Neue Erregertypen, steigende Resistenzen, virale Bedrohungen und nicht zuletzt der weltweite „Erregertourismus“ lassen Hygiene heute ein Thema sein, wie man es vor 20 Jahren kaum erahnt hätte. Ein Thema, das in Bezug auf nosokomiale Infektionen wichtig ist, aber zusätzlich als potenzielle finanzielle Bürde von Hygienemängeln mit nahezu eine Milliarde Euro eine erhebliche gesundheitsökonomische Bedeutung hat. Der Zahlendschungel ist undurchdringlich: 55.000 geschätzte Krankenhausinfektionen jährlich werden angenommen, die möglicherweise zu bis zu 4.800 Todesfällen führen – also rund zehnmal so viele Tote wie bei Verkehrsunfällen 2013. Besonders gefährdet dabei sind ältere und chronisch kranke Patienten. Aufgrund der Vielfalt der Erreger ist das Krankheitsspektrum weitreichend, vom Harnwegsinfekt bis zur Sepsis. Besonders betroffen können daher Menschen mit Wunden, Harnkathetern, Intensivtherapie, Dialysepatienten sowie Personen in schlechtem Allgemeinzustand, hervorgerufen etwa durch hohes Alter, mit schweren Erkrankungen oder einer Schwächung des Immunsystems sein.
Als Hauptursache der Bedrohung gelten multiresistente Erreger (MRE). Im Detail werden unter dem Begriff derzeit vor allem ESBL-bildende Enterobakterien sowie Carbapenemase resistente Enterobakterien zusammengefasst. Zu finden an verschiedenen Stellen der Haut oder Schleimhaut, zumeist als harmlose Kolonisation. Im Falle einer Infektion werden die Haut- bzw. Schleimhautgrenzen überschritten und es erfolgt die Invasion in Blutstrom, Lymphe und Organe.
Ein basaler Fokus liegt auf der Händehygiene. Es beunruhigt, wenn internationale Studien behaupten, in den Ländern der industrialisierten Welt würde nur zu 30 % eine korrekte Händehygiene eingehalten. Man muss hier vom Krankenhaus mittlerweile bis auf den Kommunal- und Pflegebereich ausweiten.
Gleichsam ein Thema, das „unter den Nägeln brennt“, wenn man den Bezug zur Schmierinfektion plakativ formulieren möchte, wie dies etwa ein Beitrag am Hygienetag der KAGes Anfang Mai dieses Jahres getan hat.
Gut erinnerlich ist die Bedrohung durch H1N1-Viren, die das Verständnis für Händehygiene haben wachsen lassen, da bereits einfaches Händewaschen 100 % dieser Viren eliminiert.
Dies hat aber letztlich Symbolcharakter, denn der laufende Kontakt mit Seife und Wasser würde zu einem sprunghaften Anstieg dyshidrotischer Ekzeme führen. In der Praxis greift man daher zu rückfettenden Alkoholen.
Es muss aber nicht immer Influenza sein. Relativ neu ist das Thema Hantaviren. Ursprünglich dem südostasiatischen Raum zugeordnet, erobern sie mittlerweile Europa. Meldungen aus Deutschland sprechen an vielen Orten von endemischem Auftreten. Bedroht sind vor allem Menschen, die sich viel in der freien Natur aufhalten, also etwa in der Landwirtschaft und Jagd tätig sind, denn Hantaviren nutzen Nager (v.a. Mäuse und Ratten) als Erregerreservoir. Nicht zu vergessen auch hobbymäßige Gartenliebhaber. Der Infektionsweg besteht im Einatmen kontaminierter Stäube. Derzeit ordnet man den Hantaviren bei einer variablen Inkubationszeit von ein bis fünf Wochen vor allem zwei Krankheitsbilder zu:
1) Ein Hämorrhagisches Fieber mit renalem Syndrom (HFRS) – gleichsam die europäische Variante – in der Initialphase mit hohem Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Myalgien, Lumbalgien und dem Auftreten erster schwerer konjunktivaler Blutungen als Leitsymptom. In einer zweiten Phase folgen gastrointestinale Symptome wie Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen und Diarrhoe. Unbehandelt kann es in der Folge zur akuten interstitiellen Nephritis mit Oligurie und starker Proteinurie kommen mit der Gefahr eines Nierenversagens. Bei schwerem Verlauf geht man von einer 5%igen Letalität aus.
