Austromed Kolumne: Nadelstichverletzungen sind vermeidbar

Stich- und Schnittverletzungen stellen eine der größten Gefahren für Beschäftigte im Gesundheitswesen dar. Im März 2010 hat der Rat der Europäischen Union daher die Richtlinie 2010/32/EU zur Vermeidung von Verletzungen durch scharfe/spitze Instrumente im Krankenhaus- und Gesundheitssektor beschlossen, die mit Juni 2010 in Kraft getreten ist. Die Umsetzung in österreichisches Recht erfolgte mit der Nadelstichverordnung – NastV, die am 11. Mai 2013 in Kraft getreten ist. Anders als andere Verordnungen zum ArbeitnehmerInnenschutzgesetz – ASchG, die allgemein gelten, ist die NastV eine branchenspezifische Vorschrift. Gefährdet sind nicht nur Berufsgruppen, die direkten Kontakt mit Patienten haben, wie Ärzte oder Pflegepersonal, sondern auch Berufsgruppen aus dem medizinisch-technischen Bereich oder Reinigungskräfte. Gemeinsames Anliegen muss es sein, das Verletzungs- und Infektionsrisiko für Beschäftigte im Gesundheitswesen deutlich zu senken und das Problembewusstsein für die gesundheitlichen Gefahren von Nadelstichverletzungen zu stärken. Dazu müssen potenzielle Gefahren im Betrieb ermittelt, wirksame Maßnahmen zur Verletzungs- und Expositionsgefahr festgelegt und letztendlich konsequent umgesetzt werden. Denn Nadelstichver­letzungen sind vor allem dann vermeidbar, wenn Sicherheitsvorschriften konsequent umgesetzt, moderne Sicherheitsprodukte eingesetzt werden und das Personal bestmöglich beteiligt wird.

Nicht jedes Sicherheitsprodukt ist ­tatsächlich ein sicheres Produkt!*

  • Der Sicherheitsmechanismus ist integraler Bestandteil des Systems (Instrumentes).
  • Passive, selbstaktivierende Sicherheitssysteme sind den aktiven, durch den Anwender zu aktivierenden Schutz­systemen vorzuziehen.
  • Falls eine Aktivierung durch den Anwender notwendig ist, soll diese mit einer Hand erfolgen können.
  • Die Aktivierung des Sicherheitsmechanismus erfolgt sofort nach Gebrauch.
  • Der Sicherheitsmechanismus schließt erneuten Gebrauch des Instruments aus.
  • Das Sicherheitsprodukt erfordert keine wesentliche ­Änderung der Anwendungstechnik.
  • Der ausgelöste Sicherheitsmechanismus muss deutlich zu hören oder anders zu erkennen sein (z. B. Einrasten – Klicken).

Bei der Schulung ist zu beachten, dass die Verwendung und Entsorgung der sicheren Systeme auch „richtig“ erfolgt. Es muss sichergesetellt sein, dass alle Teilnehmer an Schulungsterminen auch die Inhalte verstanden haben. Die Wahl zwischen verschiedenen Systemen muss ebenso möglich sein wie das Festlegen von Arbeitsabläufen, die das Verletzungsrisiko minimieren.

Erste Erfahrungen

Die Schwerpunktaktion der Arbeitsinspektion erfolgte 2013 und 2014 österreichweit mit dem Ziel, die NastV in der Praxis zu verankern und eine konsequente Umsetzung zu erreichen. Es wurden Beratungen zur Umsetzung der NastV und Kontrollen der Arbeitsplatzevaluierung inklusive der Erhebung des Ist-Zustandes durchgeführt. Bis Ende August 2014 wurden österreichweit bei 185 Krankenhäusern, 246 Arztpraxen und 92 Zahnarztpraxen Besichtigungen durchgeführt. Die gute Botschaft vorweg: Die sicheren Instrumente sind größtenteils „angekommen“. Allerdings lassen die restlichen Anforderungen der NastV teilweise noch zu wünschen übrig. Die Tücken liegen – wie so oft – im Detail. Mit dem Einkauf „sicherer Systeme“ alleine ist es nicht getan!
So müssen Betriebe – zusätzlich zum Ankauf sicherer Produkte – Gefährdungen ermitteln, die spezifisch bei den vorhandenen Tätigkeiten entstehen, diese bewerten und Maßnahmen daraus ableiten. Es sollen Schulungen und Unterweisungen stattfinden sowie die Dokumentation aller Maßnahmen. Mitarbeiter müssen also sowohl über Gefährdungen und Gefährdungsmöglichkeiten – auch hinsichtlich der neuen, sicheren Produkte – als auch über zu treffende Maßnahmen und (Rest)Risiko in verständlicher Form informiert sein. Risikoanalysen nach stattgehabten Verletzungen, die Organisation der allenfalls notwendigen postexpositionellen Prophylaxe (PEP) sind genauso vorzunehmen wie bewusstseinsbildende Maßnahmen und Sensibilisierung für die Gefährdung. Die Realität sieht oft (noch) anders aus. Es gibt zwar seit Inkrafttreten der NastV viele Verbesserungen, aber mindestens noch ebenso viel Potenzial. Neben manch ermutigenden Ausnahmen dominiert mitunter der Eindruck, die Verantwortlichen in Gesundheitseinrichtungen leben in der Annahme, mit dem Ankauf der Instrumente sei die Verordnung umgesetzt. Vor allem die nicht (oder nicht ausreichend) durchgeführten Schulungen hinsichtlich der Verwendung der neuen Instrumente führten zum paradoxen Ergebnis, dass die sicheren Instrumente erst recht „unsicher“ verwendet werden und somit – wie auch durchgeführte Unfallanalysen belegen – wiederum eine Verletzungsquelle bilden.
Auch Präventivfachkräfte wie Sicherheitsfachkräfte und Arbeitsmediziner sind nach wie vor gefordert, ihren beratenden und unterstützenden Beitrag zu leisten. Ein sicheres Arbeitsmittel allein macht noch keine sicheren Arbeitsabläufe!

 

*Quelle: Erlass: BMASK-461.202/0002-VII/A/4/2013