Wo sehen Sie die größten Chancen und Herausforderungen für Unternehmen in der Umsetzung der MDR und IVDR?
Dr. Bernhard Wittmann: Die Chance ist, dass wir noch größeres Vertrauen der Anwender und aller Stakeholder in die Sicherheit der Medizinprodukte generieren können. Herausforderung ist, dass die Umsetzung der regulatorischen Anforderungen vor dem Hintergrund der zur Verfügung stehenden Zeit und der europaweit verfügbaren Ressourcen absehbar fast nicht möglich ist, weder für Hersteller noch für Benannte Stellen oder Behörden.
Dr. Bertram Ober: Die neue MDR und IVDR sind wesentlich detaillierter als die bisherige Gesetzgebung. Aus diesem Grund wird es notwendig sein, sich alle Produkte noch einmal im Detail anzuschauen. Dies ist natürlich auch eine Chance zur Verbesserung. Schwarze Schafe, die sich bisher nur unzureichend an die gesetzlichen Regelungen gehalten haben, werden es nun schwerer haben.
Die aktuell größte Herausforderung sehe ich in der limitierten Verfügbarkeit der Benannten Stellen. Hier könnte es zu Verzögerungen bei der zeitgerechten Ausstellung der notwendigen Zertifikate kommen.
Was wird sich nach 2020/22 für das heimische Gesundheitswesen verändern?
Wittmann: Hoffentlich nichts, außer noch größerer Sicherheit, ausschließlich sichere und wirksame Produkte einzusetzen. Allerdings ist leider auch mit dem Rückzug vieler etablierter Produkte vom Markt zu rechnen, und zwar ausschließlich aus regulatorischen Gründen, nicht weil die Produkte schlecht wären.
Ober: Die vertieften Anforderungen der MDR und IVDR und der damit verbundene höhere Aufwand werden dazu führen, dass manche Unternehmen Probleme bekommen werden, vor allem Nischenprodukte noch weiter zur Verfügung stellen zu können. Inwieweit dies bei den Anwendern zu Problemen führen könnte, ist im Moment sicherlich kaum abschätzbar. Die gesetzlichen Regelungen für die lokalen Anwender der Produkte sind zumeist auch nicht in der MDR und IVDR abgedeckt, sondern werden im Rahmen der nationalen Medizinproduktegesetze vorgegeben. Diese müssen aber aktuell erst noch überarbeitet werden.
Es gibt Studien, die eine drastische Markteinschränkung vorhersagen. Wie beurteilen Sie diese Befürchtungen und sind heimische Unternehmen gut vorbereitet?
Wittmann: Leider muss man diese Befürchtungen teilen. Jedes Unternehmen wird allerdings mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln die bestehenden Produkte regulatorisch betreuen. Was aber eben in der zur Verfügung stehenden Zeit mit mangelnden Ressourcen bei allen Beteiligten – also Herstellern, Notified Bodies und Behörden – nicht immer erfolgreich sein wird…
Ober: Die Hochprioritätsprodukte eines Unternehmens werden auch weiter am Markt verfügbar sein. Die Frage der Verfügbarkeit stellt sich hier nicht. Inwieweit Nischenprodukte weiter zur Verfügung stehen werden, hängt sicherlich auch von den Preisgestaltungsmöglichkeiten im jeweiligen Segment ab, ob hier der zusätzlich notwendige Aufwand vergütet werden kann.
Generell kann ich mir vorstellen, dass es für kleine und mittlere Betriebe unter Umständen schwierig werden kann, die neuen Anforderungen umsetzen zu können.
Was sind Ihre drei konkreten Tipps für Hersteller und Händler von Medizinprodukten, wie sie sich vorbereiten können?
Wittmann: Sich 1) rechtzeitig eine Strategie zurechtzulegen, 2) die erforderlichen Ressourcen bereitzustellen und 3) die zeitgerechte Umsetzung voranzutreiben. Leider ist dies kaum möglich, da sich die Ziele, also die umzusetzenden Maßnahmen und die damit verbundenen Umsetzungszeiträume, soweit überhaupt bekannt, ständig ändern …
Ober:
1) So früh wie möglich mit der Implementierung anfangen. Warten wird die Situation nicht verbessern.
2) Einen stetigen Austausch mit den Benannten Stellen und den Fachverbänden auch zur Interpretation der Anforderungen pflegen, damit hier keine bösen Überraschungen auftauchen.
3) Ausreichend Mittel für die Implementierung zur Verfügung stellen.