„Die Gesellschaft muss innovativ denken“

Durch die kommenden EU-Verordnungen für Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika werden einheitliche Regelungen innerhalb Europas umgesetzt werden. Patientensicherheit ist dabei oberstes Gebot. Doch, so fordert die AUSTROMED, die Interessenvertretung der Medizinprodukte-Unternehmen, muss mit Augenmaß und Hausverstand an eine derart umfassende Neuregelung herangegangen werden, um überbordende Bürokratie zu verhindern. Denn zu viel Bürokratie wird wohl kaum dazu beitragen, die Patienten- und Anwendersicherheit zu heben. Im Gegenteil: Es ist bereits jetzt absehbar, dass es die neuen Regulatorien den Innovationen schwermachen, auf den Markt zu kommen. Damit sind nicht nur hochqualifizierte Arbeitsplätze, sondern auch medizinische Innovationen von morgen in Gefahr.

 

 

Innovative Produkte: Bitte warten …

Unternehmen, die in Europa Medizinprodukte herstellen oder in Verkehr bringen, benötigen eine Konformitätsbewertung durch eine sogenannte „Benannte Stelle“. In der Durchführungsverordnung der EU-Kommission Nr. 920/2013 wurden mit dem Ziel, die Anwendungssicherheit von Medizinprodukten zu steigern, die Anforderungen an Benannte Stellen von Medizinprodukten drastisch erhöht. Das hat neben der Halbierung der Benannten Stellen in Europa bis heute zur Folge, dass die einzigen zwei Benannten Stellen in Österreich ihre Tätigkeit eingestellt haben. Mit dem Wegfall der beiden österreichischen Benannten Stellen ist die heimische Medizinprodukte-Branche auf Zertifizierungen durch ausländische Institute angewiesen. Das bedeutet eine massive Verschlechterung für viele Start-ups sowie Klein- und Mittelbetriebe, die durch diesen Standortnachteil im internationalen Wettbewerb zurückzufallen drohen. Österreich braucht rasch wieder eine Benannte Stelle. „AUSTROMED fordert daher die Politik auf, hier so schnell wie möglich entsprechende Maßnahmen zu setzen“, betonte AUSTROMED Präsident Gerald Gschlössl anlässlich der kürzlich in Wien abgehaltenen Hauptversammlung der AUSTROMED.

Finanzierung und Erwartungshaltungen abstimmen

Unter dem Titel „Medizinprodukte als Erfolgsbeispiel für den Hochtechnologiestandort Österreich“ fand im Anschluss an die Hauptversammlung im Van Swieten Saal der MedUni Wien eine gemeinsame Veranstaltung von LISAvienna und der Österreichischen Gesellschaft für Biomedizinische Technik (ÖGBMT) statt. In ihrem Begrüßungsstatement bezog sich Gastgeberin DI Dr. Michaela Fritz, Vizerektorin der MedUni Wien, auf die Hemmnisse von Innovation aus Universitäten bzw. Start-ups: „Meist scheitert es an der Finanzierung und den Erwartungshaltungen, die auf beiden Seiten, der Industrie und der Wissenschaft, auseinanderklaffen.“ Die Lösung sieht Fritz in der Bündelung von Kräften.
Als Einleitung zum Thema präsentierte Univ.-Prof. Dr. Oskar Aszmann von der MedUni Wien beeindruckende Details und interessante Hintergründe über die österreichische Entwicklung der international einmaligen Bionic-Hand, die erst durch die Entschlüsselung der Sprache der Hand möglich wurde. Den Markt der Medizinprodukte aus wirtschaftlicher Sicht betrachtete Jürg Zürcher, Managing Partner von Ernst & Young Biotech/Medtech. Er zeigte anhand der Ergebnisse des aktuellen Medtech Reports 2016 auf, dass die Branche vor einem Umbruch und großen Herausforderungen steht: „Dadurch ergeben sich auch enorme Chancen, die gerade innovativen Unternehmen viele Möglichkeiten bieten“, ist Zürcher überzeugt.

Vom Slow Follower wieder zum Innovationstreiber?

In einer Podiumsdiskussion trafen Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik aufeinander und waren sich einig, dass Innovationen nicht immer leicht auf den Weg – sprich in den Markt – zu bringen sind. „Österreich ist in den letzten Jahren vom Innovationstreiber zum Slow Follower geworden. Das hat viele Gründe. Ein wesentlicher Aspekt ist eine mangelhafte Ausbildung. Unser Ziel muss es sein, dass die ganze Gesellschaft beginnt, innovativ zu denken“, wünscht sich Gschlössl.
Sektionschef Mag. Dr. Andreas-Ulrich Schuh aus dem Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft setzt auf positives Denken: „Positive Stimmung ist ein wichtiger Faktor für Innovationen. Die Medizintechnik ist eine wesentliche Säule der Life Science-Strategien. Unser Ziel muss es sein, mit dem enormen vorhandenen Wissen entsprechende Wertschöpfung und Arbeitsplätze zu schaffen. Nun gibt es gerade neue Richtlinien und neue Strukturen. Österreich hat – wie auch andere europäische Länder – bei den Benannten Stellen eine Übergangsphase zu bewältigen. Grundsätzlich handelt es sich um ein EU-Thema. Um das Problem hierzulande rasch zu lösen, ist es wichtig, alle Beteiligten an einen Tisch zu holen.“
Die Frage, wie Innovationen zu bewerten sind, stellt Dr. Herwig Ostermann, Geschäftsführer von Gesundheit Österreich: „Es ist schwierig, den verbesserten Nutzen den jeweiligen Kosten gegenüberzustellen. Viele Entscheidungen finden im Grenzbereich statt und sind daher extrem schwierig. Wichtig ist es, mit den Ressourcen sparsam umzugehen, damit für die wirklich bahnbrechenden Innovationen Mittel zur Verfügung stehen.“

 

 

Auswirkungen auf Inhouse-Products

Die neuen EU-Verordnungen haben nicht nur Auswirkungen auf die Medizinprodukte-Unternehmen, sondern auch auf die universitäre Ausbildung und anwendungsorientierte Forschung. Vor allem die Inhouse-Products sind von den neuen EU-Verordnungen betroffen. „Das hat massive Auswirkungen auf die Ausbildung, da man hier sehr stark auf die Theorie zurückgehen muss und Studenten nur wenig praktische Erfahrung sammeln können. Insgesamt werden Regulatorien dann zum Problem, wenn Produkte vom Markt verschwinden oder innovative neue Produkte Jahre später am Markt ankommen. Das geht dann echt zu Lasten der Patienten. Das müssen wir verhindern“, so Prof. DI Dr. Winfried Mayr, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Molekulare Biowissenschaften und Biotechnologie (ÖGBMT).