Mitte der 1970er Jahre wurde erstmals das glykierte Hämoglobin (HbA1c) als Surrogatparameter für die glykämische Kontrolle von Diabetes-Patienten vorgeschlagen. Diese Sicht der Dinge setzte sich allerdings relativ langsam durch und die amerikanische Diabetesgesellschaft ADA definierte erst 2010 den HbA1c-Wert als wichtigen Parameter bei Typ-2-Diabetes. Zu diesem Zeitpunkt war die kontinuierliche Glukosemessung (CGM) mittels Sensor bereits verfügbar. In den folgenden Jahren wurden in mehreren Konsensuskonferenzen die Einsatzmöglichkeiten und Zielparameter der CGM definiert. Mit dem CGM steht erstmals eine große Menge an Patientendaten zur Verfügung, deren Analyse genützt werden kann, um glykämische Ziele besser zu definieren. Damit kam auch der Begriff der Zeit im Zielbereich (Time in Range – TiR) ins Spiel, der die glykämische Variabilität besser beschreiben soll, als dies mit HbA1c möglich ist.
Bedarf besteht, denn Studiendaten zeigen, dass beispielsweise eine erhöhte Variabilität der Nüchternglukose mit einem erhöhten Risiko von Hypoglykämien, kardiovaskulären Ereignissen und Mortalität assoziiert ist.1 Alles in allem weist HbA1c als Surrogatparameter eine Reihe von Limitationen auf. So eignet es sich nicht zur Identifikation von Hypoglykämien und Glukosevariabilität. Sehr verschiedene Glukoseverläufe können daher im selben HbA1c-Wert resultieren. Weiters kann HbA1c durch verschiedene physiologische und pathologische Konditionen beeinflusst werden. Vergleiche zwischen HbA1c und TiR zeigen, dass sich die Zielerreichung bei gleichem HbA1c deutlich unterscheiden kann.
Was die Zielbereiche angeht, wurde in den Konsensuskonferenzen definiert, dass sich die meisten Patient:innen mindestens 70 % der Zeit in einem Glukosebereich von 70 bis 180 mg/dl bewegen sollen. Bei älteren Patient:innen wird eine TiR von 50 % akzeptiert, strengere Werte (63 bis 140 mg/dl) gelten in der Schwangerschaft, sowohl bei Typ-1 und Typ-2 als auch bei Gestationsdiabetes. Jede Verlängerung der TiR um jeweils fünf Prozent ist mit klinisch signifikanten Vorteilen assoziiert.2 Allerdings liefert auch die TiR noch kein vollständiges Bild, das noch die Betrachtung der Zeit in (schwerer) Hyper- und Hypoglykämie herangezogen werden muss.
Darüber hinaus bietet die TiR im Vergleich zum HbA1c eine Reihe weiterer Vorteile. So kann sie über eine beliebig wählbare Zeitspanne gemessen werden, während bei HbA1c Perioden von drei Monaten herangezogen werden müssen. Damit bildet die TiR auch kurzfristige Veränderungen, beispielsweise durch Therapieanpassungen, besser ab. Sie ist auch nicht anfällig für Interferenzen, beispielsweise durch unterschiedliche Labors oder patientenbezogene Faktoren wie etwa Anämie. Der einzige Vorteil des HbA1c liegt in seiner in zahlreichen Langzeitstudien dokumentierten Assoziation mit klinischen Endpunkten. Bei der TiR ist Datenlage noch deutlich dünner. Vor allem Langzeitstudien fehlen (noch). Allerdings konnten deutliche negative Assoziationen zwischen der TiR und mikrovaskulären Komplikationen nachgewiesen werden.3 So erhöht sich mit zehn Prozent weniger TiR die Progression einer Retinopathie um 64 % und einer Mikroalbuminurie um 40 %. Eine Studie mit mehr als 2.000 Patientinnen und Patienten zeigte eine Assoziation der TiR mit der Carotis-Intima-Media-Dicke.4
Nicht zuletzt zeigte sich während der COVID-19 Pandemie ein weiterer Vorteil von CGM und TiR: die Daten lassen sich nicht nur speichern, sondern auch leicht zwischen Patient:in und Behandler:in übertragen. Mit weiteren innovativen Techniken wie zum Beispiel Smart Pens, die die applizierten Insulindosen in das Messprotokoll des CGM integrieren, dürfte sich das Diabetesmanagement in den kommen Jahren noch weiter vereinfachen und verbessern lassen.