360 º Gesundheit: Die Qualität des österreichischen Gesundheitswesens ist hoch

Als nationales Public-Health-Institut versteht sich die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) als führendes Kompetenzzentrum im heimischen Gesundheitswesen. Kernaufgabe ist die methodensichere und evidenzbasierte Entwicklung von Entscheidungsgrundlagen für die Planung und Steuerung. In drei Geschäftsbereichen, dem Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG), dem Fonds Gesundes Österreich (FGÖ) und dem Bundesinstitut für Qualität im Gesundheitswesen (BIQG), sind die vielfältigen Aufgaben verteilt. Sie reichen von Themen wie Krankheiten verhüten oder informierte Entscheidungen zu treffen bis hin zu statistischen und ökonomischen Beurteilungen. Services wie die Vergiftungsinformationszentrale sowie das Widerspruchs-, das Stammzellen- und das Gesundheitsberuferegister werden hier betrieben. Auch das Medizinprodukteregister, ein Onlineportal, in dem Unternehmen ihre Medizinprodukte entsprechend den gesetzlichen Vorgaben kostenlos registrieren lassen, wird von der GÖG geführt.  Ao. Univ.-Prof. Dr. Herwig Ostermann ist seit 2016 Geschäftsführer der GÖG und gibt im Gespräch mit Gerald Gschlössl, AUSTROMED-Präsident, und Mag. Philipp Lindinger, Geschäftsführer von AUSTROMED, Einblick in das umfassende Aufgabenspektrum.

 

 

Welche Rolle hat die GÖG speziell in Bezug auf Patientensicherheit und Qualitätssicherung im Gesundheitswesen?

Ostermann: Wir an der Gesundheit Österreich unterstützen die Planung, Organisation, Steuerung und Qualitätsentwicklung im österreichischen Gesundheitssystem mit entsprechenden Daten und Informationen, zudem forcieren wir die Gesundheitsförderung und Prävention. Dass diese Kompetenzen in einer Organisation gebündelt sind, ist dabei ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal der GÖG. Anders gesagt: Wir betrachten Gesundheitsversorgung aus einem 360-Grad- Blickwinkel.  Insgesamt haben wir ein sehr gutes und sicheres Gesundheitssystem. Unsere Aufgabe ist es, als Institut an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Verwaltung die Entscheidungsträger und Systempartner zu unterstützen.

 

 

Wohin entwickelt sich das Gesundheitssystem aktuell?

Die kommenden Jahre werden wir von drei Trends begleitet sein: Die Bedürfnisse der Menschen in den Gesundheitsberufen sowie ihre Arbeitswelten werden sich massiv verändern, integrative Versorgungsmodelle werden wichtiger und Big Data wird es uns ermöglichen, die Wirksamkeit dieser Ansätze zu überprüfen und die Versorgung der Menschen kontinuierlich weiterzuentwickeln. Uns ist es wichtig, all diese Veränderungen zu begleiten und evidenzbasierten Input für entsprechende Diskussion und Entscheidungen zu geben. Damit trägt die GÖG zu mehr Transparenz und Austausch zwischen den Stakeholdern bei und unterstützt Richtungsentscheidungen für eine qualitätsvolle Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung für alle Österreicherinnen und Österreicher.

Braucht Sicherheit auch Gesundheitskompetenz?

Auf jeden Fall. Informierte Entscheidungen zu treffen ist ein wesentlicher Faktor, wenn es um Patientensicherheit geht. Nur so können die Bürgerinnen und Bürger Fragen der körperlichen und psychischen Gesundheit besser verstehen und gute gesundheitsrelevante Entscheidungen treffen. Wir liefern systematisch erstellte Daten, Auswertungen und Wissen als Basis für informierte Entscheidungen. Dazu betreiben wir eine qualifizierte Beobachtung des Gesundheitssystems und jener Determinanten, die die Gesundheit der Bevölkerung beeinflussen.

