Wie hoch die Erwartungen sind, die von wissenschaftlicher, medizinischer, politischer und öffentlicher Seite in das MedAustron-Projekt gesetzt werden, zeigte sich eindrucksvoll an der Gästeliste anlässlich der feierlichen Übergabe der Ionenquelle. Neben Landeshauptmann Erwin Pröll und 600 hochkarätigen Festgästen – unter ihnen etwa auch Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle – nützten mehr als 10.000 Menschen die Möglichkeit, sich im Rahmen eines Tages der offenen Tür über den aktuellen Stand des Projekts und dessen zukünftiges Leistungsangebot aus erster Hand zu informieren. Der zweitägige Event entwickelte sich zu einem wahren Volksfest.
Konzipiert ist das Projekt MedAustron als interdisziplinäres und überregionales Krebszentrum, das seine Aktivitäten zukünftig auf die Krebsbehandlung mit Ionen, die Erforschung und Weiterentwicklung dieser neuen Therapieform sowie die nicht-klinische Forschung mit Ionen- bzw. Protonenstrahlen fokussieren wird. Derzeit existieren weltweit nur drei vergleichbare Zentren, die wie MedAustron die Strahlentherapie sowohl mit Protonen als auch mit Kohlenstoffionen an einem Ort gemeinsam anbieten.Bei der Ionentherapie handelt es sich um eine innovative Form der Strahlentherapie. Diese Therapieform macht es möglich, die Strahlenbelastung des vor dem Tumor gelegenen gesunden Gewebes zu senken und die dahinter befindlichen Bereiche fast vollständig strahlungsfrei zu halten. Dadurch können Nebenwirkungen deutlich reduziert werden. Sie ist daher eine optimale Behandlung von Tumoren in der Nähe von strahlenempfindlichen Organen.
Das Projekt ist sowohl hinsichtlich seiner Größenordnung als auch seines Innovationspotenzials durchaus bemerkenswert für heimische Verhältnisse. Das Gesamtbudget beträgt 200 Millionen Euro, ein Drittel davon wurde bereits investiert. Grundlage für das Innovationspotenzial ist eine enge Kooperation mit dem Europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf. Darüber hinaus arbeitet MedAustron mit österreichischen Medizinuniversitäten, der Technischen Universität Wien und Forschungseinrichtungen in der Schweiz, Italien und Deutschland zusammen.
Hochkomplexe Anlagen auf dem neuesten Stand der Technik werden im Kampf gegen Krebs eingesetzt. Viele davon basieren auf innovativer Medizintechnik, die gemeinsam mit universitären und industriellen Partnern neu- oder weiterentwickelt wurde.
Herzstück der Anlage ist die Ionenquelle. Hier werden die für die Bestrahlung verwendeten Teilchen erzeugt. Dazu wird Kohlendioxid bzw. Wasserstoffgas auf extrem hohe Temperaturen erhitzt. Durch elektrische Felder können die positiv geladenen Ionen von den negativ geladenen Elektronen getrennt werden. Die erste Stufe der Beschleunigung der Ionen passiert in einem Linearbeschleuniger. Beim Linac (Linear Accelerator) werden geladene Teilchen auf gerader Strecke durch elektrische Wechselfelder auf 60.000 km pro Sekunde beschleunigt. Als nächste Stufe und zugleich Kernstück der Beschleunigerkette folgt ein Kreisbeschleuniger, das sogenannte Synchrotron. Die vorbeschleunigten Wasserstoff- oder Kohlenstoffionen werden zunächst auf eine Kreisbahn mit einer Länge von rund 80 Metern geführt. Das erreicht man durch starke magnetische Felder, sogenannte Dipole, die geladene Teilchen ablenken und genau im Zentrum eines nur wenige Zentimeter durchmessenden, kreisförmigen Vakuumrohres halten. Anschließend werden die Teilchen auf einem kurzen Streckenabschnitt beschleunigt. Anders als im Linearbeschleuniger kommen die Teilchen immer wieder an dem kurzen Beschleunigungsabschnitt vorbei und können schrittweise bis zur gewünschten Endgeschwindigkeit beschleunigt werden. Die Stärke des Magnetfelds in den Dipolen muss dabei ständig an die Geschwindigkeit der Teilchen angepasst werden. Je schneller das Teilchen, desto höher muss das Magnetfeld sein, um das Teilchen auf derselben Kreisbahn zu halten. 30 verschiedene Typen von Magneten, insgesamt 285 Stück gefertigt aus speziellem Stahl, erzeugen dieses Magnetfeld. Nachdem die Ionen nach vielen Hunderttausenden Umläufen im Synchrotron auf die gewünschte Geschwindigkeit von ca. 200.000 km pro Sekunde beschleunigt wurden, werden sie aus dem Beschleuniger zu den vier Bestrahlungsräumen geleitet und millimetergenau auf den Tumor fokussiert.
