Unter dem Titel „Alter(n) – Chance und Herausforderung“ fand vom 21. bis 23. März 2013 in Wien der 53. Österreichische Geriatriekongress statt. Für Primaria Dr. Katharina Pils, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie (ÖGGG) sowie Leiterin des Instituts für Physikalische Medizin und Rehabilitation im Wiener Sophienspital, war es eine ganz spezielle Auflage, immerhin handelte es sich um den ersten großen Kongress nach der Schaffung des Additivfaches Geriatrie. Aus diesem Grund waren auch zahlreiche Fachgesellschaften involviert – insbesondere natürlich jene Fächer, denen Geriatrie nun als Additivfach zugänglich ist: Innere Medizin, Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Physikalische Medizin und Allgemeine Rehabilitation sowie Allgemeinmedizin.
Auch die Vernetzung über die Grenzen hinaus funktioniert bestens: Während die ÖGGG zusammen mit der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) bereits zum achten Mal als Veranstalter auftrat, fungierten die Schweizerische Fachgesellschaft für Geriatrie, die European Union Geriatrie Medicine Society und andere mehr als Kooperationspartner. Entsprechend international präsentierte sich die Liste der Referenten: Neben zahlreichen Kapazitäten aus Österreich und Deutschland waren unter anderem Schweizer Experten vertreten. Als Ehrengast war die weithin anerkannte Delir-Spezialistin Prof. Sharon Inouye von der Harvard Medical School in Boston (USA) anwesend, was die Bedeutung eines der Top-Themen unterstrich: der Grenzbereich zwischen Demenz und Delir. „Speziell in diesem Bereich muss besonders sensibel mit den Betroffenen umgegangen werden, da sie in ihrer Hirnleistung grenzkompensiert sind. Ein kritischer Punkt ist etwa die Spitalsaufnahme – eine Situation, bei der ein Delir ausgelöst werden kann“, warnt Pils. Positive Informationen und das frühe Einbeziehen der Angehörigen können dies verhindern. Ferner sollte darauf geachtet werden, dass der Patient zum Beispiel Hörgerät oder Brille trägt, damit er Informationen, die er bei der Aufnahme erhält, auch verarbeiten kann.
Viel Aufmerksamkeit wurde auch der Ernährung gewidmet, wie alles in der Geriatrie eine überaus komplexe Angelegenheit. Bei betagten und hochbetagten Menschen kommt es häufig zu Mangelerscheinungen, da sie anders bzw. weniger essen und mitunter Funktionseinschränkungen aufweisen. Chefarzt Univ.-Prof. Cornel C. Sieber vom Klinikum Nürnberg-Nord behandelte in einem seiner Vorträge das Thema der Nahrungssupplemente, Dr. Bettina Göbel von der Arbeitsgemeinschaft für klinische Ernährung zeigte die Vor- und Nachteile von Abnehmen im Alter auf, Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner, Primarärztin der Inneren Abteilung am Landeskrankenhaus Hochzirl sowie Vorstandsmitglied der Österreichischen Diabetesgesellschaft, befasste sich mit „Ernährung bei Diabetes“ und Primar Dr. Andreas Winkler von der Klinik Pirawarth mit Ernährung bei der Behandlung der Alzheimer-Erkrankung.
Allein: Es geht nicht nur darum, ob der Mensch das Essen (noch) beißen, schmecken oder riechen kann, sondern ob er in der Lage ist, dieses selbst zu besorgen und zuzubereiten. In diesem Zusammenhang spielt zudem die Muskulatur eine wesentliche Rolle, die jedoch durch weniges Essen und funktionelle Beeinträchtigungen geschwächt wird. „Diesen Negativkreislauf gilt es, zu durchbrechen oder gar nicht erst entstehen zu lassen“, verdeutlicht Pils. Dass Muskeltraining bis ins hohe Alter sinnvoll und möglich ist, zeigte das im Rahmen des Kongresses abgehaltene Symposium der Österreichischen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation, bei dem etwa Primar Univ.-Prof. DDr. Helmut Kern vom Wilhelminenspital über das Muskeltraining im Alter referierte.
Eine, laut Katharina Pils, sehr fragile Grenze stellt die Frage nach „Versorgung oder Betreuung“ dar: „Es beginnt immer ganz harmlos: Die Betroffenen können ihre Einkäufe nicht mehr nach Hause tragen oder Dinge über Kopf nicht mehr tun.“ Und die ewige Krux sei eben die Betreuung: Anfangs kommen Angehörige und Bekannte gerne vorbei, um zu helfen, doch irgendwann befinden sich die betreuenden Personen in einem sogenannten Betreuungskontinuum und sind womöglich sogar Burn-out-gefährdet. Eine Materie, die jeden Bereich der Geriatrie betrifft und dementsprechend bei zahlreichen Referaten und Diskussionsrunden des Kongresses thematisiert wurde.