Bei den zahlreichen aufregenden Daten, die am ASH präsentiert werden, gerät oft in den Hintergrund, dass viele der neu vorgestellten Therapieoptionen im klinischen Alltag weder zugelassen sind, noch überall auf der Welt uneingeschränkt zur Verfügung stehen. So war es eine wichtige Anmerkung von Phillippe Moreau, dass in einer der Umfragen überraschend viele Teilnehmer für Daratumumab/Lenalidomid/Dexamethason als Erstlinientherapie bei Myelompatienten, primär nicht fit für eine autologe Stammzelltransplantation, gestimmt haben, obwohl diese Kombination derzeit in den meisten Ländern noch vielen Zugangsbeschränkungen unterliegt. Allerdings zeigt sich darin auch, wie gerne meine Kollegen und ich die möglichen Verbesserungen für unsere Patienten, von denen wir am ASH erfahren, in die klinische Praxis umsetzen wollen
Gleich zu Beginn der Session wurden Studien zum Thema high-risk smoldering myeloma präsentiert, wo ich glaube, dass sich hier unser Zugang in der täglichen Routine bald ändern könnte. Hier mehren sich die Daten, dass eine frühe Therapie mit einem deutlichen Benefit für unsere Patienten einhergeht. Bereits durch den frühen Einsatz von Lenalidomid/Dexamethason allein kann einer Verbesserung von PFS und eine bis zu 50%ige Risikoreduktion für das Auftreten von Endorganschäden erzielt werden. Intensivierte Therapieansätzen mit einer Kombination aus Triplettinduktion wie KRd gefolgt von Hochdosistherapie mit Stammzelltransplantation, Konsolidierung und Erhaltungstherapie, versprechen sogar PFS Ergebnisse von 100%, sodass möglicherweise erstmals von einem kurativen Therapieansatz bei Myelompatienten gesprochen werden kann.
Die Frage des Zeitpunktes für einen Therapiestart beim smoldering myeloma wird häufig diskutiert, da man eine „Übertherapie“ mit unnötiger Toxizität vermeiden möchte. Ich denke, durch diese neuen Daten können wir einem frühzeitigen Therapiebeginn nun eher positiv gegenüber stehen. Letztlich müssen aber immer noch Benefit und Toxizität gegen einander abgewogen und die Patientenwünsche berücksichtigt werden. Zudem fehlen weiterhin Langzeitdaten bezüglich des tatsächlichen Vorteils für das Overall Survival.
In der Erstlinientherapie des multiplen Myeloms wurden für Patienten, fit für eine autologe Stammzelltransplantation, Daten gezeigt, wo 4-fach Kombinationen mit dem monoklonalen Antikörper Daratumumab bereits in der Induktionstherapie eingesetzt werden. Dabei konnten durch Zugabe von Daratumumab zu 3-fach Therapien wie VTD in der CASSIOPEIA Studie und VRD in der Griffin Studie die Ansprechraten noch weiter erhöht und – in Bezug auf MRD Negativität – noch weiter vertieft werden. Allerdings konnte dieser Vorteil für Daratumumab, zumindest in der Griffin Studie, nicht für Patienten mit R-ISS 3 und High-risk-Zytogenetik gezeigt werden.
Für Patienten, die primär nicht für eine autologe Stammzelltransplantation in Frage kommen, ist Daratumumab aufgrund der Ergebnisse der MAIA Studie (Dara/Len/Dex v. Len/Dex) bereits in der Erstlinie angekommen. Immerhin zeigte sich hier eine deutliche Verbesserung des PFS für die Kombination mit dem Antikörper (NR für Dara/Len/Dex vs 33,8 Monate für Len/Dex). Bislang hat sie die Empfehlung für die Erstlinientherapie mit VRD für die transplant eligible und transplant non eligible Patienten nicht unterschieden. Da sehe ich nun eine neue Herausforderung auf uns zukommen. Im klinischen Alltag ist es doch häufig so, dass sich erst im Verlauf der Induktionstherapie herausstellt, wie fit ein Patient tatsächlich ist und wie gut therapieassoziierte Toxizitäten oder auch eine Stammzelltransplantation bewältigt werden können. Daratumumab/Lenalidomid/Dexamethason ist aber als Induktionstherapie bislang nicht in Studien evaluiert. Somit sollte ich mir nun bereits vor Einleitung der Induktionstherapie sicher sein, ob ich den Patienten für transplantabel halte oder nicht.
