„Eine große Aufgabe, aber auch eine große Chance“

Prof. Dr. Oskar Kwasny ist stellvertretender Ärztlicher Direktor und Vorstand der Klinik für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie am Kepler Universitätsklinikum Linz. Als Mitglied im ständigen Beirat der Österreichischen Gesellschaft für Unfallchirurgie (ÖGU) hat er maßgeblich am Vorschlag für ein Weißbuch mitgearbeitet, das zukünftig die Strukturen und Qualitätskriterien für eine professionelle, österreichweite Traumaversorgung festlegen wird. Der Entwurf ist auf Bundesebene bereits mit dem Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIT) akkordiert und liegt derzeit zur Begutachtung in den Bundesländern auf. Im Exklusivinterview mit DAS MEDIZINPRODUKT sprach Prof. Oskar über die Notwendigkeit einer Professionalisierung der Polytraumaversorgung in Österreich, Grundzüge des geplanten dreistufigen Versorgungsnetzes nach deutschem Vorbild und regionalen Besonderheiten, die es dabei zu berücksichtigen gilt.

Die Polytraumaversorgung soll in Österreich neu geregelt werden. Was gilt es zu berücksichtigen?

Wir brauchen eine klar strukturierte Versorgung in Form eines Stufenmodells, das nach medizinischen Kriterien aufgebaut, qualitätsgesichert und kontrolliert ist, in dem der Transport der Verletzten entsprechend länderübergreifend koordiniert wird und dem bundesweit einheitliche Ausbildungsrichtlinien zugrunde liegen. Österreich verfügt zwar auch jetzt schon über eine Traumaversorgung, diese orientiert sich aber an Landesgrenzen, manchmal sogar an Bezirksgrenzen. Das ist weder zeitgemäß noch effizient oder gar patientenorientiert.
Ein modernes, umfassendes Polytraumaversorgungskonzept muss unserer Überzeugung nach folgende Kriterien umfassen: medizinische Leitlinien, ein Weißbuch, die Etablierung lokaler Audits, eine regionale Vernetzung sowie ein Traumaregister. In Deutschland sind all diese Elemente längst umgesetzt, in vielen anderen Ländern zumindest teilweise, etwa in den USA oder in Kanada, wo nur noch eigene Leitlinien fehlen. Wir in Österreich haben bislang nichts davon. Es wird zwar schon sehr lange darüber diskutiert, ohne dass dann aber konkrete Schritte erfolgt sind. Ich beziehe mich mit meiner Kritik ausdrücklich auf eine bundesweit flächendeckende Versorgung. Regional erfolgreiche Initiativen gibt es bekanntlich durchaus, ich erinnere nur an das hervorragend funktionierende Polytraumanetzwerk Salzburg. Jetzt sehe ich die einmalige Chance, darüber hinaus auch wichtige Schritte zu einem österreichweit koordinierten und abgestimmten Versorgungsnetz zu setzen. Ich bin sehr optimistisch, dass uns das gelingen wird.

Zum Weißbuch Traumanetzwerk gibt es einen Detailplan von der ÖGU. Wo steht derzeit die Umsetzung?

Wir haben das Weißbuch der DGU, der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie, das 2012 neu aufgelegt wurde und Empfehlungen zur Struktur, Organisation und Ausstattung der Schwerverletztenversorgung in Deutschland enthält, als Ausgangspunkt und Modell für unseren Vorschlag genommen. Manche der dort festgeschriebenen Empfehlungen konnten wir direkt übernehmen, allerdings kann man nicht einfach abschreiben, weil es viele geografische, rechtliche und organisatorische Unterschiede gibt, die entsprechend berücksichtigt werden müssen. Aber es gab zumindest eine Grundlage und Erfahrungswerte, auf denen wir aufbauen konnten. Auf dieser Basis haben wir ein Stufenmodell für eine österreichweite Polytraumaversorgung entwickelt, wie sie den medizinischen Anforderungen idealerweise entsprechen müsste.

