Ein Fokus der zum Jahreswechsel beschlossenen Gesundheitsreform liegt auf der Digitalisierung. Für ihren Ausbau sollen jährlich 51 Millionen Euro bereitstehen. Dazu braucht es noch eine klare Strategie und smarte Ziele.
Geht es nach Gesundheitsminister Johannes Rauch, soll künftig vor dem Weg zum Arzt eine Handy-App stehen, über die auch die Gesundheitsakte ELGA erreicht werden kann. Die Anwendung soll ebenso Möglichkeiten bieten, Anleitungen zur gesunden Ernährung und Bewegung zu erhalten, sowie per Push-Funktion an Vorsorgeuntersuchungen erinnern. Auch Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky ist überzeugt, dass die Gesundheitsreform eine „digitale Gesundheitsreform“ ist und der Fokus auf vollständigen Gesundheitsdaten sowie der Benutzerfreundlichkeit liegen muss.
Anwender sind digital reif
Es ist unbestritten, dass die Digitalisierung enorme Chancen bietet, die Versorgung von Patienten schneller, besser und kostengünstiger zu gestalten: Gesundheitsapps erleichtern die Prävention, eine Gesundheitshotline lenkt Patienten zum besten Punkt der Versorgung und elektronische Patientenakten können kostspielige Doppeluntersuchungen vermeiden. Daten sind zudem der Schlüssel, das Angebot dort auszubauen, wo auch ein Bedarf sichtbar wird. Schon die Pandemie hat gezeigt, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung für bestimmte digitale Anwendungen rasch erzielt werden kann, wenn auch der Nutzen klar ist. Die in der Gesundheitsreform geplanten Maßnahmen wie der Ausbau der telefonischen Gesundheitsberatung 1450, die Anbindung der Wahlärzte an das e-card- und ELGA-System, eine verpflichtende Diagnosecodierung im niedergelassenen Bereich oder die Einrichtung einer gemeinsamen behördlichen Datenauswertungsplattform sind daher in jedem Fall zu begrüßen.
Experten sind sich einig, dass Österreich über eine solide Basis für die Anwendung von digitalen Lösungen im Gesundheitswesen verfügt, waren wir doch beispielsweise Vorreiter im Hinblick auf die elektronische Gesundheitsakte (ELGA). Was jetzt noch fehlt, ist ein klarer Plan, um die vielen vorhandenen Mosaiksteinchen zu einem großen Bild zusammenzusetzen.
Vorbild Deutschland?
Zur Erarbeitung dieser Strategie beauftragte die Bundes-Zielsteuerungskommission die „Arbeitsgruppe eHealth-Strategie“, die unter dem Vorsitz des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) und unterstützt von der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) den Fahrplan für den Zeitraum von 2024 bis 2030 erarbeitet hat.
Eines der geplanten Ziele ist der Ausbau von ELGA: „Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass es vorab einen Ausbau der Infrastruktur benötigt. Cloudlösungen oder die flächendecke ICD10-bzw. SNOMED Codierung sind enorm relevante Bestandteile dieser Idee. Das kann aber nur funktionieren, wenn Spitäler dazu technisch auf dem neuesten Stand sind, um innovative Lösungen auch zu implementieren“, gibt AUSTROMED-Vorstandsmitglied Ing. Mag. (FH) Christine Stadler-Häbich zu bedenken. Sie weiß aus Erfahrung, dass es hier noch Nachholbedarf gibt, und wünscht sich adäquate Regelungen, etwa nach dem Vorbild des deutschen „Krankenhauszukunftsgesetzes für die Digitalisierung von Krankenhäusern“. Hier werden über vier Milliarden Euro für die Modernisierung von Krankenhäusern ausgeschüttet, um eine bessere digitale Infrastruktur zu errichten. Das sind etwa Patientenportale, elektronische Dokumentation von Pflege- und Behandlungsleistungen, ein digitales Medikationsmanagement und – nicht zu vergessen – Maßnahmen zur IT-Sicherheit. „Eine Strukturreform ist im Hinblick auf die Digitalisierung zahnlos, wenn sie diese Themen nicht abdeckt“, ist Stadler-Häbich überzeugt.
