Welchen Herausforderungen hält Ihre neue Aufgabe in der AGES für Sie bereit?
Österreich hat dank der fachlichen und rechtlichen Expertise der AGES Medizinmarktaufsicht und Experten des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) einen sehr guten Ruf in Europa. Für die Größe und die überschaubaren personellen Ressourcen Österreichs ist unser Beitrag bei der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA, wo wir seit Jahren verlässlich für die europäische Arzneimittelsicherheit arbeiten, überproportional: Wir sind bei zentralen und dezentralen Zulassungen als Rapporteur und Co-Rapporteur bzw. als Verfahrensleiter seit Jahren unter den Top 10 der europäischen Agenturen, gerade bei den Scientific Advices oder gegenseitigen Anerkennungsverfahren sogar unter den Top 3. Diese führende Rolle im EU-Netzwerk wollen wir halten. Denn eine starke Behörde ist wichtig für Patientensicherheit und Standortsicherung in Österreich und Europa. Von 385 Mitarbeitern der AGES Medizinmarktaufsicht ist beinahe die Hälfte im europäischen und internationalen Kontext tätig. Unsere Experten bringen Know-how in 175 EU-Gremien und -Netzwerken ein. Verfahren, Leitlinien und Strategien für die Arzneimittel- und Medizinproduktesicherheit werden mit unserem Fachwissen ausgearbeitet.
Sie verfügen über langjährige Erfahrung in der Forschung und Entwicklung. Wie wichtig ist das Wissen für Ihre neue Position?
Seit über 20 Jahren bin ich mit Forschung und Entwicklung sowie regulatorischen Aspekten von Arzneimitteln vertraut. In der Medizinmarktaufsicht war ich als Abteilungsleiter für die wissenschaftlich-fachliche Bewertung der Qualität von Biologika, der Präklinik sowie der Statistik bzw. Methodologie von Humanarzneimitteln in zentralen Zulassungs- und Life-Cycle-Verfahren sowie als Prozessverantwortlicher speziell für die wissenschaftliche Beratung zuständig und in verschiedenen europäischen und internationalen Gremien als Fachexperte tätig. Für mich ist die Zusammenarbeit im EU-Netzwerk der Schlüssel zur Lösung aktueller und künftiger Herausforderungen. Es ist jedenfalls von Vorteil, dass ich die professionelle und engagierte Arbeitskultur meiner Kollegen in der AGES Medizinmarktaufsicht kenne und ich mich auf die fachliche und rechtliche Expertise verlassen kann. Gerade mit der Überarbeitung der Pharma-Gesetzgebung auf EU-Ebene ist eine gute Koordinierung unserer Fachexperten entscheidend.
Sie sind mit regulatorischen Aspekten von Arzneimitteln gut vertraut, wie sieht es mit Medizinprodukten aus?
Auch hier kann ich fachlich auf ein gut eingespieltes Team zurückgreifen. Die Herausforderungen in der Überwachung des Medizinprodukte-Marktes liegen in der Entwicklung und Optimierung der neuen Aufgaben, die nach der MDR und IVDR auf die Medizinmarktaufsicht zugekommen sind. Von besonderer Bedeutung sind dabei die zwischenstaatlichen Abstimmungsprozesse, um eine möglichst einheitliche Implementierung zu gewährleisten. Das rechtliche Rahmenwerk definiert jedenfalls eine Vielzahl von Marktteilnehmern mit unterschiedlichen Rollen. Jeder einzelne Marktteilnehmer muss im Interesse der Sicherheit und der Wirksamkeit der Produkte seine Verpflichtungen richtig verstehen und wahrnehmen.
Was steht für 2023 auf Ihrer Agenda?
Ein Schwerpunkt wird weiterhin die Mitgestaltung der europäischen Medical Device Coordination Group-Dokumente sein. Einen weiteren Fokus bildet die Umsetzung der europäischen Datenbank für Medizinprodukte EUDAMED, wo sowohl die Entwicklungen auf europäischer Ebene mitverfolgt und konkrete Aspekte von besonderer Relevanz für Österreich mitevaluiert werden. Im Rahmen eines Benennungsprozesses einer Benannten Stelle wird das BASG weiterhin eine aktive Rolle wahrnehmen. Bei länderübergreifenden Fällen mit besonderer Risikosituation wird auf EU-Ebene noch intensiver zusammengearbeitet werden.
Sie vertreten Österreich als Experte auf europäischer sowie internationaler Ebene in verschiedenen Gremien. Welche Rolle hat Österreich im Hinblick auf die Versorgungssicherheit?
Mit Anfang Februar 2022 wurde die Verordnung 123/2022 für Medizinprodukte gültig. Daraus folgend hat Österreich für die Medizinprodukte-Marktüberwachung organisatorische Strukturen und Abläufe zu schaffen, auf die bei Eintritt einer Krisensituation zurückgegriffen werden kann. Damit soll sichergestellt werden, dass Österreich seinen Beitrag leistet, um für zukünftige Krisen besser gerüstet zu sein. Als besonders relevante Themen wird die Entwicklung der Automatisierung durch „data-driven Vigilance“ fokussiert bearbeitet. Mein Wunsch ist es, ein derart wichtiges Instrument in Form eines europäischen Projekts gemeinsam zu entwickeln. Ebenso gibt es eine enge europäische Koordination von Marküberwachung und Vigilanz sowie verbesserte Rechtssicherheit und fachliche Klarheit durch intensive Mitgestaltung in der Medizinprodukte-Koordinationsgruppe auf europäischer Ebene.
Österreich hat einen starken Forschungsstandort. Ist unser wissenschaftlicher Nachwuchs international konkurrenzfähig?
Österreich hat einen innovationsstarken Pharma-Sektor und große Industrien im Bereich Blut, Impfstoffe und Biotech. Die AGES Medizinmarktaufsicht arbeitet hier aus langer Tradition eng mit den Universitäten zusammen, damit unsere Gutachter und Inspektoren über neue Entwicklungen informiert sind und auch bezüglich Innovationen qualifizierte Ansprechpartner darstellen. Wir sehen das als Beitrag zur Standortsicherung, ganz wesentlich in Zeiten mit Lieferengpässen und abwandernder Produktion. Ganz besonders wichtig im Sinne der Patientensicherheit ist daneben eine stärkere Implementierung regulatorischer Aspekte bezüglich Arzneimittel- und Medizinprodukteentwicklung in die Ausbildung aller Berufe im Gesundheitswesen. Dadurch kann das Bewusstsein für die Bedeutung von beispielsweise Nebenwirkungsmeldungen für die Patientensicherheit geschärft werden. Aber auch das Vertrauen in die regulatorische Arbeit wird gestärkt, wenn es zum Beispiel um die Evidenzanforderungen in der Nutzen-Risiko-Bewertung von Arzneimitteln geht.