Der neue Konsensus verfolgt den bereits in seinem Vorgänger-Dokument eingeschlagenen Weg weiter, indem der Fokus noch stärker auf Organprotektion gelegt wird. Die immer besser werdende Datenlage für die Gruppen der SGLT2-Hemmer und GLP-1-Rezeptoragonisten zeigt, dass diesbezügliche Ziele im klinischen Alltag erreichbar sind. Dabei können und sollen diese beiden Substanzgruppen auch kombiniert werden, wenn dies zur Erreichung der glykämischen Ziele erforderlich sein sollte.
Das Management des Typ-2-Diabetes habe sich von simplen glykämischen Zielen zu individuellen Therapiewegen entwickelt, so Univ.-Prof.in Dr.in Susanne Kaser von der Innsbrucker Universitätsklinik für Innere Medizin I. Einen wichtigen Anstoß in diese Richtung lieferte vor vier Jahren eine Publikation, die unterschiedliche Cluster von Diabetespatient:innen definierte, die sich sowohl im Hinblick auf die zugrundeliegende Pathophysiologie als auch auf die Risiken unterschieden.2 Der individualisierte Zugang werde benötigt, so Kaser, da das Mortalitätsrisiko von Diabetespatient:innen in den vergangenen zwei Jahrzehnten zwar gesenkt werden konnte, dabei jedoch immer noch höher liegt als bei Personen ohne Diabetes.
Ungeachtet der Individualisierung wird in den neuen Empfehlungen die Bedeutung der glykämischen Kontrolle betont, die als wichtigster Risikomarker für Menschen mit Diabetes bestätigt werden konnte. Dass eine gute Kontrolle des Blutzuckers nicht nur mikrovaskuläre, sondern auch makrovaskuläre Endpunkte reduziert, zeigt nicht zuletzt eine rezente Auswertung zur UKPDS Studie, in der ein „Legacy Effect“, also ein anhaltender Vorteil durch eine vor Jahrzehnten erfolgte intensivierte Therapie gezeigt werden konnte. Eine weitere kürzlich publizierte Arbeit zeigte, dass sich bei Diabetespatient:innen Zucker- und Gewichtskontrolle stärker auf die Lebenserwartung auswirken als Blutdruck oder Plasmalipide.3 Daher wird im aktuellen Konsensus auch stärker auf die Bedeutung des Gewichtsmanagements hingewiesen, dem in den aktualisierten Empfehlungen der gleiche Stellenwert zugemessen wird wie dem Management des Blutzuckers. In grafischer und tabellarischer Form werden im neuen Konsensus verschiedene Lebensstilfaktoren, ihre Auswirkungen auf die Prognose sowie die dazu vorhandene Evidenz gelistet. Dabei werden auch unterschiedliche Diät-Muster, Intervallfasten, körperliche Bewegung und Schlaf besprochen. Ein für das Management des Typ-2-Diabetes optimierter Lebensstil soll 24 Stunden des Tages abdecken. Dies inkludiert die Empfehlung, zwischen sechs und acht Stunden zu schlafen und mindestens 150 Minuten pro Woche mit moderater Intensität zu trainieren. Explizit wird auf Evidenz hingewiesen, die zeigt, dass eine Reduktion des Körpergewichts um 10% die Chance auf Remission eines Typ-2-Diabetes eröffnet.4
Selbstverständlich in den neuen Therapiealgorithmus eingeflossen sind die großen Endpunkt-Studien der vergangenen Jahre, die für Substanzen aus den Gruppen der SGLT2-Inhibitoren und der GLP-1-Rezeptoragonisten signifikante Reduktionen des kardiovaskulären und des renalen Risikos zeigen und die im Dokument jeweils vorgestellt und erläutert werden. Daraus ergibt sich nun ein zweigeteilter Algorithmus, der zwischen Patient:innen unterscheidet, in deren Management “Organprotektion” an erster Stelle steht. Das sind insbesondere Patient:innen mit bestehender kardiovaskulärer, kardialer oder renaler Erkrankung. In diesen Hochrisikogruppen liegt der Schwerpunkt der Empfehlungen auf den Substanzgruppen der SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Rezeptoragonisten, unabhängig von einer möglichen Verschreibung von Metformin. Bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten kann initial ein SGLT2-Inhibitor oder GLP-1-RA eingesetzt werden. Wird damit das HbA1c-Ziel nicht erreicht, wird die Kombination dieser beiden Substanzgruppen empfohlen. Bei chronischer Nierenerkrankung steht der SGLT2-Inhibitor im Vordergrund. Nur bei Kontraindikation oder Unverträglichkeit kann stattdessen ein GLP-1-RA verwendet werden. Wird damit keine ausreichende glykämische Kontrolle erreicht, besteht ebenfalls Empfehlung für die Kombination dieser Substanzgruppen.
Der zweite „Track“ des Algorithmus beschreibt das Management von Patient:innen ohne besondere Risikofaktoren, bei denen der Schwerpunkt auf bestmöglicher glykämischer Kontrolle und Gewichtsmanagement liegt. Dementsprechend werden antihyperglykämische Therapien inklusive Metformin nach ihrer Wirksamkeit sowie nach ihren Effekten auf das Körpergewicht empfohlen. Können Therapieziele nicht erreicht werden, soll die Therapie zeitnah eskaliert werden. Vor verzögerten oder zu konservativen Therapieentscheidungen (Therapeutic Inertia) wird gewarnt. Liegt das HbA1c bereits bei Diagnosestellung über 8,6 %, so soll bereits initial eine Kombinationstherapie erwogen und dabei antihyperglykämische Medikamente mit komplementären Wirkmechanismen eingesetzt werden. Im hohen Alter oder bei Gefahr von Hypoglykämien sollen Therapien bei Bedarf auch deeskaliert werden.