Mit der Trennung der Traumatologie und der Orthopädie nehmen wir in Österreich international gesehen einen Sonderstatus ein. Die Unfallchirurgie als Fach in der Form, wie sie in Österreich besteht, gibt es in anderen Ländern nicht. Auch die Orthopädie hat sich sehr eigenständig entwickelt und behandelt degenerative Erkrankungen und Erkrankungen des Bewegungsapparates – also alles vom Stoffwechsel über Tumoren bis zu rheumatologischen Erkrankungen. „Positiv hervorzuheben ist hier natürlich, dass Österreich durch diese Spezialisierung in beiden Fächern eine Vorreiterrolle einnimmt. Unfallchirurgie auf dem Niveau, wie es hierzulande betrieben wird, gibt es sonst nirgends. Auch für die Orthopädie kann das wohl gesagt werden“, betont Univ.-Prof. Dr. Stefan Nehrer, Dekan der Fakultät für Gesundheit und Medizin an der Donau-Universtität Krems und Leiter des Zentrums für Regenerative Medizin.
Seit einigen Jahren steht allerdings die Forderung im Raum, ein orthopädisches Fach zu schaffen, das auch international kompatibel ist. Derzeit kann sich ein österreichischer Unfallchirurg beispielsweise nicht für ein Primariat in Deutschland bewerben, denn dort wurden Orthopädie und Unfallchirurgie vor fünf Jahren fusioniert. Außerdem ist dank der Tatsache, dass es immer weniger Unfallopfer gibt, der unfallchirurgische Bedarf rückläufig, wodurch diese Ressourcen in dem Ausmaß nicht mehr gebraucht werden. International sind Orthopädie und Traumatologie in einem Fach zusammengefasst, während Schwerverletzte von Notfallmedizinern, zum Beispiel einem Anästhesisten, versorgt werden, der dann die passenden Chirurgen hinzuzieht. Auf EU-Ebene soll der sogenannte Emergency Surgeon eingeführt werden, der in eigenen Notfallzentren Schwerverletzte im Kontext eines multidisziplinären chirurgischen Ansatzes behandelt. In der Schweiz beispielsweise gibt es derzeit zwölf derartige Zentren, in denen sich Teams aus Neuro-, Thorax-, Gefäß-, Bauchchirurgen und Plastikern um Notfälle kümmern.
Es gab also verschiedene Begründungen und Intentionen, die beiden Fächer zusammenzuführen. 2014 werden die Gesetze zur Ärzteausbildung auslaufen und müssen reformiert werden. Im Zuge dieses Reformprozesses waren die Gesellschaften für Orthopädie und Unfallchirurgie dazu aufgefordert, die Fächer neu zu strukturieren. Angesichts der fehlenden Internationalität und der sich verändernden Versorgungsstrukturen – Rückgang der Unfälle bei gleichzeitiger Zunahme der altersbedingten degenerativen Erkrankungen um 15% in den kommenden fünf Jahren – lautete der klare Auftrag des Ministeriums: Zusammenlegung der beiden Disziplinen. Derzeit überschneiden sich etwa 20% des Feldes. Keine Übereinstimmung gibt es z.B. in der gesamten Kinderorthopädie oder bei der Problematik der Stoffwechselerkrankungen wie Osteoporose, Chondrokalzinose, die Rheumachirurgie etc. „Wir sind daher davon ausgegangen, dass eine reine Zusammenlegung des Faches, wie es in Deutschland betrieben wurde, für uns nicht passt“, so Nehrer. „Dort gab es einige Übergangsbestimmungen mit Anrechnungsprüfungen. Das hat natürlich dazu geführt, dass in manchen Bereichen überindiziert operiert wird. Nehmen wir als Beispiel Hüftschmerzen, die oft LWS-Probleme sind. Wenn ich aber nicht genau um die Funktion der LWS Bescheid weiß, kommt es natürlich zu falschen Entscheidungen. Also wollten wir unbedingt darauf bestehen, wenn die Fächer zusammengelegt werden sollen, dann muss die Kompetenz vorhanden sein.“
Daher wird es in Österreich keine Fusion von Orthopädie und Unfallchirurgie geben, sondern es wird das neue Fach Orthopädie und Traumatologie geschaffen. Innerhalb dieses Faches soll es die Möglichkeit zur Spezialisierung auf Unfallchirurgie geben. „Gleichzeitig wollen wir auch eine Strukturänderung durchführen. An den vielen bestehenden unfallchirurgischen Abteilungen und Departments werden leichter Verletzte weiterhin betreut, Schwerverletzte sollen künftig aber zentralisiert an interdisziplinären Notfallzentren versorgt werden“, führt Nehrer die derzeitigen Pläne aus, die noch vom Ministerium und den Ländern zu prüfen sind.
Eine Schwierigkeit ist hier noch, dass beispielsweise in Niederösterreich Abteilungen teilweise bereits zusammengeschlossen wurden. So gibt es einen orthopädischen Verbund um St. Pölten herum und auch in Mödling und Baden gibt es eine Unfallchirurgie, die Orthopädie mitmacht. „Diese sind also schon ohne diese Voraussetzungen teilweise in diese Richtung gegangen, sodass wir ein bisschen unter der Macht des Faktischen leiden“, so Nehrer abschließend.
