Die Corona-Pandemie hat einen rasanten Entwicklungsschub im Bereich Digitalisierung ausgelöst. Viele erinnern sich vermutlich noch gut daran, dass plötzlich und im wahrsten Sinne des Wortes „über Nacht“ digitale Anwendungen – über die zuvor viele Jahre diskutiert wurde – absolut notwendig waren. Nur so konnte die Gesundheitsversorgung in vielen Bereichen überhaupt aufrechterhalten werden und vieles, das bisher kaum vorstellbar war oder am Willen einzelner Stakeholder scheiterte, war gelebte Realität. Menschen sollten und mussten aus Spital und Ordination draußen gehalten werden. Krankschreibungen wurden per Mail und Telefon möglich, Rezepte gingen online via E-Card vom Arzt direkt in die Apotheke und viele Patienten mussten ihr Arztgespräch per Video führen. Bis heute hat sich die Pandemie dynamisch entwickelt und zeigt, wie wichtig diese Tools sind, um – nicht nur in Zeiten hoher Inzidenz – eine sichere Versorgung all jener zu gewährleisten, die es dringend brauchen, allen voran Risikopatienten und chronisch Kranke.
Unternehmer, Investor und Biolandwirt Mag. Martin Rohla lieferte in seiner Keynote wichtige Anregungen zum Thema Digitalisierung, vor allem in der Verbindung mit Nachhaltigkeit. „Digitalisierung muss die Dienstleistungsqualität erhöhen. Wenn das gelingt, ist sie gut eingesetzt und hat auch langfristig Bestand“, ist Rohla überzeugt. Er gilt mit der Gründung eines EDV-Apotheken-Netzwerkes im Jahr 1996 als einer der frühen Förderer der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Dabei ist auch Gewinn machen für ihn kein Tabuthema, ganz Gegenteil: „Nur wenn Unternehmen profitabel wirtschaften, können sie langfristig den sozialen und ökologischen Impact haben, der von ihnen immer wieder gefordert wird“, sagt er und ermutigt die Branchenvertreter hinzuhören: „Wir werden mit Hiobsbotschaften überschwemmt, aber glauben Sie mir, es passieren aktuell viele positive Entwicklungen, die es zu erkennen und zu nutzen gilt!“ Geschäftsmodelle müssen in Teilprozesse zerlegt und Schritt für Schritt in Richtung einer innovativen Lösung transformiert werden. „Niemand ist eine eierlegende Wollmilchsau. Es gilt, einmal anzufangen, anders wird man nicht erfahren, ob die Idee erfolgreich ist“, so Rohla.
Puls4-Moderation Manuela Raidl leitete die anschließende Podiumsdiskussion mit der Frage ein, was sich durch Digitalisierung bisher verbessert hat und wo noch ungenutzte Potenziale für die Medizinprodukte-Branche liegen. Dr. Alexander Degelsegger-Márquez, Leiter der Stabstelle „Digitale Gesundheit und Innovation“ in der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG), bringt das Fazit auf den Punkt: „Vor zwei Jahren wussten wir alle nicht, wie ein gelungenes Pandemiemanagement auszusehen hat. Wir haben sehr viel erreicht, haben Über- und Unterversorgungen aufgedeckt und so rasch es in dieser Ausnahmesituation möglich war, reagiert. Der elektronische Impfpass und das E-Rezept haben gezeigt, was möglich ist. Wir arbeiten nach wie vor mit Hochdruck daran, nachhaltige und moderne Systeme zu finden, wie wir die vielen Daten auch sinnvoll nutzen können.“
DI Dr. Franz Leisch, Geschäftsführer der ELGA GmbH, ist überzeugt, dass die technische Basis für viele E-Health-Anwendungen längst vorhanden ist. „Oft scheitert es an rechtlichen, organisatorischen oder finanziellen Rahmenbedingungen, warum bestimmte Prozesse nicht so einfach digitalisiert werden können.“ In Zeiten einer Pandemie stellt sich aber nicht die Frage, ob der Infektionsschutz oder der Datenschutz Priorität haben soll. Doch bereits jetzt zeigt sich, dass mit dem E-Impfpass nicht nur Prozesse digitalisiert, sondern auch Begehrlichkeiten geweckt wurden. „Wir erfassen nicht nur Daten, wir tragen auch die Verantwortung dafür. Aktuell haben wir eine Vereinbarung mit der AGES, die Information über Impfdurchbrüche und Impfungen von Lehrern und Schülern zu nutzen“, gibt Leisch Einblick.