Wie sieht dieses Stufenmodell konkret aus?

Wie es dann am Ende der Verhandlungen tatsächlich aussehen wird, weiß ich leider derzeit noch nicht. Das Problem ist ja: Die ÖGU kann nicht sagen, das machen wir so, weil das vernünftig ist. Wir haben in mehreren Vorgesprächen mit der ÖBIG unsere Idealvorstellungen vorgebracht und erklärt, wie es aus unserer Sicht Sinn machen würde, die Polytraumaversorgung in den Österreichischen Strukturplan Gesundheit hineinzuschreiben. Aus der gemeinsamen Diskussion ist dann das erwähnte Stufenmodell entstanden. Dieses liegt jetzt als Vorschlag der ÖBIG in den einzelnen Bundesländern zur Begutachtung auf. Die Länder werden dann entweder zustimmen oder Bedenken äußern, die anschließend wiederum in den Entwurf eingearbeitet werden müssen. Erst wenn der Vorschlag mit allen Ländern akkordiert ist, kann er in den Österreichischen Strukturplan Gesundheit einfließen. Ich hoffe, das wird sehr bald geschehen. Es ist jedenfalls absoluter Wille der ÖGU, den Plan ehestmöglich und flächendeckend umzusetzen. Wie er am Ende im Detail aussehen wird, dazu kann ich aber aus den genannten Gründen derzeit nichts sagen. Ich gehe aber davon aus, dass zumindest einmal der Plan im nächsten halben Jahr abgesegnet ist. Die Umsetzung ist dann wieder eine andere Geschichte.

Wie kann das Stufenmodell aussehen?

Wie schon gesagt, die Fachgesellschaft kann nur Vorschläge über eine effiziente Struktur und medizinische Qualitätskriterien machen – und genau das haben wir getan. Als Strukturkriterien haben wir etwa die Fachdisziplinen definiert, die in den drei Stufen des Modells – Traumazentrum als höchste Versorgungsstufe, Traumaschwerpunkt und lokale Traumaversorgung – vorhanden sein müssen. Wer diese Kriterien erfüllt, wird dann in die einzelnen Stufen hineinfallen, so wird sich automatisch eine gewisse Struktur ergeben. Wir gehen derzeit von plus/minus acht bis zehn Traumazentren aus, die ein österreichweites Netzwerk umfassen wird. Wenn man unsere Kriterien anlegt, wird man von dieser Zahl wohl nicht weit abweichen. Aber das ist nicht als ÖGU-Vorgabe zu verstehen, das ergibt sich dann in der Folge automatisch. Wo in die Struktur investiert wird, ist letztendlich eine budgetäre, also eine politische Entscheidung. Es sind zwar nur ein Prozent aller Patienten Schwerverletzte, aber das sind immer ‚teure‘ Patienten. Die Kosten muss irgendwer budgetär übernehmen.

Wie ist der Stand des Traumaregisters?

Seit zehn Jahren geben wir unsere Daten in das Deutsche Traumaregister ein – oder zumindest manche Abteilungen tun das, leider bei Weitem nicht alle. Ich schätze, es sind derzeit nicht mehr als 25 Prozent der Unfallabteilungen österreichweit. Meine Abteilung ist jedenfalls seit Beginn aktiv mit dabei, wir waren damals die Ersten aus Österreich. Erst langsam werden es mehr. Nur wenn wir es aber schaffen, alle dafür zu gewinnen, könnten wir in der Folge auch aussagekräftige österreichinterne Auswertungen der Daten machen. Technisch wäre das überhaupt kein Problem.

 

Deutsches Traumaregister
Das Trauma ist die häufigste Todesursache bei Menschen bis zum 40. Lebensjahr. In das Deutsche Traumaregister geben derzeit fast 600 Kliniken regelmäßig ihre Daten ein. Bisher wurden so rund 200.000 Fälle dokumentiert. Unter den 35 nicht deutschen Teilnehmern finden sich auch 18 österreichische Abteilungen.