Die Orthopädietechnik ist trotz der technologisch rasanten Entwicklungen innerhalb der Branche bis heute europaweit ein klassisches KMU-Gewerbe mit einer starken regionalen Komponente geblieben. Grenzüberschreitende oder gar multinationale Expansionen bzw. Zusammenschlüsse wurden zwar immer wieder einmal versucht, konnten sich aber kaum etablieren. Zu unterschiedlich sind die Strukturen der Gesundheitsversorgung.
In Österreich gibt es aktuell, rechnet man die Filialen nicht mit, noch immer fast 130 Hauptbetriebe. Zwei Branchenführer konnten sich über die Bundesländergrenzen hinaus etablieren Die marktführende Heindl-Gruppe verfügt über 52 Filialen, tritt unter der Marke „Heindl“ in Oberösterreich und Tirol sowie unter „Helnwein“ in Niederösterreich und unter „Egger & Co KG“ in der Steiermark und im Burgenland am Markt auf. Spezialisiert hat sich die Heindl-Gruppe auf den klassischen Home Care-Markt, also auf Kunden, die im Wesentlichen zu Hause betreut werden, nebenbei wird auch der Großhandel zunehmend ausgebaut. Heindl setzt mit knapp 360 Mitarbeitern rund 42 Millionen Euro um. Der zweite Big Player mit einem starken Schwerpunkt in Ostösterreich ist „Bständig“ mit 31 Standorten in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland. Umsatz- und mitarbeitermäßig ist Bständig mit Heindl durchaus vergleichbar, gewichtet seine geschäftlichen Aktivitäten aber mehr in Richtung Großhandel. „Die Ausrichtung des Geschäfts hat auch stark mit den strukturellen Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern zu tun“, sagt Mag. Heinz Illetschko von der Bandagist Heindl GmbH, Berufsgruppenobmann der Orthopädietechniker und Bandagisten in der Innung der Gesundheitsberufe: „In Tirol etwa sind Alten- und Pflegeheime als Kunden nahezu unbedeutend, in der Steiermark wiederum, wo es eine dichte Landschaft kleiner, zum Teil privater Pflegeheime gibt, ist der Geschäftsbereich deutlich stärker.“
Die beiden heimischen Branchenführer haben auch im internationalen Vergleich eine beachtliche Größe. Nur wenige Unternehmen in Europa verfügen heute über eine ähnlich starke Marktposition und Größenordnung.
Ursprünglich lag das Hauptgeschäft der Orthopädietechniker auf der Produktionsseite, der Handel naschte als „Nebenprodukt“ nur am Rande mit. Inzwischen hat sich das Verhältnis aber umgekehrt. Der Handel macht heute den Großteil des Umsatzes aus. „Bis vor 30 Jahren hat es praktisch keine konfektionierte Ware gegeben, alles wurde ganz individuell werkstättengefertigt“, erzählt Illetschko. „Heute verfügen alle Betriebe sowohl über eine Handelsschiene als auch eigene Werkstätten. Der Umsatzanteil der in den Werkstätten gefertigten Produkte ist aber auf maximal 15 bis 20 Prozent des Gesamtumsatzes gesunken. Prothesen, Korsette, Sitz- bzw. Liegeschalenorthesen sowie Beinorthesen werden nach wie vor in Handarbeit nach Gipsabdruck bzw. elektronischer Modellabnahme durch Scanner für den Patienten hergestellt.“
In der Regel verläuft der Geschäftsablauf wie folgt: Der behandelnde Arzt stellt dem Patienten eine Verordnung aus. Damit kommt dieser – oder dessen Angehörige – zum Orthopädietechniker und holt sich das entsprechende Produkt. Abgesehen vom jeweils vereinbarten Selbstbehalt erfolgt die Bezahlung mittels Direktverrechnung zwischen Handel und Sozialversicherung. Es kommt aber immer wieder vor, dass Patienten direkt in die Filialen kommen, um sich hier vorab über Möglichkeiten und Produkte zu informieren und entsprechend individuell beraten zu lassen – auch darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen es überhaupt eine Chance gibt, dass die Sozialversicherung die Kosten übernimmt. Erst mit diesen Informationen ausgestattet, gehen sie dann zum Arzt. Dieser entscheidet anschließend, ob aufgrund seiner Untersuchung eine entsprechende Verordnung ausgestellt wird.