Stiefkind: digitale Anwendungen
„Digital vor ambulant vor stationär“ ist das zentrale Credo der neuen Gesundheitsreform. Ein Weg, der grundsätzlich zu begrüßen ist, doch die Prävention bleibt nach wie vor auf der Strecke. „Hier geht es vorrangig um telemedizinische Angebote, die ja erst greifen, wenn man krank ist. Digitale Gesundheitsanwendungen zur Prävention haben wir noch zu wenige und sie werden auch von der Kasse nicht vergütet“, so die AUSTROMED-Vertreterin. Dennoch: Dass digitale Gesundheitsanwendungen überhaupt in der Gesundheitsreform Platz gefunden haben, ist ein Schritt in die richtige Richtung. „Jetzt braucht es noch den politischen Willen und die Finanzmittel, damit sie auch in die Regelversorgung kommen“, sagt sich Stadler-Häbich.
Noch einen Schritt weiter geht AUSTROMED-Präsident Gerald Gschlössl: „Wenn ich das Verhältnis von Patienten und Sozialversicherung auf eine Kunden-Lieferanten-Beziehung umlege, dann wünsche ich mir mehr aktive Angebote vonseiten der Versicherer. Derzeit sind es die Patienten, die Anträge stellen und um Leistungen fragen. Dieser Spieß muss umgedreht werden, damit uns die Transformation von der Reparaturmedizin zur Prävention wirklich gelingt.“ Für Präventionsangebote sollten auch Innovationstöpfe zur Finanzierung bereitgestellt werden, um den Erkrankungen wirklich einen Schritt voraus zu sein. „Die Sozialversicherung der Selbständigen hat schon gute Beispiele, wie etwa die Initiative ‚Gemeinsam lächeln‘ zur Vorsorge in der Zahngesundheit, ,Geimpft gesünder‘ oder ,Gemeinsam vorsorgen‘. Ein 100-Euro-Bonus ist für Versicherte der Anreiz, sich mit der eigenen Gesundheit aktiv auseinanderzusetzen, Eigeninitiative und Eigenverantwortung wahrzunehmen.“
Personalressourcen als Hemmschuh
Dass es im Gesundheitswesen an vielen Ecken vor allem an Humanressourcen fehlt, ist nicht neu. Hier ortet Gschlössl auch eine Schwachstelle, die aktuelle Digitalisierungsbemühungen zurückwerfen könnte. „IT-Lösungen zu haben ist das eine, aber es muss immer noch Menschen geben, die für die Umsetzung, die Einschulung oder die Wartung verfügbar sind“, ist der AUSTROMED-Präsident überzeugt. Einmal mehr fordert er Innovationstöpfe, um das Denken und Handeln von „extra- und intramural“ auf „gesundheitswesenübergreifend“ zu heben. „Wir benötigen einen Ansatz, der patientenzentriert ist, unabhängig davon, wo im System der Patient ankommt. Das beginnt damit, dass man bei vielen Kassenärzten keine Online-Termine buchen kann, und endet bei Röntgenbildern, die nicht digital zwischen Spital und niedergelassenem Behandler hin- und hergeschickt werden können“, sagt Gschlössl. Er ist überzeugt, dass viele Vorteile der Digitalisierung noch einen langen Weg haben, bis sie beim Patienten wirklich sichtbar werden: „Aktuell beschreibt digital vor ambulant und stationär vor allem die Gesundheitshotline. Gemeint ist damit aber, zu Hause vor ambulant und stationär. Das heißt, Patienten sollen verstärkt auf Homecare-Lösungen zurückgreifen, um das System zu entlasten. Diese werden aber zum Großteil derzeit nicht vergütet“, so Gschlössl.