Im Rahmen der Quadruplettherapien als Induktionstherapie, gefolgt von Stammzelltransplantation, Konsolidierung und Erhaltung, war es interessant zu hören, dass sich die Experten einig waren, dass im Anschluss daran eine therapiefreie Zeit für den Patienten einen großen Gewinn darstellen würde. Ob es vielleicht MRD-getriggert einen Zeitpunkt geben kann, die Therapie zu beenden, wird in Studien derzeit evaluiert.
Was den Stellenwert der Stammzelltransplantation anbelangt, gibt es unterschiedliche Zugänge zwischen den USA und Europa. So ist man in den USA eher geneigt, die Stammzelltransplantation bis zum ersten Relapse zu postponieren, wenn der Patient dies wünscht und nicht in die Gruppe der High-risk-Patienten fällt. Persönlich finde ich aber das europäische Konzept sinnvoller, die Stammzelltransplantation als Teil der Erstlinientherapie beizubehalten. In den drei großen Studien, die die Bedeutung der Stammzelltransplantation nach Einsatz so genannter Novel Agents in der Induktionstherapie untersucht haben, war diese stets Teil des Erstlinienkonzepts. Somit sind das die Daten, die wir haben und die weiterhin den Benefit der Transplantation und den der Tandem Transplantation für Hochrisikopatienten belegen. Erwähnenswert ist hier in jedem Fall, dass die autologe Stammzelltransplantation sehr wohl auch bei älteren Patient bis zum 70. Lebensjahr und darüber, sicher durchgeführt werden kann. Entscheidend ist nicht so sehr das biologische Alter, sondern Komorbiditäten und die Frailty/Fitness des Patienten, welche mit adäquaten Scores erhoben werden sollte.
Bezüglich Erhaltungstherapie konnte gezeigt werden, dass besonders die Patientengruppe mit 17p Deletion von einer PI-basierten Erhaltungstherapie profitiert. Dies wird sich ebenfalls in den neuen Guidelines niederschlagen. Hier ist im Hinblick auf die Patientencompliance den gut verträglichen und unkomplizierten Modalitäten der Vorzug zu geben. Neben Bortezomib wurde hier unter anderem Ixazomib als oraler PI in der Maintenance untersucht. Im Vergleich zu Placebo konnte in der Ixazomib Monotherapie ein moderater Vorteil von 5 Monaten bei Patienten nach Stammzelltransplantation gezeigt werden. In der Kombination mit Lenalidomid sind die Daten noch nicht reif, um die Effektivität zu beurteilen. Insbesondere bei PNP als Kontraindikation gegen Bortezomib, steht hier somit eine orale Alternative zur Verfügung.
Bei Therapieentscheidung im relapsierten Setting liegt die Herausforderung weiterhin darin, dass wir keine gesicherten Empfehlungen für Sequenz und Kombination der verschiedenen Substanzen haben. Nun haben wir mit Venetoclax eine Option, wo ein Biomarker zur Verfügung steht, der uns eine Patientengruppe identifiziert, die besonders von dieser Therapie profitiert, nämlich Patienten mit T(11;14)-Translokation und hoher BCL2-Expression. Solche Biomarker würde ich mir natürlich auch für alle anderen zur Verfügung stehenden Therapieoptionen wünschen.
Weiters ist es gut zu sehen, dass viele neue Therapiemöglichkeiten auf dem Gebiet der Immuntherapien in Entwicklung sind, wie etwa Behandlungen, die auf das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA) zielen, bispezifische Antikörper und CAR-T-Zelltherapien. Hier gibt es sehr aufregende, aber auch sehr frühe Daten mit durchaus beeindruckenden Ergebnissen bei multiexponierten und multirefraktären Patienten. Auch neue Immunmodulatoren, etwa Iberdomid, und eine ganze Reihe neuer Proteasominhibitoren zeigen ermutigende Ergebnisse in ersten Phase 1- und 2-Studien.
Zudem sollte man nicht vergessen, die Lebensqualität unserer Patienten in Relation zum erwarteten Benefit bei den verschiedenen Therapieoptionen zu berücksichtigen. So sind Patienten für einen kurativen Therapieansatz sicher bereit, einen hohen Aufwand und mehr Toxizität in Kauf zu nehmen. Geht es aber – insbesondere für viele unserer älteren Patienten – eher darum, ein möglichst gutes PFS und eine gute Lebensqualität trotz der unheilbaren Erkrankung zu erreichen, so ist oralen und möglichst gut tolerablen Konzepten wohl eher der Vorzug zu geben.
Insgesamt war es eine sehr gute Überblicks-Veranstaltung und ich habe viele Hinweise zu weiteren sessions mitgenommen, die ich im Rahmen dieses Kongresses gerne besuchen möchte.