Die Weltwirtschaft kommt nicht zur Ruhe: War es vor zwei Jahren der Ausbruch der Pandemie, der das System massiv erschütterte und zu einer globalen Rezession führte, so ist es aktuell der Krieg in der Ukraine. Preise für Erdöl und Gas erreichen neue Rekordhöhen und die Finanzmärkte beben. Manche Rohstoffe werden knapp. Das Schwarze Meer ist für Agrarprodukte ein wichtiger Seeweg, doch auch Stahl und Öl werden von dort dem Welthandel zugeführt. Durch den Krieg wurden jedoch wichtige ukrainische Häfen, wie etwa Odessa am Schwarzen oder Mariupol am Asowschen Meer, wo sich auch zwei Stahlwerke befinden, von der russischen Armee blockiert. Gleichzeitig steigt das Risiko, dass Schiffe, die andere Schwarzmeerhäfen anfahren wollen, unter Beschuss geraten. Jede Lieferunterbrechung dieser Güter treibt somit die nach immer neuen Rekordhöhen strebenden Preise weiter an. All das vor dem Hintergrund, dass die globalen Lieferketten durch die Pandemie ohnehin noch immer nicht entspannt, sondern angespannt oder gar gerissen sind.
Verschiedene Unternehmen bekommen die Lieferprobleme bereits drastisch zu spüren: Autohersteller warten auf Kabelbäume und auch die Halbleiterproduktion wird weiter leiden – ein Umstand, der jedes Unternehmen treffen kann, das in die IT-Infrastruktur investieren muss. Neben den Kampfhandlungen belasten auch die von der internationalen Staatengemeinschaft verhängten Sanktionen die Weltwirtschaft. So fahren große westliche Reedereien russische Häfen nicht nur wegen der oben erwähnten Gefahr des Beschusses, sondern aufgrund der Sanktionen nicht mehr an – abgesehen vom Ent- oder Beladen von Medizinprodukten, Arzneimitteln und Lebensmitteln. Westliche Häfen wiederum fertigen Container, die aus Russland kommen oder dorthin gehen sollen, nicht mehr ab. Ein weiterer Grund, der die Normalisierung der globalen Lieferketten in die Ferne rücken lässt.
„Neben den direkt betroffenen Staaten spürt die gesamte Weltwirtschaft die Auswirkungen. Zum einen ist der Handel mit Gütern und Dienstleistungen in diesen Regionen von den Handlungen und den Sanktionen betroffen, was zum anderen aufgrund der Bedeutung Russlands für Rohstoffe, allen voran Energie, auch starke Preiseffekte nach sich zieht“, sagt dazu Stefan Bruckbauer, Chefökonom der Bank Austria.
Auch das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) geht davon aus, dass die Eskalation des Russland-Ukraine-Konfliktes die Wirtschaft im Euroraum vor allem über höhere Energiepreise, aber auch höhere Lebensmittelpreise, treffen wird. Die weiter steigenden Energiepreise werden demnach die Inflation weiter in die Höhe steigen lassen – im Jänner 2022 leisteten die Kosten für Öl, Gas und Co. einen Beitrag von rund 35 % zur österreichischen Inflationsrate, heißt es im aktuellen WIFO Research Brief. Käme es zu einer längeren Unterbrechung von Gaslieferungen ohne einen schnellen Aufbau von Alternativquellen, würden sich spätestens im Spätherbst Knappheiten erwarten lassen, die Auswirkungen auf die Chemie-, Düngemittel-, Pharma- und Kunststoffindustrie und somit auf die Medizinprodukte-Branche haben könnten. Sollte die Gasversorgung für Europa aus Russland abbrechen, seien die bisher prognostizierten 5 % Wirtschaftswachstum heuer „sicher nicht zu halten“, ist WIFO-Chef MMag. Gabriel Felbermayr, PhD überzeugt, der die Gefahr einer Rezession im Raum stehen sieht. Bruckbauers Szenario allerdings geht davon aus, dass es zu keiner weiteren Eskalation im wirtschaftlichen Bereich kommen wird, etwa zu Lieferausfällen bei Energie. Demnach sollten die Energiepreise im zweiten Halbjahr langsam wieder zu sinken beginnen, auch wenn vorläufig nicht mehr auf das Niveau von 2019.
Ob der Konflikt die Weltwirtschaft tatsächlich in eine neuerliche Rezession stürzen wird, hängt nach Ansicht der Experten jedoch vor allem von seiner Dauer ab. Der Konflikt erwischt die Weltwirtschaft jedenfalls zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn sie laboriert nach wie vor an den Folgen der Rezession, in die sie durch den Ausbruch der Corona-Pandemie gestürzt ist – so schrumpfte die Weltwirtschaft 2020 um rund 2,7 %. Denn sowohl die Pandemie selbst als auch die teils rigorosen Maßnahmen, mit denen ihre Ausbreitung verhindert werden sollte, wie Lockdowns, Ausgangs- und Reisebeschränkungen oder Betretungsverbote von Betriebsstätten, hatten gemeinsam mit dem in manchen Bereichen schon damals akuten Rohstoffmangel sowohl zu Produktionsausfällen als auch zu tiefen Rissen in den Lieferketten, etwa durch die Schließungen einiger der größten chinesischen Häfen, geführt.
All das sowie die Tatsache, dass der private Konsum nicht zum Erliegen kam, führte in manchen Bereichen letztendlich zu massiven Lieferengpässen. Dennoch gab es bereits im ersten Halbjahr 2021 wieder kräftige konjunkturelle Lebenszeichen. Wobei nicht alle Volkswirtschaften im selben Ausmaß vom Aufschwung profitieren konnten: Einige Länder, wie etwa die USA und China, haben zwar relativ rasch wieder beim Wirtschaftswachstum das Vorkrisenniveau erreicht oder dieses sogar übertroffen, während die Erholung bei anderen, wie beispielsweise Deutschland, Frankreich oder auch Österreich, deutlich schwächer ausfiel. Doch schon in der zweiten Jahreshälfte verlangsamte sich das Wachstum: Denn Rohstoffknappheit und Lieferverzögerungen beziehungsweise -engpässe sowie neuerlich tiefgreifende Maßnahmen zur Bekämpfung der Omikron-Welle belasten die Konjunktur. Nicht zuletzt führt der global ungleiche Impffortschritt nach Einschätzung der OECD zu einem unausgewogenen Wirtschaftsaufschwung. Angesichts dessen hat der Internationale Währungsfonds IWF noch vor dem Beginn der Ukraine-Krise Ende Jänner seine Prognose nach unten korrigiert: Er geht nun für 2022 von einem Plus des globalen Bruttoinlandsproduktes in Höhe von 4,4 statt 4,9 % aus. Weltweit werden 3,9 % Teuerung, um 1,6 % mehr als im Herbst, prognostiziert. Auch die Vereinten Nationen gehen angesichts der anhaltenden Herausforderungen im Zuge der Corona-Krise von einer Abflachung des globalen Wirtschaftswachstums aus und erwarten für heuer ein Plus von vier und 2023 von 3,5 %. Damit liegt die Prognose deutlich unter der Zahl des vergangenen Jahres, als die Weltwirtschaft den Angaben zufolge und beflügelt vom privaten Konsum um 5,5 % zulegte. Die Verlangsamung gehe dabei vor allem auf die Lage in den USA, China und der EU zurück, wo die Wirtschaft schon Ende 2021 an Fahrt verlor, so die UN.