„Im derzeitigen Vorbereitungstempo wird das neue Regulierungssystem nicht rechtzeitig bereit sein, diese zusätzliche Arbeitsbelastung aufzunehmen“, stellte der Europäische Dachverband der Medizinprodukte-branche, MedTech Europe, kürzlich in einem offenen Brief an die Kommission fest. Ab Mai 2020 werden damit Tausende Medizinprodukte nicht mehr mit EU-Recht konform sein, um weiterhin für Chirurgen, Ärzte, Krankenhäuser und Patienten zur Verfügung zu stehen.
Auch Dr. Thomas Czypionka, Senior Researcher am Wiener Institut für Höhere Studien (IHS), befürchtet, dass es durch die neue EU-Medizinprodukte-Verordnung (MDR) zu Engpässen in der Patientenversorgung kommen wird: „Die Zahl der Benannten Stellen ist zu niedrig. Das wird sich nicht ausgehen, wenn mehr Produkte durch den Zulassungsprozess geschleust werden müssen.“ Für Unternehmen ist es nach Ansicht des Experten schon „5 nach 12“ wenn es darum geht, sich auf das kommende Jahr vorzubereiten. „Im Speziellen wird es jene treffen, die im Digital-Health-Bereich tätig sind, da waren bisher kaum Zertifizierungen erforderlich.“
Aber nicht nur innerbetrieblich sieht Czypionka auf die Geschäftsleitungen und Rechtsexperten Arbeit zukommen. „Der Fachkräftemangel wird deutlich zu spüren sein, weil für die regulatorischen Aufgaben alle, und zwar aus ganz Europa, aus demselben Teich fischen. Behörden benötigen mehr Fachpersonal, Betriebe und Forschungseinrichtungen sowieso, und falls es zur Einrichtung einer Benannten Stelle kommt, sind auch hier Akademiker mit einschlägiger Expertise dringend gefragt“, sagt der Forscher.
Wenig Klarheit herrscht insgesamt noch über die genauen Durchführungsbestimmungen der MDR und IVDR. „Wir wissen bei vielen Formulierungen noch nicht genau, was das in der Praxis genau heißt, etwa wenn Universitäten zu Forschungszwecken Produkte entwickeln oder ab wann bei personalisierten Anwendungen ein abgewandeltes Produkt dann als neues Produkt zuzulassen ist“, beschreibt Czypionka nur einige Beispiele. Gerade in Spitälern ist hier noch viel Bewusstseinsbildung erforderlich, dass die neuen Regelungen eine enorme Auswirkung auf die tägliche Arbeit haben werden.
Aus der Standortökonomie weiß der Experte, dass es jedenfalls Vorteile gibt, wenn die Benannte Stelle rein räumlich näher bei den Kunden angesiedelt ist: „Ein anderer Kulturkreis, Sprachbarrieren und der Aufwand der Anreise machen auch in der digitalisierten Welt einen Unterschied aus.“ Darüber hinaus bringt die Ansiedlung einer Benannten Stelle eine Sogwirkung auf hochqualifizierte Arbeitskräfte mit sich, auch wenn sich diese Einrichtung vermutlich auf einige wenige Produktklassen spezialisieren wird müssen. „Wenn Österreich hier im europaweiten Konzert mitspielen kann, bringt das auf jeden Fall Wertschöpfung ins Land.“ Dass die EU gerne große Würfe hinlegt, hat sie schon bei der Datenschutzgrundverordnung bewiesen. Welche Folgen nun die MDR und IVDR auf die lokale Wirtschaft, die Innovationskraft und die Patientensicherheit haben werden, bleibt über weite Strecken noch offen.