EXPERTENUMFRAGE
ZUM THEMA: Die Zukunft der Orthopädie und Unfallchirurgie
Wie sollen sich die beiden Fächer Unfallchirurgie und Orthopädie gemeinsam weiterentwickeln?
Dr. Andreas Greslehner: Wir gehen einen neuen Weg, der im Gegensatz zum bundesdeutschen Modell steht. In Deutschland wird die Zusammenlegung von beiden Seiten als nicht sehr zufriedenstellend gesehen. Bei uns wird vom Bundesministerium und beiden Gesellschaften eine gemeinsame Ausbildung eines neuen Faches Orthopädie/ Unfallchirurgie angestrebt – beginnend ab nächstem bzw. übernächstem Jahr. Ein solcher Facharzt muss sowohl über eine breit gestreute Ausbildung als auch über eine Spezialisierung verfügen. Was die Aufgaben des neuen Sonderfaches sein werden, wird offen zu diskutieren sein.
Dr. Thomas Holzgruber, Präs. Dr. Peter Niedermoser: Österreich ist eines der ganz wenigen Länder in der EU, in dem diese beiden Fächer nicht in einem Sonderfach zusammengefasst sind. Trotz der Trennung in zwei Sonderfächer ist die in Österreich gewachsene Aufgabenverteilung der beiden Fächer über weite Teile ihrer Tätigkeitsbereiche analog, sodass der politische Auftrag erging, ein gemeinsames neues Sonderfach zu etablieren.
Prim. Dr. Andreas Pachucki: Die beiden Sonderfächer sind sehr große Fächer mit einem enormen Volumen an Ausbildungsinhalten und können sicherlich nicht im Sinne einer Zusammenlegung abgehandelt werden. Im nunmehr eingeschlagenen und seitens des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) unterstützten Weg soll die Basisausbildung die häufigsten Diagnosen aus beiden Bereichen umfassen; bereits im Rahmen der Ausbildung sollen zwei frei wählbare Module eine gewisse Spezialisierung ermöglichen. Ziel muss es sein, einen Facharzt für Orthopädie und Traumatologie auszubilden, welcher in einem Grundversorgungskrankenhaus das breite Spektrum an Muskuloskelettalchirurgie abdecken kann und auch eine Basisnotversorgung eines Polytraumas mit dem Ziel der Transferierung an ein übergeordnetes Traumazentrum beherrscht.
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager:Die Entwicklung der beiden Fächer sollte so gestaltet werden, dass die hohe Expertise dieser Fachrichtungen nicht nur erhalten, sondern weiter differenziert und entwickelt werden kann, und zudem aus der Bündelung von Kompetenzen eine weitere Vertiefung in der Diagnostik und Behandlung muskuloskelettaler Erkrankungen resultieren soll.
Welche Ausbildungsinhalte soll es in diesem Fach „Orthopädie und Traumatologie“ geben?
Dr. Andreas Greslehner: Es muss eine Grundausbildung aller orthopädischen und unfallchirurgischen Ausbildungsinhalte und darauf aufbauend eine Spezialisierung geben.
Dr. Thomas Holzgruber, Präs. Dr. Peter Niedermoser: Das ist eine Frage der jeweiligen Bundesfachgruppen der ÖÄK und der wissenschaftlichen Fachgesellschaften, die das gemeinsam entwickeln sollen. Die ÖÄK hat gemeinsam mit dem BMG ein Modell für alle Fachrichtungen entwickelt, in welchem für jedes Fach eine fachspezifische Grundkompetenz definiert werden muss, die jeder Facharzt dieses neuen Faches können muss und durch das dann eine modulare Ausbildung mit sechs Modulen ermöglicht wird. Dieses Modell scheint durchaus auch geeignet, die Ausbildungsinhalte für das neue Sonderfach festzulegen, ohne auf wesentliche Inhalte der beiden bisher bestehenden Fächer zu verzichten.
Prim. Dr. Andreas Pachucki: Wie bereits angeführt soll der Basisfacharzt vor allem die Grundkenntnisse der Extremitäten- und Wirbelsäulenchirurgie inklusive einfacher Endoprothetik beherrschen. Eine Vermittlung dieser Inhalte sollte möglich sein, da ja die Ausbildungsordnung gegenüber der jetzigen deutlich abgeändert wird und die sogenannten Gegenfächer wegfallen werden, sodass die auszubildenden Ärzte fünf Jahre im Hauptfach ausgebildet werden.
o. Univ.-Prof. Dr. Reinhard Windhager: Es ist naheliegend, dass sich die Ausbildungsinhalte am europäischen Facharzt für Orthopädie und Traumatologie, wie er von der UEMS zum Zwecke der europaweiten Harmonisierung vorgeschlagen wurde, orientieren. Dies würde die Migrationsfähigkeit innerhalb der EU gewährleisten und somit Sicherheit für die Zukunft unserer jüngeren Kollegen in Bezug auf Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit bieten.