Univ.-Prof. Dr. Alfred Doblinger: Für mich war dieses Semester insgesamt eine große, vor allem sehr positive Überraschung. Wir erhalten auf der Uni viel Unterstützung und werden von den Kolleg:innen der anderen Sonderfächer ausgezeichnet angenommen. Das erstreckt sich von der allgemeinen Zusammenarbeit bis zu gemeinsamen Projekten und Vorlesungen. Es funktioniert tatsächlich erstaunlich gut. Wir sind in der Curricularkommission kooptiert und erleben ein überwältigendes Interesse seitens der Studierenden. Beim Erweiterungsstudium Allgemeinmedizin, das optional zwischen dem 5. und 9. Semes-ter absolviert werden kann, haben wir mit 25 Teilnehmenden gerechnet und hatten im Endeffekt 76 Anmeldungen.
Die Allgemeinmedizin begleitet alle Studierenden bereits in den ersten vier Semestern in Form der klinisch-allgemeinmedizinischen Falldemonstrationen, um schon ein prinzipielles Interesse zu wecken. Das Erweiterungsstudium darf frühestens mit dem 5. Semester begonnen werden und dauert im Schnitt 4 Semester. Dafür werden den Absolvierenden 32 ECTS-Punkte angerechnet. Das Ganze läuft parallel zum eigentlichen Humanmedizin-Studium. Ein wichtiger Teil ist neben den zusätzlichen Vorlesungen das problemorientierte Lernen (POL), bei dem echte Fälle aus der Praxis aufgearbeitet werden. Ein Studieninhalt, der im Herbst starten wird, ist die Betriebsführung, die ja – wie vonseiten der Studierenden zu Recht kritisiert – im Studium nicht vorkommt. Ein weiterer Punkt ist die Tätigkeit im öffentlichen Dienst, die sich von Bundesland zu Bundesland unterscheidet. In Tirol haben wir etwa die Institution des Sprengelarztes, der auch für die Totenbeschau und die Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz zuständig ist. Was auch im Erweiterungsstudium vorkommen soll, sind Formen der Zusammenarbeit außerhalb der Spitäler. Hier werden wir gemeinsam mit dem Land Tirol, der ÖGK und der Ärztekammer vorgehen. Dann gibt es für die Studierenden einen doch recht großen Praxisteil: In den vier Semestern absolvieren die Studierenden pro Semester zweimal 3 Tage in einer hausärztlichen Ordination. Zusätzlich haben wir noch das sogenannte „Lernen am Projekt“, bei dem die Studierenden die Arbeit in einem Hospiz oder einem Kriseninterventionsteam etc. kennenlernen sollen.
Aktuell besteht eine Kooperation mit dem Landesinstitut für integrierte Versorgung in Tirol. Hier soll ein „Vorsorgepfad Tirol“ kreiert werden, dessen Ziel es ist, im Anschluss an die Gesundenuntersuchung Patient:innen, bei denen der Bedarf besteht, weiterzubetreuen. Dabei ist unser Institut für die wissenschaftliche Betreuung zuständig. Mein eigentliches Steckenpferd ist die Sonografie in der Allgemeinmedizin, und dazu soll auch geforscht werden. Hier planen wir gerade mit niedergelassenen Kolleg:innen ein Projekt zur Lungensonografie bei Pneumonien. Es geht also nicht um die klassische Versorgungswissenschaft, sondern eher um die klinische Tätigkeit.
Es gibt in Innsbruck an der Klinik mit dem Medizinzentrum Anichstraße (MZA) eine konservative Notaufnahme, der schon seit Jahren eine kleine allgemeinmedizinische Ambulanz vorgelagert ist. Es ist aber nicht geplant, dass diese Ambulanz von unserem Institut geführt wird. Alle meine Mitarbeiter:in-nen und ich sind ja klinisch tätig – als Hausärzt:innen, Sekundarärzt:innen, Amtsärzt:innen. Man darf nicht vergessen, dass im MZA ja auch nicht die klassische Allgemeinmedizin stattfindet, wie wir sie den Studierenden vermitteln möchten. Hier geht es primär um die Entlastung der internistischen Not-aufnahme und nicht um die Tätigkeit als Hausarzt bzw. Hausärztin oder Familienmediziner:in.
Ich hatte neben meiner Facharztausbildung am Institut für Pharmakologie bereits eine „kleine“ Wahlarztordination für Allgemeinmedizin. Es hat sich dann für mich die Möglichkeit ergeben, dass ich die Wahlarztpraxis weiterführen und daneben als Sachverständiger für Arzneimittelzulassung für die AGES tätig sein konnte. Vor etwa 14 Jahren wurde dann in meinem Wohnort Oberperfuss die Kassenstelle für Allgemeinmedizin frei. Daraufhin habe ich den Schritt in Richtung Kassenarzt riskiert und keinen Tag bereut.
