Dr. Michael Ludwig, Bürgermeister und Landeshauptmann der Stadt Wien, im Interview. (© PID/Votava) Die Stadt und Wirtschaftskammer haben in einer Zukunftsvereinbarung 2022–2025 ein partnerschaftliches Programm zur Stärkung und Weiterentwicklung des Wirtschaftsstandorts Wien vereinbart. Im Zentrum der Anstrengungen steht nach wie vor die Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise. Einen Fokus richten die Entscheidungsträger auf Gesundheits- und soziale Dienstleistungen unter der Prämisse der allgemeinen Zugänglichkeit, der Versorgungssicherheit und der Kontinuität. Wiens Bürgermeister Dr. Michael Ludwig sieht die Chancen für eine verstärkte nationale und internationale Positionierung Wiens als vielversprechend. Die dazu erforderlichen Arbeitsschwerpunkte reichen von der Benannten Stelle über die Präzisionsmedizin bis hin zur marktnahen Forschung über ein Netzwerk von rund 1.000 Start-ups und 150 Partnern aus Industrie, Forschung und dem Gesundheitsbereich. Im Gespräch gibt er Einblick in das Thema der Versorgungssicherheit mit Medizinprodukten und die Rolle der Länder.
Ist Österreich bzw. Wien aktuell „gut versorgt“, was das Gesundheitswesen betrifft?
In Wien unternehmen wir sehr viel, um die Ansiedlung bzw. Forschung und Entwicklung neuer medizinischer Produkte zu fördern. So entsteht aktuell etwa ein neues Forschungsgebäude für die Krebsforschung, das über 150 Forscher beschäftigen wird. Darüber hinaus wird mit Mitteln aus dem EU-Aufbauplan an der Medizinischen Universität Wien bis zum Jahr 2026 das „Eric Kandel Institut – Zentrum für Präzisionsmedizin“ errichtet. Dieses wird 200 Forschenden nicht nur ideale Rahmenbedingungen bieten, sondern auch die Entwicklung maßgeschneiderter Therapien ermöglichen.
Was bedeutet Versorgungssicherheit im Gesundheitswesen für Sie und welche Rolle spielen dabei Medizinprodukte?
Versorgungssicherheit für die Wiener Bevölkerung ist mir als Bürgermeister besonders wichtig. Wir stehen hier vor großen Herausforderungen, denn globale Lieferketten sind krisenanfällig geworden. Einseitige Abhängigkeiten erweisen sich als riskant. Das ist die Lehre aus der Corona-Pandemie, aber auch aus dem Ukraine-Krieg. Klar ist aber auch, Veränderungen und Entflechtungen sind sehr zeitaufwendig, aber sie müssen passieren. Wir müssen die Produktion von Arzneimitteln und Medizinprodukten künftig wieder stärker nach Europa verlagern.
Welche Rolle der Länder würden Sie sich wünschen?
Die Länder leisten schon jetzt einen großen Beitrag. Aber nun ist in erster Linie der Bund am Zug. Zum Beispiel ist ein gemeinsamer österreichweiter Einkauf von Arzneimitteln und Medizinprodukten anzustreben. Das würde die Versorgungssicherheit deutlich verbessern. Wir brauchen auch strengere Auflagen für Hersteller, Großhandel und Apotheken bezüglich der Vorratslagerung. Mittelfristig sollte die Industrie auch zu mehr Versorgungssicherheit verpflichtet werden. Ein gewisser Anteil der Arzneimittel und Medizinprodukte sollte in Form einer Notreserve zurückhalten werden.
Wo sehen Sie aktuell positive Entwicklungen, wenn Sie an das Thema Versorgungssicherheit denken?
In Sachen Blutplasmaproduktion ist Wien bereits führend: Knapp 9.000 Vollzeit-Arbeitsplätze sind in diesem Bereich tätig. Rund 10% aller weltweit hergestellten Plasmatherapeutika stammen aus Wien.
Was muss aus Ihrer Sicht nun der nächste Schritt konkret sein, um das Thema Versorgungssicherheit in wünschenswerte Bahnen zu lenken?
Seitens der Sozialdemokratie wurde vorgeschlagen, einen Made-in-Austria-Fonds in der Höhe von drei Milliarden Euro zu schaffen. Auf diese Weise könnte man Forschungs- und Produktionsprämien finanzieren, bei deren Beanspruchung sich die Unternehmen verpflichten, einen Teil der neu geschaffenen Produktionskapazitäten für die Verwendung in Österreich zu reservieren. Auch Forschungscluster an Universitäten sollen mithilfe des Fonds gestärkt werden. Ich halte das für einen guten Vorschlag, den man umsetzen sollte.
Angenommen, Sie kommen morgen früh an Ihren Arbeitsplatz und könnten einen ersten Schritt setzen – was wäre Ihr persönlicher Beitrag dazu?
Ich bin oft in direktem Kontakt mit Forschern– zum Beispiel am Vienna Biocenter, wo auch mithilfe von Finanzierung seitens der Stadt der Corona-Gurgeltest entwickelt wurde. Aus diesen persönlichen Gesprächen bekomme ich viel Information aus erster Hand und kann so dazu beitragen, dass der Wiener Forschungsstandort die Unterstützung bekommt, die gebraucht wird.
Wenn wir in einem Jahr das Gespräch noch einmal führen, was soll sich verändert haben?
Ein Jahr ist da fast ein zu geringer Zeitraum, um wirkliche Veränderungen zu spüren. Dafür braucht es einen langen Atem und Anstrengungen auf allen Ebenen. Ich bin aber zuversichtlich, dass uns das gelingen wird.