In der Behandlung von Verletzungen nach Traumata, Tumoren oder Knochenläsionen spielen rekonstruktive Implantate eine große Rolle. Derzeit werden diese Implantate meist klinikextern gefertigt und ein zeitnaher oder zeitgleicher Einsatz des Implantats ist nicht möglich. Einen neuen Weg geht hier die Medizinische Universität Graz in Kooperation mit der Montanuniversität Leoben: Die Experten setzen auf die Fertigung von passgenauen Schädelimplantaten aus dem 3D-Drucker während einer laufenden Operation. In zwei bis sechs Stunden – je nach Größe des Implantats, Material und zusätzlichen Biofunktionen – ist das Produkt fertig zum Implantieren.
Zum Start wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „iPrint“ ein FFF-basierter (Fused Filament Fabrication) 3D-Drucker entwickelt, mit dem erstmals aus dem medizinisch zugelassenen thermoplastischen Kunststoff PEEK ein Implantat generiert werden konnte. Gegenstand der Forschung ist auch die Entwicklung einer Schnittstellen-Software für die automatisierte Umschreibung von Daten aus dem Computertomografen (DICOM) in ein druckbares STL-Format. Schließlich analysieren die Forscher auch die Biokompatibilität und die mechanischen Eigenschaften der gedruckten Implantate. „Wir konnten zeigen, dass 3D-gedruckte PEEK- und PP-Implantate mechanisch mit humanen Knochen vergleichbar sind und keine inflammatorischen Reaktionen hervorrufen“, gibt DDI Matthias Katschnig vom Lehrstuhl Kunststoffverarbeitung an der Montanuniversität Leoben Einblick. In der Verantwortung der Leobener Kunststofftechnik liegen das Implantatdesign, die Werkstoffentwicklung und der Druck. Für den Maschinenbau zeichnet Hage3D verantwortlich, das Implantatdesign und klinische Studien liegen in der Hand der Neurochirurgie an der Medizinischen Universität Graz.
Eine wichtige Komponente für den erfolgreichen Einsatz von Do-it-yourself-Medizinprodukten aus dem Drucker ist die Biofunktionalität des Implantatmaterials. Grundvoraussetzung ist die Biokompatibilität, da es sonst zu unerwünschten Reaktionen wie Entzündungen oder Biokorrosion des Implantats kommen kann. „Biokompatible Werkstoffe sollen sich im Körper nicht nur inert verhalten, sondern zielgerichtete Interaktionen mit dem humanen Gewebe eingehen. Dies ist mit dem heutigen Materialstandard, der stark durch die Einsetzbarkeit im jeweiligen Implantat-Herstellungsverfahren limitiert ist, sehr bedingt möglich. Es stehen derzeit deshalb grundsätzlich nur zwei Materialien kommerziell zur Verfügung, der Hochleistungskunststoff PEEK und das Metall Titan. Andere Werkstoffe, wie ultrahochmolekulargewichtiges Polyethylen oder Polymethylmethacrylat, sind noch in der Erprobung“, weiß Katschnig. Eine Diversifikation an einsetzbaren Materialien wäre gerade im Hinblick auf den Trend zur personalisierten Medizin wünschenswert.
Keramik hat viele Vorteile: Sie ist bio-inert oder bio-resorbierbar, nicht-allergen, verfügt über geringe Wärmeleitfähigkeit und ist im Vergleich zu Kunststoff leicht zu sterilisieren. Das Material verfügt über keine elektrische Leitfähigkeit und verursacht keine Artefakte bei MRT- oder Röntgen-Untersuchungen.
Die Vorteile der additiven Fertigungstechnologie „Fused Filament Fabrication“ fasst Katschnig zusammen: „Das Handling ist einfach, denn es gibt keine Pulverreste und es sind kaum Nachbearbeitungen erforderlich. Wir können damit eine hohe Baurate und eine präzise Fertigung garantieren.“ Dennoch ist derzeit noch eine Reihe offener Fragen zu klären, die gerade im Lichte der neuen Medizinprodukteverordnung durchaus wesentlich sind: Wer im OP hat die erforderlichen Ressourcen und Kompetenzen dafür, wer haftet oder wie wird das Qualitätsmanagement sichergestellt?
„Basierend auf den aktuellen Ergebnissen soll die Technologie noch im Laufe dieses Jahres für den intraoperativen Druck in der Klinik etabliert werden. Der Fertigungsprozess, der eine intraoperative, klinikinterne Herstellung patientenspezifischer Implantate ermöglicht, würde die Kranialplastik signifikant optimieren und die Kosten dieser Behandlungen für das Gesundheitswesen senken“, ist Katschnig überzeugt.
