eine Ernährungsumstellung primär auf die Triglyzeride auswirkt.

Welche weiterführende Diagnostik sollte bei einer festgestellten Hyperlipidämie veranlasst werden?

Wie gesagt, sollte einmal im Leben der Lp(a)-Wert bestimmt werden. Bei isoliert hohen LDL-C-Werten über 190 mg/dl bei gleichzeitig normalen Triglyzeridwerten besteht der Verdacht auf eine heterozygote familiäre Hypercholesterinämie. Hier ist die Familienanamnese im Hinblick auf prämature kardiovaskuläre Ereignisse zu erheben. Ist diese diesbezüglich positiv, ist ein Kaskaden-Screening sowohl bei den Vorfahren als auch bei den Nachkommen und allenfalls eine genetische Abklärung über eine Lipid-Ambulanz einzuleiten. Auch wenn Betroffene noch keine kardiovaskulären Komplikationen aufweisen, ist dann auf eine strikte Lipidkontrolle zu achten.
Unabhängig von genetischen Komponenten sollte bei Menschen ab dem 40. Lebensjahr eine kardiologische Basisabklärung durchführt werden. Dazu zählen das Erheben der Fußpulse und die Echokardiografie inkl. Karotis-Doppler zum Ausschluss von Verkalkungen. Dabei muss man beachten, dass eine alleinige Intima-media-Verdickung nicht als atherosklerotische Manifestation zu werten ist. Sobald aber eine Plaque in der Karotis nachgewiesen wird, ist abzuleiten, dass eine Anfälligkeit für Atherosklerose besteht, woraus sich die Indikation zur Absenkung der Lipidwerte in den Zielbereich ergibt.

Bei welchen Erkrankungen sollte der Fettstoffwechsel besonders genau beobachtet werden?

Der Klassiker ist Diabetes mellitus, vor allem Typ II, wenngleich der Typ I zwar nicht mit einer Fettstoffwechselstörung assoziiert ist, aber ein erhöhtes atherosklerotisches Risiko mit sich bringt. Besondere Rücksicht auf den Lipidstoffwechsel sollte beispielsweise auch bei Nierenfunktionsstörungen genommen werden sowie beim metabolischen Syndrom, bei Lebererkrankungen und bei medikamentösen Therapien, z. B. mit Kortison.

Vielen Dank für das Gespräch!