Interview

Therapieinnovationen beim Melanom

ARZT & PRAXIS: Spätestens seit der Coronapandemie sind mRNA-Vakzine in aller Munde. Welches Potenzial hat diese Technologie in der Dermatoonkologie?
Höller: Auf der mRNA-Technologie basierende Tumorvakzine werden derzeit beim Melanom untersucht. Entscheidend ist, dass diese Vakzine keine allgemein auf Tumorzellen vorhandenen Antigene („shared antigens“) enthalten, sondern patientencharakteristische Neoantigene.
Darunter versteht man neu auftretende Antigene, die sich je nach Mutation in den Tumorzellen von Patient:in zu Patient:in unterscheiden können. Auf Neoantigenen beruhende Vakzine können nicht nur in Form von mRNA, sondern auch auf Proteinebene hergestellt werden, allerdings ist die Synthetisierung auf mRNA-Basis derzeit rascher und einfacher. Generell ist die Herstellung einer solchen Vakzine aufwendig: Frisch entnommenes Tumormaterial wird eingeschickt und genetisch analysiert (Stichwort: Mutanom); basierend auf dem HLA-Subtyp des Patienten bzw. der Patientin erfolgt eine computerbasierte Vorhersage immunogener Neoantigene; diese werden anschließend synthetisiert. Wurden in den ersten humanen Studien beim Melanom noch Tumorvakzine mit 5 Neoantigenen geprüft, enthalten die heute untersuchten Vakzine bereits über 30 Neoantigene.
In einer rezenten Phase-II-Studie zeigte die Kombination aus Immuntherapie und mRNA -Vakzine vielversprechende Ergebnisse: Melanompatient:innen im Stadium III und IV erhielten nach kompletter Resektion den Anti-PD-1-Antikörper Pembrolizumab plus eine mRNA-Vakzine (mRNA-4157, Moderna) oder Pembrolizumab allein über 12 Monate; dabei wurde die Neoantigen-spezifische Vakzine zu Beginn der Therapie 9 Mal zum Anti-PD-1-Antikörper dazu verabreicht, anschließend erhielten die Patient:innen nur noch den Anti-PD-1-Antikörper.
Wir wissen, dass schon eine adjuvante Anti-PD-1-Therapie das Rückfallrisiko um 40–50 % reduzieren kann, und in dieser Phase-II-Studie zeigte sich, dass die Kombination mit einer Neoantigen-spezifischen mRNA-Vakzine eine weitere Halbierung dieses Risikos bringt. Das sind beeindruckende Ergebnisse, die sich aber erst in der aktuell laufenden Phase-III-Studie bestätigen müssen.
Posch: Ein wesentlicher Faktor für die aktuellen Erfolge ist sicher auch die Tatsache, dass die Tumorvakzine nun im adjuvanten Setting und damit in früheren Stadien untersucht werden. Die Heterogenität im Tumormaterial ist hier wahrscheinlich noch überschaubar, sodass es gelingt, aus dem entnommenen Tumormaterial tatsächlich ein für den Tumor repräsentatives Neoantigenen-Profil zu generieren. Bei fortgeschrittenen, eventuell schon metastasierten Melanomen ist dies aufgrund der vielen verschiedenen Klone und unterschiedlichen Mikromilieus ungleich schwieriger.
Die Tumorvakzinierung ist einer von mehreren Ansätzen, die wir verfolgen, um die Therapie des Melanoms weiter zu verbessern – ganz aus der Welt schaffen werden wir den schwarzen Hautkrebs damit aber sicher nicht. Es wird z. B. immer Patient:innen geben, deren Tumor nicht immunogen ist, und hier müssen wir andere Strategien verfolgen.
Eine zentrale Frage ist auch, wie sich die Tumorvakzinierung zu den momentan stark im Kommen befindlichen neoadjuvanten Therapiestrategien verhält. Ich wäre nicht überrascht, wenn der Unterschied letztlich gar nicht so groß wäre – vielleicht braucht man den großen (technischen und finanziellen) Aufwand einer Neoantigen-spezifischen Vakzinierung gar nicht, wenn man mit der Immuntherapie einfach ein bisschen früher, also neoadjuvant, beginnt. Spannend auch: Weil das Wort „Impfung“ bei vielen Menschen eine gewisse Aversion auslöst, wurde der Begriff „individualisierte Neoantigen-Therapie (INT)“ eingeführt …