2) Hantavirus Pulmonary Syndrome (HPS) – die wesentlich aggressivere südamerikanische Variante, die man angesichts der Massenwanderungen zur Fußballweltmeisterschaft im Kopf behalten sollte, weist keine Nierenbeteiligung auf. Es kommt zu unspezifischen Symptomen wie Fieber, Myalgien, unproduktivem Husten und interstitiellem Lungenödem. Kommt es bei einem schweren Verlauf zu einem ARDS (Acute Respiratory Distress Syndrome), kann die Letalität bis zu 50 % betragen.
Neben dem medizinischen Personal müssen auch Patienten über grundsätzliche Hygienemaßnahmen und entsprechende Verhaltensweisen aufgeklärt werden. Im Wesentlichen kommen hier Merkblätter zum Einsatz. Für das Personal wichtig sind Hygienekleidung, Schutzhandschuhe, Augenschutz, Mund- und Nasenschutz, Schutzkittel und Haarschutz. Das fällt aufseiten der Arbeitgeber auch unter den erforderlichen Arbeitnehmerschutz. Wer hier „spart“, kann sich also auch ein erhebliches juristisches Problem einhandeln.
Die Standardmaterialien für Verweilkanülen sind mittlerweile PTFE (Polytetrafluorethylen) oder Polyurethan. Oftmaliges Legen von Kathetern soll zugunsten einer täglichen Inspektion unterlassen werden, denn ohne offensichtliche Phlebitis gibt es keinen Grund für einen Wechsel, solange ausreichend gewissenhaft gespült wird – und zwar mit einfacher Kochsalzlösung. Absoluter Risikobereich Nr. 1 sind zentrale Venenkatheter, da sie für mehr als 90 % aller Infektionen über Gefäßzugänge verantwortlich sind. Letztlich ist hier die regelmäßige Schulung wesentlich. Das Material der Wahl bei diesen Kathetern: Silikon oder Polyurethan. Gut für die Ökonomie, denn Teures bringt in diesem Falle keine Vorteile. Sparen kann man sich definitiv „antibiotische Prophylaxen“ zugunsten gewissenhafter Handhabung und Inspektion.
Die Datenlage zu arteriellen Systemen sagt: Klinische Infektionsereignisse sind selbst bei einer Liegedauer der Systeme von bis zu neun Tagen so selten, dass eine Empfehlung zum routinemäßigen Wechsel der Dreiweghähne oder des gesamten Systems nach bestimmten Zeitintervallen wissenschaftlich derzeit nicht begründet ist.
Ein besonderer Risikobereich eröffnet sich in den geriatrischen Einrichtungen. Ausnahmslos wird dort das diplomierte Personal zugunsten von Pflegehelferinnen abgebaut, die keinerlei ausreichende Ausbildung haben. Professionelle Pflege tritt zurück und wird mit Bürokratie überladen. Alleine mit den Risiken dieser Entwicklung ließen sich Seiten füllen.
Mit den hierzulande relativ unbeliebten suprapubischen Blasenverweilkathetern bei längerfristig Katheterisierten (>5 Tage) könnte man die „Hygienefalle Verweilkatheter“ (90 % aller HWI!) vermeiden.
Die Vielfalt hygienischer Brennpunkte ist enorm groß und jede Institution ist gut beraten, nicht nur die entsprechenden Maßnahmen zu forcieren, sondern auch spezielle Teams zu beschäftigen, die hilfreich zur Seite stehen mit aktuellem Wissen und regelmäßigen Ausbildungsmaßnahmen. Denn seitens der potenziellen Bedrohungen muss man davon ausgehen, dass sie nicht kleiner, sondern eher komplexer werden.