Neben drei horizontalen und einem vertikalen Fixstrahl wird auch ein Bestrahlungsraum mit einer sogenannten Protonengantry – einer beweglichen Bestrahlungseinheit – zur Verfügung stehen. Es handelt sich dabei um eine drehbare Stahlkonstruktion, die es ermöglicht, den Ionenstrahl variabel um den ruhenden Patienten zu drehen. Die Gantry hat einen Durchmesser von 7,5 Metern und wiegt etwa 200 Tonnen. Trotz ihrer Größe weist sie eine Winkelgenauigkeit von unter 0,1 Grad auf und leistet mechanische Präzision von 0,3 Millimetern.Für eine erfolgreiche Behandlung ist eine millimetergenaue Positionierung unerlässlich. MedAustron hat dafür – in enger Kooperation mit Buck Engineering und der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg – ein Patientenpositionierungssystem entwickelt. Zum Einsatz kommen speziell adaptierte Industrieroboter mit sieben Achsen, die es erst ermöglichen werden, die Patienten mit einer Präzision im Submillimeterbereich im Bezug zum Therapiestrahl auszurichten. Ein zusätzliches Positionsverifikationssystem ermöglicht zusammen mit dem Positionierungsroboter eine rasche, millimetergenaue Ausrichtung des Patienten am Behandlungsplatz mittels Röntgenbildern. Vor jeder Bestrahlungsfraktion werden mithilfe des integrierten Ring-Imaging-Systems röntgenologische Kontrollaufnahmen erstellt. Auf Basis dieser Bilder wird nochmals überprüft, ob sich der Patient genau in der beabsichtigten Lagerungsposition befindet. Die Kontrollaufnahmen werden softwaregestützt an der Behandlungsworkstation mit den Bestrahlungsplanungsdaten verglichen. Bei einer Abweichung schlägt das System die nötige Korrekturbewegung des Patientenlagerungstisches vor, die neuen Lagerungsdaten müssen manuell bestätigt und an den Patientenlagerungstisch weitergegeben werden. Ein Sicherheitssystem überwacht alle vollautomatischen Bewegungen des Patientenlagerungstisches, des Röntgen-/CT-Systems und aller übrigen Komponenten im Behandlungsraum, um Kollisionen zu vermeiden und so den Patienten zu schützen.
Für die Bestrahlungsplanung wurde ebenso wie für die Steuerung des gesamten Behandlungsablaufes eine eigene Softwarelösung entwickelt, um die komplexe Hardware optimal und individuell auf die Therapiebedürfnisse des einzelnen Patienten abstimmen zu können.
Ende 2015 sollen die ersten ambulanten Behandlungen am MedAustron durchgeführt werden. Im Vollbetrieb sollen bis zu 1.400 Patienten pro Jahr hier behandelt werden.
Ausgestattet mit modernster Technik und Infrastruktur bietet MedAustron aber auch ein interessantes Forschungsumfeld in den Bereichen Experimentalphysik, Medizinische Strahlenphysik und Strahlenbiologie. Wissenschaftler aus dem In- und Ausland werden ab Mitte 2015 die Möglichkeit haben, den Ionenstrahl für ihre klinischen – aber auch nicht-klinischen – Experimente zu nutzen. Außerdem wird das Zentrum auch Ärzten, Medizinphysikern und Technikern zu Ausbildungszwecken zur Verfügung stehen.