Bruch mit Traditionen

Der zunehmende Arbeitsdruck in der Medizin macht auch vor der Berufsgruppe der Gesundheits- und Krankenpflege nicht halt. Werden Ärzte entlastet, geht es aber oft auf Kosten der Pflege. Dass das nicht so sein muss, zeigt ein Pilotprojekt am Landesklinikum Waidhofen/Ybbs. „Wir haben die Arbeitssituation in der stationären Pflege analysiert und festgestellt, dass die traditionelle und über viele Jahre etablierte Verteilung von 80 % diplomiertem Personal und 20 % Pflegehilfe längst nicht mehr mit den tatsächlichen Tätigkeitsprofilen übereinstimmt“, erklärt Pflegedirektorin DGKS Doris Fahrnberger-Schober, MSc.

Skill- und Grademix beachten

Diese Schieflage auszugleichen war das Ziel einer umfassenden Prozessanalyse, die nicht nur Vorteile für die Pflege, sondern auch für den kaufmännischen Bereich brachte. Arbeitsspitzen wurden unter die Lupe genommen und eine quantitative Erhebung der einzelnen Tätigkeiten rund um den Patienten durchgeführt.
Das Ergebnis zeigte, dass es nicht mehr zielführend ist, dass alle alles machen – sondern „künftig muss der Patient im Fokus stehen und dass er die richtige Leistung zur richtigen Zeit von der richtigen Personen erhält“, so die Pflegedirektion. Wichtig ist es Fahrnberger-Schober zu betonen, dass Personaleinsparungen nicht das Ziel dahinter waren: „Wir haben natürlich Sparpotenziale entdeckt, aber aus Sicht der Tätigkeitskaskade. Das heißt, wir haben jetzt einen klaren Überblick, welche Aufgaben in welche Berufsgruppe gehören, haben die Zahl der Köpfe nicht reduziert, aber die Tätigkeiten verschoben. Manches war einfach historisch gewachsen und wurde nie hinterfragt. Jetzt stehen die Aufgabenprofile im Vordergrund.“ Der Gesetzgeber spielt dem Projektteam zusätzlich in die Hände, denn hier ist die Ausbildung längst bedarfsorientiert neu gestaltet und unter dem Stichwort „Akademisierung der Pflege“ vieles ermöglicht worden, das nun im Landesklinikum Waidhofen/Ybbs auch schon seine Umsetzung findet. „Im Mittelpunkt stand immer der Skill- und Grademix, also der optimale Einsatz von Berufsbildern und Qualifikation“, ergänzt der kaufmännische Direktor Mag. (FH) Martin Kaiser.

Berufsbild: Servicekraft

Das Ergebnis war, eine neue Berufsgruppe auf Service- und Logistikebene auf der Station zu etablieren: die sogenannten „Servicekräfte“. Sie verrichten alle nicht-pflegeimmanenten Arbeiten im stationären Bereich des Spitals und entlasten so den gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege. Dazu zählen etwa Besorgungen für Patienten, Essen servieren, bei mobilen Patienten die Betten machen oder hauswirtschaftliche Aufgaben sowie administrative Tätigkeiten, die nicht Teil des Pflegeprozesses sind. Was auf den ersten Blick für die Stationsleitung fremd klang, hat das Führungsteam bei Referenzbesuchen in Schweizer Kliniken im Echtbetrieb kennengelernt und sich über die Abläufe intensiv informiert. Die Trennung in medizinisch-pflegerische Versorgung und Hotelkomponente wird dort bereits auf hohem Niveau perfektioniert. Dieses Know-how ist auch in die Personalauswahl der neuen Servicekräfte eingeflossen: „Wir haben bewusst Mitarbeiter gesucht, die aus dem Gastgewerbe kommen oder kaufmännischen Hintergrund mitbringen“, so Kaiser, dem die neuen Servicekräfte organisatorisch zugeordnet sind. Bewerbungsgespräche wurden mit der Pflegedirektorin gemeinsam geführt.

Training on the Job

Über ein Jahr hat die Vorbereitung der Einführung der neuen Berufsgruppe gedauert, ein weiteres Jahr wurde eingeschult, denn die Umstellung von einem Hotel auf den Klinikbetrieb erfordert natürlich auch Sachkenntnis über Spitalsabläufe. „Wir wollten uns genug Zeit und damit dem Projekt eine hohe Erfolgschance geben. Daher war der Anteil an Training on the Job auch besonders hoch“, resümiert die Pflegedirektorin.
Genaue Tätigkeitsanalysen und die Quantifizierung von Aufgaben sind der Umstrukturierung vorausgegangen, immer standen sie unter dem Motto, dass der richtige Patient zur richtigen Zeit die richtige Leistung von der richtigen Person erhalten soll. Derzeit sind zwölf Servicekräfte im Ausmaß von 20 bis 30 Wochenstunden in ein 365-Tage-Dienstrad eingebettet. Jede bettenführende Station sollte rund elf Stunden täglich – bei dem derzeit definierten Servicelevel – mit einer Servicekraft bewirtschaftet werden. „Man könnte hier natürlich den Level erhöhen, das würde aber zusätzliche Kosten verursachen. Daran denken wir derzeit nicht“, sind sich Fahrnberger-Schober und Kaiser einig. Zukunftsmusik ist auch noch ein weiterer Ausbau der Tätigkeiten der Servicekräfte, wie zum Beispiel die Lagerverwaltung oder eine pharmazeutische Assistenz.