In der GÖG laufen viele Themen zusammen. Wie schwierig ist es, die vielen Interessen auf einen gemeinsamen Weg zu bringen?

Es ist dort herausfordernd, wo unterschiedliche Steuerungsebenen zusammenkommen. Das ist aber nicht – wie oft betont – ein österreichisches Spezifikum. Wir sind in viele europäische Arbeitsgruppen eingebunden und sehen dort, dass das auch in Vorzeigeländern wie Schweden oder Niederlanden nicht immer so reibungslos funktioniert. Letztendlich geht es immer um die gleichen Fragen: Wie ordne ich die Institutionen an, welche Funktion hat die Aufsicht, wie wird dokumentiert und wie erfolgt die Qualitätssicherung. Auf dieser Basis gilt es zu klären, wie die Zusammenarbeit organisiert sein muss. Dass es bei neuen Themen immer Herausforderungen und Anpassungsbedarf gibt, liegt auf der Hand.

 

 

Wo liegt zum Beispiel so ein Anpassungsbedarf?

Zum Beispiel wenn es darum geht, Medizinprodukte als Software einzustufen. Das war vor zehn Jahren noch kein Thema, heute stehen wir an der Schwelle zu einer völlig neuen Entwicklung.

Bei welchem Thema haben wir aktuell Handlungsbedarf?

Prinzipiell gilt es innezuhalten: Wir haben ein Hochleistungssystem, dem die Bevölkerung sehr viel Vertrauen entgegenbringt. Es gibt immer wieder Themen, die tagesaktuell wichtig erscheinen. Dabei gilt es aber, genau hinzuschauen, ob es sich um – teils öffentlichkeitswirksame – Einzelfälle handelt oder um systemimmanente Entwicklungen. Wir adressieren in den kommenden Jahren das Thema „value not volume“, das den Blick auf Output und Outcome lenkt, also auf eine ergebniswirksame Versorgung mit Gesundheitsdienstleistungen. Das erfordert schon viel Aufmerksamkeit im Detail, denn „mehr“ ist nicht immer automatisch auch „besser“. Wir müssen uns daher die Fragen stellen: Wie organisieren wir das Gesundheits- und Sozialsystem gut und erreichen den größtmöglichen Nutzen für die Patientinnen und Patienten?

Die Finanzierung aus einer Hand wird schon lange gefordert, wo stehen wir hier?

Das ist tatsächlich ein langwieriges Thema. Wir versuchen, das zumindest von der Steuerungslogik her in der Bundeszielsteuerungskommission umzusetzen. Ich denke, dass die gemeinsamen Bilder existieren. Jetzt braucht es auch die gemeinsamen Interessen, um das Thema in die Praxis zu bringen. Im Jahr 2021 gibt es wieder Finanzausgleichsverhandlungen, da werden wir dann mehr sagen können. Die Gesundheit steht hier ganz klar im Wettbewerb mit anderen Bereichen wie Bildung, Soziales oder Infrastruktur und wir sind gut beraten hier einerseits mit einer Stimme zu sprechen und andererseits Raum für Innovation und auch gemeinsame Finanzierungstöpfe zuzulassen. Einige Ansatzpunkte finden sich in der Art.-15a-Vereinbarung wie etwa im Zusammenhang mit der überregionalen Versorgung und der Primärversorgung. Aber Finanzierung allein reicht häufig nicht aus, vielmehr geht es dann auch um die Systemorganisation, etwa, wenn man sich zum Beispiel die Lage der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in der Allgemeinmedizin ansieht. Da geht es auch um Arbeitsbelastungen oder die unternehmerische Verantwortung, eine Praxis oder ein Primärversorgungszentrum zu führen. Historisch gesehen haben wir häufig noch ein Erwerbsmodell, das stark auf einen – vorwiegend männlichen – Alleinverdiener ausgerichtet ist. Ich denke, dass der Spielraum für neue Ansätze genutzt werden sollte.