Ich war 9 Jahre lang Wahlarzt, weil ich keine Kassenstelle bekommen habe – und bin doch kein Fan des Wahlarztsys-tems. Aus zwei Gründen: Erstens denke ich, dass jeder in Österreich lebende Mensch ohne Rücksicht auf seine finanziellen Möglichkeiten eine vernünftige medizinische Versorgung erhalten soll. Das kann das Wahlarztsystem nicht leis-ten. Der zweite kritische Punkt sind oft unnötig durchgeführte Untersuchungen, die durch dieses System in meinen Augen begünstigt werden. Ein weitverbreiteter Irrtum ist zudem, dass das „System Wahlarzt“ günstiger sei, weil die Krankenkasse nur 80 % der Kosten aus dem Leistungskatalog übernimmt. Dabei wird übersehen, dass der Wahlarzt bzw. die Wahlärztin diese Kos-ten bei jeder Behandlung verrechnen kann, die Kassenärzt:innen allerdings limitiert sind. So werden mir beispielsweise die Kosten für eine Abdomensonografie zwar erstattet, aber nur in 10 % aller Behandlungsfälle. Eine „therapeutische Aussprache“ mit einem Gespräch über 10 Minuten wird bei mir nur in 16 % der Fälle honoriert. Wenn 100 Patient:innen jeweils dreimal kommen, bekomme ich diese Leistung genau 16 Mal honoriert. Der Wahlarzt bzw. die Wahlärztin kann dies bei jeder Ordination, also bei 100 Patient:innen mit insgesamt 300 Ordinationen, auch 300 Mal verrechnen. Das macht schon einen deutlichen Unterschied. Diese Limitierungen bei Kassenverträgen sehe ich kritisch, da sie die klinische Praxis in der Regel nicht abbilden. Denn man kann gut beobachten, dass die Patient:innen mittlerweile im Schnitt öfter kommen (u. a. weil der Altersdurchschnitt steigt), die Berechnung der Limitierungen aber auf der Patientenzahl und nicht auf der Zahl der gesamten Patientenkontakte basiert. Für eine Sache möchte ich aber plädieren: Wir müssen damit aufhören, unseren Beruf schlechtzureden. Wir werden die Allgemeinmedizin immer brauchen, und wenn man es richtig anlegt, ist es ein spannender, toller Job. Ich denke aber, dass es im Vergleich zu den Spezialfächern mehr Honorargerechtigkeit braucht.
Als Sprengelarzt bin ich primär für die Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz, für Fahrtauglichkeitsuntersuchungen, wenn jemand intoxikiert ein Fahrzeug steuert, und vor allem für die Totenbeschau zuständig. Zur Einordnung: Ich mache ca. 200–250 Dienste im Jahr und etwa 50 Totenbeschauen.
Ich habe Nacht- und Wochenenddienste und daneben natürlich die normalen Ordinationszeiten. Wenn man eine große Praxis hat, dann wird man auf ein ähnliches Arbeitspensum wie ein Klinikarzt kommen. Ein anderes Kapitel sind die niedergelassenen Fachärzt:innen, die ohne Nacht- und Feiertagsdienste laut IHS 2018 auf ein höheres Verdienst kommen als die niedergelassenen Allgemeinmediziner:innen oder auch die meisten Klinikärzt:innen. An dieser Ungleichheit werden wir arbeiten müssen. Zum Arbeitspensum muss ich aber sagen, dass man Wege finden muss und auch findet, gemeinsam zu arbeiten. Wer in unserer Branche Einzelkämpfer ist, ist selber schuld. Ich persönlich habe keine Nachwuchsprobleme. Meine Kolleginnen und Kollegen kommen gerne.
Ich muss vorausschicken, dass ich an der Ausgestaltung bzw. an den Verhandlungen zum Facharzt bzw. zur Fachärztin nicht beteiligt bin. Was aber mit allergrößter Wahrscheinlichkeit kommen wird, ist die Ausdehnung der Lehrpraxis-Zeit auf 2 Jahre. Aktuell liegen wir bei 9 Monaten. Ich sehe das persönlich ein bisschen skeptisch. Ich hätte mich eher über zumindest 3 Monate Pädiatrie zusätzlich und ein paar Monate Interne mehr gefreut. Unterm Strich müssen wir aber froh sein, wenn der Facharzt bzw. die Fachärztin endlich kommt.
Die Diskussion dazu blüht derzeit wieder auf. Für 6 Monate ist die Honorierung gewährleistet, wobei Land, Bund und die Sozialversicherungsträger den Großteil finanzieren und der Rest auf den Praxisinhaber bzw. die Praxisinhaberin entfällt. Bei den 9 Monaten ist das schon nicht mehr gesichert. Ich wäre grundsätzlich auch bereit, mehr zu bezahlen, allerdings ist das System mit Turnusärzt:innen kaum planbar. Wenn jemand die seit zum Teil zwei Jahren vereinbarte und reservierte Ausbildungsstelle – aus welchem Grund auch immer – kurzfristig nicht antritt, steht man für Monate ohne Turnusarzt oder Turnusärztin da, weil so kurzfristig niemand zu finden ist. Bei mir haben jetzt zwei Kolleg:innen hintereinander kurzfristig abgesagt. Ein derart unplanbares System selbst zu finanzieren ist für uns Hausärzt:innen nicht machbar.