Die Wiener Lithoz GmbH ist Systemanbieter für 3D-Druck aus Keramik. Von der Fertigung des Druckers über den gesamten Prozess bis zur Materialentwicklung wird das Know-how aus vielen Branchen, in denen Hochleistungskeramik eingesetzt wird, auch der Medizin zugänglich gemacht. „In Machbarkeitsstudien zeigen wir, was geht und wo Grenzen sind. Kunden schaffen dann den Drucker selbst an oder lassen bei externen Dienstleistern produzieren. Wir selbst stellen keramische Produkte her, aber nur als Prototyp, um die Druckerleistung zu demonstrieren“, erklärt DI Dr. Daniel Bomze, Business Developer Medical, Lithoz GmbH, einem Spin-off der TU Wien. 3D-Keramiken sieht er überall dort im Kommen, wo eine Herstellung im klassischen Spritzgussverfahren nicht ideal ist, etwa weil besonders kleine Bohrungen erforderlich sind, die hier gleich präzise „mitgedruckt“ werden können. „Es gibt oft komplexe Formen, die durch Fräsen, Drehen oder Bohren gar nicht erzielt werden. Hier eröffnet die additive Fertigung einen großen Markt“, so Bomze.
3D-Implantate haben aus Sicht des Experten aber noch einen weiteren Vorteil: „Jeder Arzt hat sehr individuelle Herangehensweisen an den Eingriff und die Vorstellungen, wie das Implantat beschaffen sein soll. Wir entwickeln mit dem Arzt gemeinsam sowohl das Material als auch das Fertigungsverfahren. Dazu holen wir noch Berater aus der Implantattechnik, um das bestmögliche Know-how zu bündeln.“ Die Daten, die an den Drucker geschickt werden, können Ärzte selbst am Computer generieren oder werden aus der Computertomografie sowie der Magnetresonanztomografie umgewandelt. Auch Oralscanner, die 3D-Bilder liefern, sind bei Zahnärzten mittlerweile State of the Art. Während die Schädelplatten derzeit noch im Versuchsstadium sind, werden etwa Hörgeräteschalen oder Zahnspangen zu einem Großteil über additive Fertigung hergestellt.
Wertschöpfungsketten stehen auch im Mittelpunkt des Austrian Institute of Technology (AIT), wenn es um die Zukunft von 3D-Anwendungen in der Medizin geht. „Hier unterscheiden wir unterschiedliche Felder. Einerseits gibt es Produkte wie Implantate oder Prothesen, hier steht noch viel Entwicklungsarbeit bevor. Während in den USA oder in Großbritannien bereits 3D-Implantate etwa im Schädel oder in Hüften eingesetzt wurden, steht Österreich noch am Anfang“, weiß Univ.-Prof. Dr. Karl-Heinz Leitner vom Center for Innovation Systems & Policy am AIT. Darüber hinaus sind 3D-Produkte als Hilfsmittel oder maßgeschneiderte Werkzeuge durchaus gebräuchlich. Und schließlich gibt es Anwendungen in der Aus- und Weiterbildung, die es ermöglichen, an „echten“ Nachbildungen zu üben. Aufholbedarf sieht auch Karl-Heinz Leitner in den verfügbaren Materialien sowie der Aus- und Weiterbildung: „Wir müssen das Thema dringend in den Studienplan integrieren.“ Gewisse Barrieren ortet der Experte auch in der Zertifizierung und Zulassung und der Finanzplanung in den Spitälern: „Eine gute Investitionsplanung ist wichtig. Oft ist es schwer zu beurteilen, wo die finanziellen Vorteile liegen und welche personellen Ressourcen oder Prozessänderungen damit Hand in Hand gehen müssen“, so Karl-Heinz Leitner.
Ein fundamentales Umdenken wird aber nicht nur in der Medizin stattfinden müssen. „Auch Techniker, die es gewohnt sind, zu fräsen, zu schleifen oder zu bohren, also mit herkömmlichen Methoden zu arbeiten, müssen umlernen. Das Design von 3D-Medizinprodukten stellt völlig andere Anforderungen an das Produkt und sein Material als die subtraktive Fertigung“, fasst Katschnig zusammen. Dazu kommt, dass viele Anwendungen noch gar nicht „gedacht“ sind, die durch die additive Fertigung erst möglich werden. Learning by doing und ein großes Maß interdisziplinärer Forschung und Zusammenarbeit werden die Marktentwicklungen kennzeichnen.