Die Projekte E-Medikation und E-Impfpass, die beide auf ELGA aufbauen, haben wichtige Unterstützungen bei der Krisenbewältigung geleistet. Der gewonnene Schwung sollte genutzt werden, weitere nationale Digitalisierungsprojekte, wie zum Beispiel zur integrierten Versorgung oder der Übertragung von Bilddaten, voranzutreiben. Degelsegger-Márquez sichert Unterstützung zu: „Bei der Datennutzung im Gesundheitsbereich gibt es Verbesserungspotenzial. Nicht nur die Verwendung von Daten kann Schaden auslösen, sondern auch die Nicht-Verwendung. Hier fehlt es noch an Methoden und Evidenz, um Kosten-Nutzen-Abwägungen treffen zu können. Wir wollen Digitalisierung im Sinne eines öffentlichen, solidarischen Gesundheitswesens gestalten.“
Dr. Irene Fialka, CEO des High-Tech Business Inkubators der Stadt Wien (INiTS), fordert mit Nachdruck, dass mehr politischer Wille zur Umsetzung erforderlich ist: „Zur Digitalisierung gibt es viele Konzepte, wir müssten vieles auf den Weg anstatt zu Papier bringen.“ Dass es dazu Unternehmertum und den Mut zum Risiko braucht, ist für Fialka auch klar. Zur Frage, ob der Datenschutz ein Hemmschuh sein könnte, bringt sie einen Vergleich zu den deutschen Nachbarn: „Die Hälfte der dortigen Ethikkommissionsbeschlüsse scheitert am Datenschutz. Das heißt, dass 50 % aller innovativen Ideen für Patienten nicht realisiert werden können, weil Forscher sich den Aufwand nicht mehr antun!“
Seit rund zehn Jahren beobachtet die Expertin eine steigende Anzahl an Start-ups im Bereich Digital Health. Doch der Einsatz dieser digitalen Lösungen im Gesundheitswesen steigt nicht im selben Ausmaß, oft weil es viele – teilweise auch längst veraltete – Regelwerke gibt, die das bremsen oder gar verhindern. Obwohl viele der Lösungen auch eine Medizinprodukte-Zulassung haben, stoßen sie auf Skepsis bei den Anwendern wie Pflegepersonal oder Ärzten und schließlich den Stellen, die den Regelbetrieb finanzieren müssten. „Insbesondere Anwendungen in der Prävention haben wenig Chance, in den Markt zu kommen“, resümiert Fialka.
Unabhängig in welcher Stufe des Behandlungsprozesses digitale Anwendungen eingesetzt werden können und ob sich das Gesundheitswesen im „Normalbetrieb oder „Krisenbetrieb“ befinden – die sichere und lückenlose Versorgung der Patienten muss im Vordergrund stehen. Daher hat die AUSTROMED schon vor der Pandemie beharrlich auf den zentralen Stellenwert von Innovation und dem Wirtschaftsstandort Österreich hingewiesen. Zusätzlich wurde im Vorjahr ein breiter Diskussionsprozess initiiert, um mit Entscheidungsträgern aus Spitälern, den Ländern, der Bundespolitik, Vertretern von Gesundheitsberufen und Patienten die dazu erforderlichen Eckpunkte abzustecken. Das Ergebnis ist das „Weißbuch Medizinprodukte“, in dem die Forderungen und Standpunkte transparent zusammengefasst sind. Ein Update wurde nun im Rahmen der Herbstgespräche präsentiert. Zentraler Punkt dabei: eine umfassende Definition des Stichworts Versorgungssicherheit. „Das ist wichtig, denn bei fehlender konkreter Begriffsbestimmung können auch keine Versorgungsziele oder -strategien erarbeitet werden. Diskussionen bleiben an der Oberfläche und im Fall einer neuerlichen Gesundheitskrise stünden wir alle erneut vor denselben – ungelösten – Fragen“, ist Gerald Gschlössl, Präsident der AUSTROMED, überzeugt. Er ist sich sicher, dass die Pandemie bestimmte Entwicklungen, insbesondere im Bereich Digitalisierung, beschleunigt hat und es kein „Zurück“ mehr gibt: „E-Rezept und E-Impfpass haben sich als praktisch und alltagstauglich etabliert. Patienten wollen nicht mehr zurück in die Zeit der Zettelwirtschaft. Wir müssen uns als Industrie und Handel an diese Wünsche anpassen.“ Daher hat die AUSTROMED eine eigene Taskforce „Digitalisierung“ gegründet. Die Gruppe erarbeitet unter anderem eine gemeinsame Position zur Finanzierung von digitalen Gesundheitsanwendungen, sogenannten DiGA, wie zum Beispiel Apps auf Rezept. „Österreich hat hier die Chance, mit einem transparenten und planbaren Finanzierungsprozess eine international führende Stellung in der Entwicklung von digitalen Gesundheitsanwendungen einzunehmen“, ist Gschlössl überzeugt.
Quelle: AUSTROMED-Herbstgespräche: „Zurück in die Zukunft! Was wird vom Corona-Digitalisierungsschwung im Gesundheitswesen bleiben?“, 5.11.2021, Wien