Schon der Titel der Tagung „Chirurgie an den Grenzen der Möglichkeiten – von Minimalinvasivität zu Maximalresektion“ verrät die große inhaltliche Spannweite und deckt dennoch nicht alles ab. So gibt es mittlerweile nicht nur die MIC (Minimal Invasive Chirurgie), sondern auch die „minimal MIC“ in Form von „ SILS“ (Single Incision Laparoscopic Surgery – Eingriffe im Abdomen nur über einen einzigen, minimalinvasiven Zugang) oder sogar „NOTES“ (Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery), bei der natürliche Körperhöhlen wie etwa die Scheide als Zugang gewählt werden. Eine kosmetisch besonders attraktive Variante, die gleichsam gänzliche Narbenfreiheit ermöglicht. Speziell zu diesen Themen geladen ist der Schweizer Experte Prof. Dr. Philippe Morel von der Universitätsklinik Genf. Zugänge dieser Art eignen sich für zahlreiche Eingriffe im Abdomen – sowohl Ober- als auch Unterbauch. Eigentlich in der gynäkologischen Chirurgie „erfunden“, traten sie ihren Siegeszug in vielen Bereichen an. In das Themenfeld der Minimalinvasivität fällt auch der Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Shahrokh Shariat, des neuen Leiters der Universitätsklinik für Urologie an der MedUni Wien, der über die Einsatzmöglichkeiten des Telemanipulators in der minimalinvasiven Chirurgie, der sogenannten „Robotchirurgie“, sprechen wird.
Shariat wird sich aber auch unter dem Titel „How to Become an Academic Surgeon“ dem wissenschaftlichen chirurgischen Nachwuchs widmen. Das zielt in eine ähnliche Richtung wie die Ausführungen von Prof. Jonothan Earnshaw, der in seinem Referat „How to Write a Paper to Be Published in the British Journal of Surgery“? dazu Anleitung geben wird, wie eine wissenschaftliche Arbeit umgesetzt werden muss, um in hochrangigen internationalen Fachjournalen Beachtung zu finden. Die Sprache Englisch ist da heute kein Zugangskriterium mehr, klare Struktur, die Vermeidung von Fehlern, Missverständnissen, Ungeschicklichkeiten sowie die geeignete Präsentation der Resultate sind weitere Faktoren.
Die Österreichische Gesellschaft für Chirurgie betreibt intensiv Nachwuchsarbeit – fast wie in einem internationalen Fußballklub, wo auch hochrangige Profis die Jugend trainieren. Aus gutem Grund, denn die Veränderungen, die die Chirurgie in den letzten beiden Jahrzehnten durchlaufen hat, sind erheblich. „Das Fach in der „allumfassenden“, archaisch heroischen Form, wie es in den Köpfen der Menschen noch existiert, gibt es längst nicht mehr. Es wurde daraus spezialisierungsbedingt eine erhebliche Zahl von letztlich schon ganz eigenen chirurgischen Fächern. „Diese Diversifizierung ist nicht umkehrbar, da führt kein Weg zurück!“, meint Kongresspräsidentin Smolle-Jüttner und ergänzt: „Auch Patienten verlangen heute immer mehr die Hand der ausgewiesenen Spezialisten – und das mit allen Konsequenzen.“
Das ist aber nur ein Detail eines Entwicklungsprozesses. Auch die Bürokratie reicht mittlerweile bis in den kleinsten OP. Unter den Stichworten „Dokumentation“, „Standardisierung“ oder „Prozessqualität“ verbirgt sich Aufwand, der etwa in Deutschland großteils bereits von der eigens ausgebildeten Berufsgruppe der Dokumentationsassistenten ausgeübt wird. Selbstverständlich ist jede Methode zu begrüßen, die die Fehlerquote bei medizinischen Handlungen auf ein Minimum reduziert, selbstverständlich ist die transparente, nachvollziehbare Darstellung der Abläufe wünschenswert, doch bewirkt eine derartige Entwicklung nicht eine Art Angstparalyse? Smolle-Jüttner: „Wenn die jungen Kollegen im Studium das erste Mal zu uns kommen, wollen sehr viele Chirurgen werden – einem romantischen Ärztebild aus dem Beginn des letzten Jahrhunderts folgend. Steigt der Einblick, entwickelt sich vielfach eine Abkehr, bedingt durch Erkennen von Risiko, Bürokratieaufwand – und Angst. Ein Kollege hat kürzlich treffend formuliert, der Nachwuchs hätte derartig viel Angst etwas falsch zu machen, dass das Richtige nicht mehr erlernt würde.“
Was Smolle-Jüttner stört: „Bei dieser Entwicklung geht Prozessqualität deutlich vor Ergebnisqualität. Letztlich ist es relativ einfach, Prozesse jeglicher Art zu standardisieren, aber praxistauglich im Hinblick auf Fehlervermeidung ist das in vielen Fällen, trotz erheblichen Aufwands, nicht unbedingt. Pointiert gesagt könnte man nach einem identen, standardisierten Verfahren, in letzter Konsequenz anstatt Semmelknödeln auch Kanonenkugeln produzieren. Beste Prozessqualität – katastrophale Ergebnisqualität.“
Provokant der Schluss ihrer Ausführungen, denn letztlich macht die Angst vor den Dienstzimmern der Chirurgen nicht halt, sondern pflanzt sich schleichend fort in die Etagen des Managements, der Spitalserhalter. Auch dort werden die Gesichter eisig, wenn es zu gerichtlicher Verfolgung kommt. Smolle-Jüttner sieht höchsten Bedarf, „Druck aus dem System zu nehmen“. Das könnte durch die vielleicht prima vista unattraktive Variante einer verschuldensunabhängigen Wiedergutmachung geschehen. Wenig attraktiv für die Ärztejagdgesellschaften, aber möglicherweise beruhigend in einer Welt, in der es im Alltag den standardisierten Patienten weder gibt noch je geben wird.