Eine weitere neue Behandlungsstrategie beim Melanom ist die adoptive Zelltherapie mit tumorinfiltrierenden Lymphozyten. Was hat sich hier getan?
Posch: Die adoptive Zelltherapie beruht auf der Beobachtung, dass Patient:innen mit vielen tumorinfiltrierenden Lymphozyten (TIL) in der Tumormasse wie auch im Tumormikromilieu ein besonders gutes Outcome haben. Die Idee war nun, die Expansion dieser tumorreaktiven Zellen künstlich zu forcieren, und auch hier gab es in den letzten Jahren rasante technologische Fortschritte. So ist es heute in einem relativ standardisierten Verfahren möglich, Patient:innen Tumorgewebe zu entnehmen, TIL zu isolieren und ex vivo zu expandieren, um sie anschließend den Patient:innen wieder zurückzuinfundieren. Diese Entwicklung führte im Februar 2024 zur FDA-Zulassung des autologen TIL-Produkts Lifileucel beim fortgeschrittenen Melanom. Lifileucel ist damit die erste zugelassene TIL-Therapie zur individualisierten Behandlung eines soliden Tumors. Die Behandlung ist sehr aufwendig und kostenintensiv (515.000 US-Dollar), zeigte aber beeindruckende Ansprechraten von über 30 % – und das bei massiv vorbehandelten Melanompatient:innen im Stadium IV.
Höller: Dazu muss man sagen, dass Ansprechraten in dieser Höhe in früheren akademischen Studien, beispielsweise aus Israel, nicht erreicht wurden. Es muss sich erst zeigen, wie effektiv Lifileucel im Real World Setting in einem praktisch austherapierten Patientenkollektiv ist. Beim ESMO 2022 wurde eine randomisierte Phase-III-Studie vom Netherlands Cancer Institute vorgestellt: Hier wurde eine adoptive T-Zell-Therapie gegen eine Ipilimumab-Monotherapie in der Zweitlinie verglichen; wobei man einschränkend sagen muss, dass der Vergleich gegen den Anti-CTLA-4-Antikörper heute nicht mehr Standard wäre. In dieser Studie zeigte sich ein signifikanter Vorteil hinsichtlich des progressionsfreien Gesamtüberlebens für die adoptive T-Zell-Therapie. Toxizitäten waren hauptsächlich auf die vorbereitende Chemotherapie zurückzuführen.
Posch: Stichwort Toxizität. Um für eine TIL-Therapie infrage zu kommen, müssen Patient:innen ein gewisses Maß an Fitness mitbringen. Denn vor der Reinfundierung der körpereigenen T-Zellen erfolgt eine Chemotherapie, die naturgemäß mit Nebenwirkungen behaftet ist, und danach erhalten die Patient:innen mehrere Gaben des T-Zell-Wachstumsfaktors Interleukin-2 in hoher Dosierung, was ebenfalls mit erheblicher Toxizität einhergehen kann.
Höller: In Europa ist noch kein TILProduktzugelassen, und außerhalb von klinischen Studien bietet kein Zentrum diese Therapie an.

Die CAR-T-Zell-Therapie ist bei hämatologischen Malignomen sehr erfolgreich, beim Melanom dagegen weniger. Warum ist das so?
Posch: Bei der CAR-T-Zell-Technologie werden die von Patient:innen entnommenen T-Zellen genetisch modifiziert, d. h. mit einem „chimeric antigen receptor“ (CAR) versehen, bevor sie wieder zurückinfundiert werden. Dieser Rezeptor zielt auf eine gewisse Zielstruktur auf Tumorzellen ab, z. B. auf CD19 und/oder CD20, was im Fall von B-Zell-Neoplasien gute Erfolge bringt. Beim Melanom (und anderen soliden Tumoren) fehlt eine solche klare Zielstruktur – daher sind große Therapieerfolge bislang ausgeblieben. Man konnte mit CAR-T-Zellen allerdings das Tumormikromilieu, d. h. das entzündliche Infiltrat, beeinflussen, sodass man eventuell bestimmte tumorsuppressive Zelllinien, die das körpereigene Immunsystem an der Bekämpfung des Tumors hindern, gezielt reduzieren könnte.
Höller: Melanomzellen weisen zudem im Vergleich zu anderen Tumorzellen eine extrem hohe Plastizität auf, sprich, sie können sich sehr rasch anpassen und verändern. Wenn man also mittels CART-Zell-Therapie ein bestimmtes Antigen ins Visier nimmt, selektioniert man in kürzester Zeit für einen Klon, der dieses nicht mehr exprimiert und braucht. Die Lösung könnte nur darin bestehen, ein für die Tumorzelle überlebensnotwendiges Antigen zu identifizieren. Ob das gelingt, wird sich zeigen.

