Die Bevölkerung Österreichs wird sich in naher Zukunft weiter verändern. Die Altersstruktur verschiebt sich deutlich in Richtung ältere, pflegebedürftigere Menschen. In diesem Zusammenhang zeigen die Erfahrungen, dass nach wie vor nicht nur in der Laiencommunity große Informationsmängel, sondern auch in der medizinischen und pflegerischen Versorgung ein Wissensdefizit und eine niedrige Handlungskompetenz zum Thema „Dekubitus“ vorliegen. Und doch: Rechtzeitig gesetzte und vor allem angepasste medizinische und pflegerische Maßnahmen können viele Gefährdete vor Dekubitus bewahren. Dadurch werden nicht nur Leid und Schmerzen verhindert, sondern auch enorme volkswirtschaftliche Kosten reduziert. Einen Einblick in den Ist-Stand der Dekubitusprävention und in mögliche Verbesserungsmaßnahmen gibt Zita Kis Dadara, MSc, DGKS, Präsidentin der APUPA – Österreichische Gesellschaft für Dekubitusprävention.
Ich würde es nicht als Tabuthema bezeichnen, aber es stimmt, dass sich damit niemand so gern beschäftigen will. Das Thema ist sowohl bei Medizinern als auch in der Pflege nicht besonders attraktiv und an vielen Orten in den österreichischen Gesundheitseinrichtungen wird das Thema nicht im Rahmen des Risikomanagements thematisiert und aufgearbeitet.
Die Pflegeabhängigkeit ist grundsätzlich schon eine extrem schwierige Situation und es kommt dazu, dass viele Betroffene sich dazu oft gar nicht artikulieren können. Zudem ist das Sprechen über ein derartiges Thema gerade bei der Generation, die jetzt im pflegebedürftigen Alter ist, doppelt schwierig. Angehörige sind ohnehin mit Pflegesituationen alleingelassen und rasch überfordert, da sie von unterschiedlichen Stellen oft sehr unterschiedliche Informationen erhalten und selbst nicht in der Lage sind, die Verlässlichkeit dieser zu überprüfen.
Es muss zum Managementthema werden – sowohl im Krankenhaus als auch in Pflegeheimen und der Hauskrankenpflege. Denn erst dann können zum Beispiel Maßnahmen wie ein regelmäßiges Monitoring umgesetzt werden. Das ist nicht Aufgabe der operativen Basis, wo es um direkte Betreuung der Betroffenen geht. Es geht darum, das Thema in seiner Komplexität wahrzunehmen und das kann nur gelingen, wenn es auch zum Thema der Führungskräfte wird. Auf der anderen Seite ist die Industrie aktiv dabei, Wissen zu transportieren. Bei der Wissensvermittlung seitens der Industrie muss auch angesetzt werden, um adäquate Theorie zu vermitteln und die Umsetzung des Wissens zu erhöhen
Leider nein, weil kaum bis gar nichts erfasst wird. Es gibt eine Prävalenzstudie der Med Uni Graz, doch die Zahlen sind kritisch zu betrachten, denn die Betroffenen müssen dazu ihr Einverständnis abgeben und eine große Zahl der Pflegebedürftigen kann das gar nicht entscheiden. Das heißt, dass gerade schwerkranke Betroffene ausgeschlossen sind, die machen aber einen Großteil aus. Kein Wunder, dass wir also im Vergleich zu anderen Ländern extrem niedrige Zahlen aufweisen, was die Betroffenen angeht. Dekubitus wird auch nicht als medizinische Diagnose geführt, dadurch gibt es keine Basis für Benchmarking. Die vorhandenen Daten stellen großteils nur einen Datenfriedhof dar.
So wie in allen Ländern verteilen sich die Patienten auf Spitäler, Pflegeheime und die Hauskrankenpflege. Die Ist-Analysen zeigen eindeutig, dass an vielen Stellen das Problem gar nicht erkannt wird, wenn zum Beispiel Patienten im ambulanten Bereich oder bei Diagnosezentren stundenlang sitzen oder liegen – da denkt auch niemand an ein Umpositionieren. Kurz gesagt heißt auch das: Es wird nicht ausreichend wahrgenommen, wie komplex das Thema ist.
Prävention ist komplex und muss von Betroffenem zu Betroffenem sehr unterschiedlich vorgenommen werden, aber eine gewisse Grundinformation ist einfach notwendig, sonst kommen wir keinen Schritt weiter. Und diese Information brauchen wir zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Dekubitus noch weit weg ist. Das macht es nicht einfacher. Dabei geht es gar nicht um einen hohen Expertenwissensstand, sondern um einfache Basisinformation, denn Dekubitus kann jeden betreffen, nicht nur alte, schwerkranke Menschen!
Hilfsmittel spielen eine große Rolle, aber sie müssen gezielt mit speziellen Pflegetechniken kombiniert angewendet werden. Wir haben derzeit leider einen sehr unübersichtlichen Markt ohne Qualitätskriterien für Produkte. Es gibt sehr viele und qualitativ sehr unterschiedliche Hilfsmittel, da kann weder ein Laie noch eine Fachkraft unterscheiden, was wirklich das Richtige ist! Über ein Handbuch vorhandener Hilfsmittel – mit Qualitätskriterien – wird von der APUPA gemeinsam mit der Branchengruppe der AUSTROMED „Dekubitusprophylaxe und Dekubitusbehandlung“ diskutiert. Es muss ja auch im Sinne der Industrie sein, dass qualitativ hochwertige Produkte richtig zur Anwendung kommen.
Wir wissen, dass die Zahl der Betroffenen steigt, die Ressourcen weniger werden und wir dringend eine Weiterentwicklung brauchen, um die vorhandenen Ressourcen richtig einsetzen zu können. Wir wissen auch, dass sehr viel theoretisches und Erfahrungswissen vorhanden ist, das muss nun strukturiert zusammengetragen und aufgearbeitet werden. Das erfordert eine Zusammenarbeit aller Beteiligten wie Industrie, Spitäler, Hauskrankenpflege, Universitäten und Versicherungsträger sowie auch der Gesundheitspolitik in Österreich. Dazu müssen wir das Rad nicht neu erfinden, aber es muss Schluss sein mit Insellösungen. Schließlich geht es nicht um uns, sondern darum, die Dekubitusrate bei den Betroffenen zu senken, um das Leid und die Schmerzen zu reduzieren. Auch wenn eine vollständige Dekubitusvermeidung nicht erreichbar ist, wage ich zu sagen, jeder Dekubitus, der in Österreich entsteht, ist zu viel.
Es geht nicht darum, mehr zu fordern, sondern einfach auf allen Ebenen und Bereichen des Gesundheitssystems lösungsorientiert zu handeln.