All das geschieht nahezu völlig außerhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Auf Patientenseite wird die Entwicklung vor allem dadurch erlebt, dass sich die Ärzte vermeintlich weniger um die Kranken kümmern. Kein Wunder, angesichts der immer weiter zunehmenden Bürokratie, die ihnen Zeit raubt, die sie lieber ihrer eigentlichen Tätigkeit widmen würden und mit Sicherheit auch sollten, denn letztlich spielt es im Erleben der individuellen Patientenrealität keine Rolle, wer im Hintergrund dieses Spiel „gewinnt“ – die Bürokratie oder die Praxistauglichkeit.
NACHGEFRAGT BEI…
… Christian Pree, Division Manager der Sparte Aesculap bei B. Braun und Sprecher der Branchengruppe Chirurgie der AUSTROMED
Im Wesentlichen kümmern wir uns um das Festlegen von hohen Qualitäts- und Sicherheitsstandards. Dazu gehört die gemeinsame Erarbeitung neuer Normen und Regulative mit Behörden, wissenschaftlichen Institutionen und Fachverbänden im Gesundheitswesen.
Einerseits sind wir in den aktuellen Kongress insofern eingebunden, als wir versuchen, gemeinsam das Beste für Aussteller und Besucher zu finden – sowohl von den Inhalten als auch vom organisatorischen Ablauf. Darüber hinaus ist es wichtig, dass auch Ärzte und Anwender gemeinsam eingebunden sind, wenn es um die Entwicklung neuer Produkte und innovativer Anwendungen geht. Auch die Industrie hat gewisse Anforderungen an die Anwender und umgekehrt – hier kann es nur zu Fortschritt kommen, wenn wir uns abstimmen und versuchen, diese gegenseitigen Bedürfnisse zu kennen und bestmöglich in praktische Anwendungen einfließen zu lassen.
Besonders wichtig ist es uns, den Service- und Dienstleistungsaspekt der Medizinprodukteberater zu unterstreichen und richtig darzustellen, damit die Anwender auch einen Vorteil sehen. Die speziell ausgebildeten Medizinprodukteberater der heimischen Unternehmen tragen wesentlich dazu bei, das hohe Qualitäts- und Innovationsniveau aufrechtzuerhalten.
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55. Österreichischer Chirurgenkongress
25.-27. Juni 2014, Graz
„Chirurgie an den Grenzen der Möglichkeiten – von Minimalinvasivität zu Maximalresektion“ – diese Thematik berührt heute nahezu alle Fachgebiete, die sich im Spannungsfeld der Tendenz zu immer kleineren, immer weniger traumatisierenden Zugangswegen einerseits und der grundsätzlichen technischen Möglichkeit zu immer extensiveren Resektionen bzw. Eingriffen sehen. Weder die grundsätzliche Machbarkeit von Minimalinvasivität noch von sehr ausgedehnten Resektionen wird heute infrage gestellt. Dennoch sind die Grenzen sowohl von minimalinvasivem als auch maximal resektivem chirurgischen Vorgehen in beide Richtungen auszuloten: Wo enden die technische Durchführbarkeit bzw. Sinnhaftigkeit minimalinvasiver Eingriffe? In welchen Situationen profitieren Patienten längerfristig von extensiven, organüberschreitenden Resektionsformen? Wie sind in diesem Kontext die finanziellen Aspekte der Therapien zu sehen?