Relativ neu in der immunonkologischen Therapie sind bispezifische Antikörper oder Fusionsproteine. Welchen Stellenwert haben sie beim Melanom?
Höller: Es gibt verschiedene bispezifische Moleküle, die einerseits an ein Antigen auf Tumorzellen und andererseits an ausgewählte Oberflächenstrukturen auf Immunzellen (zumeist T-Zellen) binden. Das Grundprinzip besteht also darin, das Immunsystem an den Tumor heranzuführen. Wenn das bispezifische Molekül aus einer Kombination zweier Antikörperfragmente besteht, sprechen wir von einem bispezifischen Antikörper. Es gibt aber auch die Variante, bei der ein Antikörperfragment mit einem modifizierten T-Zell-Rezeptor kombiniert wird, sogenannte ImmTAC („Immune-mobilising monoclonal T-cell receptors Against Cancer“). Über den T-Zell-Rezeptor erkennen und binden ImmTAC an ein bestimmtes Tumorantigen, allerdings beschränkt auf einen bestimmten HLA-Genotyp. Als erster Vertreter dieser neuen Substanzklasse wurde Tebentafusp beim inoperablen oder metastasierten uvealen Melanom (Aderhautmelanom) zugelassen. Das bispezifische Fusionsmolekül bindet über das Antikörperfragment an CD3 auf T-Zellen und über das T-Zell-Rezeptor-Ende an ein gp100-Peptid, das auf der Zelloberfläche von Tumorzellen des uvealen Melanoms vom HLA-A*02:01 präsentiert wird. In den Zulassungsstudien wurde Tebentafusp bei Patient:innen mit metastasiertem Aderhautmelanom mit einer Therapie nach Wahl des Prüfarztes bzw. der Prüfärztin(Chemo- oder Immun-Monotherapie) verglichen und erwies sich hinsichtlich des Gesamtüberlebens als signifikant überlegen. Der Unterschied blieb über die Zeit bestehen, wie rezent präsentierte 3-Jahres-Daten zeigen. Zwar war das Gesamtüberleben unter Tebentafusp im Durchschnitt nur 4,5 Monate länger; beim Aderhautmelanom, einem Tumor mit extrem niedriger Mutationsrate und sehr schlechtem Ansprechen auf Immuntherapie, ist das aber schon ein nicht zu unterschätzender Schritt nach vorne.
Posch: Das Schöne an dieser Technologie ist ihr modularer Charakter. Hat man erst die richtige Zielstruktur identifiziert, können relativ einfach weitere bispezifische Proteine oder Fusionsproteine hergestellt werden.
Höller: Der für Tebentafusp geforderte HLA-Subtyp kommt bei ca. 50 % der kaukasischen Bevölkerung vor. Allerdings hat man herausgefunden, dass er bei Menschen südeuropäischer Abstammung deutlich seltener ist. Daher wird aktuell daran gearbeitet, das bispezifische Molekül so zu verändern, dass das gp100-Peptid auch in Verbindung  mit einem dort häufiger vorkommenden HLA-Subtyp erkannt wird.
Posch: Das Problem an personalisierten Therapien: Die Patientengruppen werden immer kleiner und die Herstellung des Produktes dadurch immer komplexer und teurer. Darauf ist auch unser System, wie Medikamente derzeit zugelassen werden, nicht eingestellt. Die Patientengruppen wären zu klein, um die geforderten klassischen klinischen Studien durchzuführen. Die einzige Lösung wäre, dass man den Proof of Principle erbringt, dass eine Plattformtechnologie funktioniert. Und darauf basierend können dann patientenindividuelle Medikamente entwickelt werden. Das gilt für viele personalisierte Therapien, seien es ImmTAC oder auch Neoantigen-spezifische Tumorvakzine.

Vielen Dank für das Gespräch!