Therapeutische Ansätze in der Neuroonkologie waren bisher wenig zielgerichtet und personalisiert, und erfassten nicht die komplexen Veränderungen, die auf zellulärer, genetischer und epigenetischer Ebene stattfinden. 2023 markiert das Jahr, an dem sich dies erstmals änderte.
Diffuse Gliome des Erwachsenenalters stellen ca. 20 % aller Tumoren des zentralen Nervensystems dar. Innerhalb dieser Gruppe weisen 18,6 % eine Isocitratdehydrogenase-Mutation (IDH-1- oder IDH-2-Mutation) auf und werden dann als niedriggradigere Gliome bezeichnet.1 Über 80 % der Gliome haben keine IDH-Mutation, die sogenannten IDH-Wiltyp-Tumoren, meistens Glioblastome. Die Mutationen im IDH-1/2-Gen führen zu einer Überproduktion des Onkometaboliten 2-Hydroxyglutarat (2HG), zu epigenetischer Dysregulation, gestörter Zelldifferenzierung und zur Induktion eines immunsuppressiven Tumor-Mikromilieu. Die IDH-Mutationen sind diagnostisch und prognostisch aussagekräftig.
Die Inzidenz IDH-mutierter Gliome ist im jungen Erwachsenenalter höher (Durchschnittsalter 35–45 Jahre). Die Erkrankung geht mit einer hohen sozioökonomischen Erkrankungslast einher. Diese Tumoren weisen trotz generell langsamen Wachstums sehr unterschiedliche Wachstumsdynamik, Entartungsneigung und Rezidiv-Häufigkeit auf. Die dadurch beeinflusste Lebenserwartung nach Diagnose bewegt sich zwischen 7 und 15 Jahren. Die Behandlungsstrategien waren bisher sehr heterogen. Nach chirurgischer Resektion konnte zwischen einer „watch and wait“ Strategie (geringer Resttumor, keine oder wenig klinische Symptome und Alter < 40 Jahre) und auch einer Strahlentherapie bzw. Chemotherapie ausgewählt werden. Die Letzteren sind natürlich mit einer erheblichen Langzeittoxizität vergesellschaftet.2,3
Vorasidenib4 ist der erste orale duale Inhibitor von mutierter IDH1 und IDH2 mit einer exzellenten Penetration der Blut-Hirn-Schranke. Der Wirkstoff führt zu einem signifikanten, > 90 %igen Abfall von 2HG im resezierten Tumorgewebe und in weiterer Folge zu einer niedrigeren Zellproliferation.
INDIGO5 ist die erste Phase-III-Studie, die Vorasidenib gegen Placebo bei Patient*innen mit rezidivierten IDH-mutierten Gliomen WHO ZNS Grad 2 untersuchte, die zuvor einer „watch and wait“ Strategie zugeführt worden wären. Es konnte gezeigt werden, dass es zur anhaltenden Verkleinerung der nicht-Kontrastmittel-aufnehmenden Tumoranteile während der Therapie mit Vorasidenib kommt. Die Zeit bis zur nächsten tumorspezifischen Therapie konnte bei sehr gutem Nebenwirkungsprofil signifikant verlängert werden.
Die Biomarker-basierten zielgerichtete Therapie von ZNS-Tumoren, insbesondere Gliomen, bleibt vorerst bestimmten Subgruppen (ca. 10 %) vorbehalten. Eine erweiterte molekulargenetische Testung und die Diskussion im molekularen Tumorboard sind somit insbesondere bei aggressiven Tumoren wie Glioblastome gerechtfertigt und sollte bereits früh erwogen werden. Es wird mit Spannung auf die zukünftigen Studien zu zielgerichteten Medikamenten gewartet.