Neben den Patienten selbst und den Ärzten sind vor allem auch die professionellen Pflegeorganisationen wichtige Kooperationspartner für den Orthopädiefachhandel. Ein intensiver Kontakt wird auch mit den Care Managern in den einzelnen Krankenhäusern gepflegt. Diese stellen heute einen zentralen Schnittpunkt zwischen Patient und Orthopädietechnik dar, bestätigt Illetschko: „Durch die Etablierung der Care Manager und deren gute Ausbildung hat sich die Situation für Spitalspatienten in den letzten Jahren deutlich verbessert. Gemeinsam mit ihren Angehörigen werden sie wesentlich besser auf ihre Entlassung vorbereitet, was die Planung und Organisation der dafür benötigten Orthopädietechnik erleichtert.“
Der Lehrberuf Orthopädietechniker erlaubt drei Spezialisierungen: Prothetik, Orthetik und Reha-Technik, zum Beispiel Rollstühle oder Krankenbetten. Innerhalb der dreieinhalbjährigen Lehrzeit müssen zwei der drei Module als Ausbildungsschwerpunkte gewählt werden. Obwohl der Beruf kollektivvertraglich relativ gut dotiert ist, plagen die Branche massive Nachwuchsprobleme, erzählt Illetschko: „Lehrlinge zu finden wird zunehmend zu einer großen Herausforderung. Ich suche permanent und immer Lehrlinge. Nicht nur die Quantität des Angebots ist dabei leider sehr beschränkt, auch die Qualität: Früher haben wir uns fünf bis zehn Schnupperlehrlinge angesehen, um daraus zumindest einen Lehrling auszuwählen. Heute brauchen wir mindestens die doppelte Anzahl von Schnupperlehrlingen, um möglicherweise einen Lehrling zu finden.“
Der Mangel ruft kreative Suchstrategien auf den Plan. Die Heindl-Gruppe etwa, die derzeit 70 junge Mitarbeiter ausbildet (neben den Orthopädietechnikern auch Orthopädieschuhmacher, Sanitätsfachverkäufer und Bürokaufleute), spricht gezielt Schulabbrecher der Gymnasium-Oberstufen an, auch Maturanten, die anschließend eine Lehre beginnen wollen.
Der Berufsgruppenobmann spricht sich aber klar gegen eine da und dort diskutierte Ausbildung im Rahmen einer Fachhochschule aus: „Ich persönlich kann mit dieser Art einer verschulten Ausbildung nichts anfangen, bin ein Verfechter der klassischen dualen Ausbildung. Die großen Erfolge der heimischen Lehrlinge bei internationalen Vergleichen und Wettbewerben, etwa Berufsweltmeisterschaften, bestätigen die gute Qualität unseres Ausbildungssystems.“
Ergänzend kommt den betriebsinternen Schulungen eine wesentliche Bedeutung zu, vor allem bei den Sanitätsfachverkäufern. „Für diesen Beruf ist sehr viel Know-how notwendig“, erläutert Illetschko, „weil die Verkäufer gleichzeitig mit einer sehr breiten Produktpalette mit hohem Beratungsbedarf, einer Vielzahl an Sozialversicherungssystemen mit unterschiedlichsten Modalitäten sowie einem schwierigen Kundenklientel konfrontiert sind.“ Es sei aber gleichzeitig auch ein „sehr schöner Beruf“, eine Tätigkeit mit hohen Ansprüchen und großen Perspektiven, denn „wo sonst kann ich direkt mit den Patienten arbeiten, bin zugleich kompetenter Gesprächspartner und kommuniziere auf Augenhöhe mit Ärzten, Spitalsmanagern und Repräsentanten großer Institutionen?“