Die Frage beinhaltet einen wesentlichen Denkfehler: Der Standort darf nicht mit nationalen Grenzen gleichgesetzt und isoliert auf die Wirtschaft betrachtet werden. Es braucht Regionen der Zusammenarbeit, wie zum Beispiel Silicon Valley oder die Boston Area. In Österreich wäre das zum Beispiel die Bodenseeregion oder der Wiener Raum bis nach Brünn. Die nationalen Grenzen treten in den Hintergrund. Die Frage muss lauten, was eine Region ausmacht und ob es für Investitionen eine hinreichende Attraktivität gibt. Das ist wichtig, denn solche regionalen Verbünde und grenzüberschreitenden Cluster fördern ja nicht nur die Wirtschaft. Es geht um den Standortbegriff insgesamt, der um zentrale Elemente wie Bildung, Forschung oder Wissenschaft und in weiterer Folge Infrastruktur und institutionelle Rahmenbedingungen erweitert werden muss.
Österreich hat eine leistungs- und konkurrenzfähige Industrie mit vielen „Hidden Champions“. Diese industrielle Basis und Standortattraktivität gilt es zu erhalten und zu fördern. Insbesondere für kleine Volkswirtschaften ist ein florierender Außenhandel der Königsweg geworden, um in einer vernetzten Weltwirtschaft zu punkten. Die Euphorie über die von Jahr zu Jahr wachsenden Exporterfolge hat jedoch auch strukturelle Mängel zugedeckt, die seit vielen Jahrzehnten bestehen. Fast parallel zu den Exporten sind auch die Importe gestiegen. Es gibt viel zu wenig Risikokapital. Wenn junge Menschen eine Firma gründen wollen, haben sie es schwer, einen Kredit zu bekommen, eine Firmengründung gleicht einer Staatsaffäre. Wer einmal gescheitert ist, sollte nicht als jemand gesehen werden, der versagt hat, sondern als jemand, der es zumindest probiert hat.
In Österreich hatte industrielle Tätigkeit nie ein besonders hohes gesellschaftliches Prestige. Seit der Monarchie mangelt es nicht nur an privatem, für Industrieprojekte zur Verfügung stehendem Kapital, sondern auch an kompetenten Unternehmerpersönlichkeiten. Warum in Österreich die Gruppe selbstbewusster, eigenverantwortlicher und eigeninitiativer Menschen zu klein geblieben ist, ist also aus der Geschichte zu sehen. Es muss Rahmenbedingungen geben, um ein selbstbewusstes Bürgertum – heute spricht man vom Mittelstand – zu ermöglichen, das Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit hat, kontroverse Debatten nicht scheut, optimistisch in die Zukunft blickt sowie Probleme aus eigener Kraft lösen will und kann.
Bei allen Modernisierungsschüben, die wir erlebt haben, ist die Skepsis gegenüber allzu eifrigen Reformern immer bestehen geblieben. Die Diskussion über neue Ideen wird meist in kleinen Zirkeln geführt. Kommt es zu entscheidenden Schüben, dauert es oft Jahrzehnte, bis die positiven Effekte wettbewerbspolitischer Reformen einer breiten Masse sichtbar werden. Große Reformprojekte sind immer mit der Gefahr behaftet, dass sie unpopulär machen. Österreich hat an vielen Ecken und Enden Veränderungsnotwendigkeiten. Um Antworten zu finden, braucht es mehr denn je starke, visionäre Persönlichkeiten, die sich gegen den Strom zu schwimmen trauen und entweder kein Amt zu verlieren haben oder keine Angst davor haben.
Ganze Politikbereiche sind durch die Fragmentierung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern schwer beeinträchtigt. Eine Abschaffung der Bundesländer ist aber nicht die richtige Antwort, denn sie sind in der wechselvollen österreichischen Geschichte eine Quelle der Identität. Doch der aus dem Ruder gelaufene Länderföderalismus muss wieder eingedämmt werden. Er ist mit ein Grund dafür, warum in so vielen Bereichen unseres Landes derart viele Leerkilometer absolviert werden, zulasten künftiger Generationen. Vom Erbe der Monarchie gibt es sicher vieles zu bewahren, allen voran die Idee des Vielvölkerreiches. Überdimensionierte Verwaltungsstrukturen und realpolitisch überbewertete Regionalpolitiker gehören sicher nicht dazu.
Es gibt keinen Beipackzettel für gutes Unternehmertum oder eine Checkliste wie im Cockpit eines Flugzeuges. Wer das glaubt, ist naiv. Entrepreneurship heißt, Ideen, Mut und Courage zu beweisen. Wenn der rechtliche Rahmen enger wird, dann muss man neue Wege suchen und nicht weltoffenfeindlich auf Lösungen warten. Wenn es in Österreich keine Zulassungsstelle für Medizinprodukte gibt, dann müssen wir eine im Ausland suchen oder – noch besser – eine gründen! Wir brauchen nicht noch mehr „Think-Tanks“, wo diskutiert und überlegt wird. Wir brauchen „Do-Tanks“!