Die Medizinprodukte-Industrie arbeitet in einem sehr stark reglementierten Bereich. Das schafft einerseits hohe Sicherheit, andererseits viel teuren Zusatzaufwand. Sind wir übervorsichtig?

Die Industrie will natürlich klare, verlässliche Regeln, hohe Transparenz und Regulierungsgrenzen. Initiativen für neue Regelwerke haben immer Hintergründe und Anlässe. Systeme, die keinen Nutzen, aber viel Aufwand produzieren, sind nicht hilfreich, auch nicht in der Patientenversorgung.

Wir haben eine Reihe von Registern, die hier bei der GÖG bearbeitet werden, unter anderem das Medizinprodukteregister. Bringen die Daten Nutzen für den Patienten oder ist das eine Beschäftigung für Statistiker?

Big Data Analytics ist anspruchsvoll, aber keine Kunst für sich allein, insbesondere vor dem Hintergrund eines abnehmenden Grenznutzens von Daten, der letztlich nur zu mehr Signalrauschen und weniger Klarheit führt. Es muss daher vielmehr darum gehen, aus den Auswertungen passende Versorgungskonzepte abzuleiten. Unstrukturierte Datenmengen, die wir mit unserem Smartphone erheben, bringen wenig. Daten wie etwa Morbiditätsinzidenzen haben dann Sinn, wenn aus Abweichungen auch Systeminterventionen folgen. Das kann zum Beispiel die Installation von Community Nurses sein oder die Zahl von Arztvisiten zu erhöhen. Oder etwa, wenn es darum geht, durch Mustererkennung in Patientenkarrieren seltene Erkrankungen früher zu erkennen und damit auch schneller intervenieren zu können.

Das klingt, als würden wir sehr viel Wissen generieren, aber wenig davon kommt in der Praxis an. Ist das so?

Ich plädiere für ein System ähnlich dem deutschen Innovationsfonds. Hier werden aktuell rund 75 Millionen Euro pro Jahr für Innovationen ausgeschüttet. Wenn sie sich als kosteneffektiv für das Gesundheitssystem erweisen, müssen sie in den Regelbetrieb übernommen werden. Das heißt, hier haben Unternehmen gemeinsam mit öffentlichen Zahlern die Möglichkeit zu pilotieren, Evidenz zu generieren und die Ergebnisse auch in die Praxis zu bringen. Das sind drei wichtige Schritte, um Innovationen im System eine Chance zu geben.

Österreich ist eher innovationsvorsichtig. Wir benötigen mehr Mut und Unternehmertum. Ist das etwas, wo sich die Regierung zuständig fühlt oder müssen wir uns selbst um Innovationspartnerschaften bemühen?

Ich glaube, dass es darauf keine einfache Antwort gibt. Wir müssen uns hier herantasten, gute Beispiele finden, eine Infrastruktur aufbauen. Ein Teil davon ist schon im aktuellen Regierungsprogramm verankert, aber nicht alles. Es muss uns gelingen, die öffentlichen und die privaten Initiativen zu verbinden. Manchmal ist es hilfreich, eine nationale Strategie zu verabschieden. Das bringt Systempartner zusammen und hat gemeinsam mit mutigen und starken Ansagen einen gewissen Wirkungsgrad. Es gibt hier leider keine Quick-Wins, da braucht man schon einen längeren Atem.

Hat die GÖG Wünsche an die Zusammenarbeit mit der Medizinprodukte-Industrie?

Obwohl die Branche sehr heterogen ist, haben wir ein konstruktives gemeinsames Arbeitsklima, zum Beispiel beim Medizinprodukteregister. Wir stehen auch gerne als Partner zur Verfügung, wenn es darum geht, bestimmte Prozesse zu erleichtern, die durch die neuen Medizinprodukte-Verordnungen erforderlich sind.

 

Fotos: Oliver Miller-Aichholz