Identitätsfindung abgeschlossen

Auch wenn die neue Berufsgruppe bei der Entlastung des di­plomierten Personals eine zentrale Rolle spielt, ging die Implementierung nicht ohne Reibungsverluste vor sich. „Natürlich gab es auch Widerstände, denn die nun umgeschichteten Dienstposten als Pflegehelfer konnten eher einspringen, wenn Not am Mann war – das können Servicekräfte jetzt nicht mehr. Zudem ist ein 12-Stunden-Dienst, in dem ausschließlich hochqualifizierte Tätigkeiten am Plan stehen, extrem anstrengend. Da war auch für diplomiertes Personal das Wäscheeinschlichten eine willkommene Abwechslung“, beschreibt Fahrnberger-Schober.
„Die Organisation der neuen Servicekräfte in einem Pool unter einer eigenen Leitung gewährleistet ein einheitliches Leistungsprofil und eine strukturierte Personalrotation samt Ausfallsmanagement“, erklärt Kaiser die Vorteile der Umorgani­sation. Ein gemeinsames Büro und ein gemeinsamer Aufenthaltsraum – getrennt vom Pflegepersonal und den Stationen – sowie eine einheitliche Dienstkleidung unterstützen die „Identitätsfindung“ als eigene Berufsgruppe.

 

Im Gespräch mit Mag. (FH) Martin Kaiser

Welche Ausbildung bringen die neuen Servicekräfte mit?
Wir haben Mitarbeiterinnen, die vorher Heimhilfen waren oder aus der Hotellerie kommen. Gewisse Eckpfeiler braucht es natürlich, auch von der Persönlichkeit her. Wer nicht gerne mit Menschen zu tun hat, ist in diesem Beruf sicher falsch. Nachdem das Berufsbild neu ist, gab es keine zwingenden Vorgaben, vieles wurde erst im Job erlernt und entwickelt sich jetzt in der Praxis. Wir schulen außerdem im Bereich Hygiene, Kommunikation mit Patienten, Qualitäts- und Beschwerdemanagement. Wir haben die betroffenen Berufsgruppen auch aktiv nach Verbesserungspotenzialen oder Lücken in der Aus- und Weiterbildung befragt, die wir natürlich schließen möchten.
Wie ist das Feedback vonseiten der Ärzte?
Wir haben in der Primarärztesitzung das Projekt vorgestellt. Die Ärzte unterstützen das Projekt auf jeden Fall, denn die Entlastung der Pflege bringt im nächsten Schritt auch eine Entlastung der Ärzte durch das diplomierte Pflegepersonal.
Wo sehen Sie Chancen, aber auch Grenzen, die Qualifikationskaskade besser zu nutzen und weitere Tätigkeiten zu verlagern?
In erster Linie geht es um die Unterstützung routinemäßiger, immer wiederkehrender Aufgaben und darum, sich letztendlich auf die Arbeitsverteilung auch verlassen zu können, ohne den Arbeitsdruck auf andere Berufsgruppen weiterzuverteilen. Klare Aufgabenbeschreibungen, Richtlinien und Grenzen sind extrem wichtig, damit das klappt.
Welche unerwarteten Erkenntnisse waren für Sie aus dem Projekt noch wichtig?
Mithilfe einer Arbeitspsychologin haben wir gelernt, dass es nicht genügt, schriftliche Arbeitsanweisungen auszugeben, es benötigt auch andere Formen der Schulung und Begleitung. Natürlich war der Bruch mit bisherigen Must
ern und Regeln nicht für alle Mitarbeiter so einfach zu bewältigen. Dieser Lernprozess war individuell unterschiedlich, aber eine große Herausforderung für alle im Team.
Was waren für Sie persönlich die wichtigsten Voraussetzungen für den Erfolg?
Die Erkenntnis, dass uns nur Geduld und Beharrlichkeit, aber auch das Thema Wertschätzung anderer Berufsgruppen weiterbringt.

 

Im Gespräch mit DGKS Doris Fahrnberger-Schober, MSc

Welche konkreten Tipps haben Sie für andere Spitäler, die daran denken, ein derartiges Projekt zu starten?
Es ist sehr wichtig, genügend Zeit einzuplanen und die Stationsleitung von Anfang an in die Überlegungen miteinzubeziehen. Zu kurz gefasste Konzepte sind nicht schlüssig, daher braucht es eine langfristige Vision und ein Gesamtkonzept, das über die Station hinaus gedacht wird.
Wichtig war auch die Einbeziehung der Mitarbeiter auf der Station, denn nur der, der im Prozess arbeitet, weiß, wo für Veränderungen angesetzt werden muss.
Stand das Thema der Personaleinsparung nie im Raum?
Doch, natürlich gab es große Ängste, dass wir Dienstposten von der Pflege an die kaufmännische Direktion abgeben müssen. Das war aber weder die Intention noch das Ziel des Projektes. Wir wollten den Prozess aus Sicht des Patienten durchdenken, analysieren und Verbindungen sichtbar machen, die durch traditionelle Muster und Managementvorgaben im Lauf der Zeit in den Hintergrund getreten sind.
Planen Sie, das Thema innerhalb der Landeskliniken-Holding auszurollen?
Grundsätzlich wollten wir ein hohes Maß an Standardisierung bei den Servicekomponenten erreichen, natürlich ist das nicht in jeder Klinik ident. Die individuelle Situation muss beachtet werden und benötigt dann schon eine Anpassung an die jeweiligen Bedingungen. Das Konzept ist so dokumentiert, dass es problemlos übernommen werden kann. Es wurde auch in einer Masterthese evaluiert. Nachdem keine Planstellen eingespart werden sollen, sondern eine natürliche Umverteilung in Gang kommen muss, wird sich die Umsetzung in einem längeren Prozess erst einschleifen.
Was waren für Sie persönlich die wichtigsten Erkenntnisse?
Die Professionalität des diplomierten Personals ist jetzt viel deutlicher sichtbar als bisher und das steigert die Wertschätzung auf allen Ebenen.