DI Georg Schönig: Das Vergaberecht ist eher einseitig für die Auftraggeber geschrieben worden, was grundsätzlich verständlich ist, wenn es um die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen mit öffentlichen Mitteln geht. Einen gewissen Schutz für Anbieter, oder nennen wir es besser eine Rechtssicherheit, im Sinne von garantierten Abnahmemengen oder einer ausreichenden, gesetzlich vorgeschriebenen Gewichtung zwischen Qualität und Preis bei Bestbieterverfahren, vermissen wir leider.
Ulrich Köberl: Die größte Herausforderung seit der Novelle des Vergaberechts ist, dass es durch die Breite der ausschreibenden Stellen schwieriger geworden ist, das richtige Produkt für den Patienten auszuschreiben und damit der Preis in den Vordergrund gerückt ist.
Durch die Novelle sind die Verfahren strenger und vor allem für die Bieter schwieriger geworden.
Der Druck bei den ausschreibenden Stellen ist zunehmend größer geworden und unter dem Deckmantel des Bestbieters wird zum billigsten Anbieter tendiert.
Mag. Katrin Lhotka: Es gibt aktuell sehr unterschiedliche Zugänge oder gar keine Umsetzung des Rechts bei den einzelnen Verfahren. Die Abgrenzung, wer dem Vergaberecht unterliegt, ist trotz einem Verwaltungsgerichtsurteil nicht eindeutig und wird oft sehr unterschiedlich interpretiert.
Der Fokus liegt momentan mehr auf dem rechtskonformen Durchführen der Ausschreibung als auf dem Patientenwohl. Bei zunehmender Komplexität der Ausschreibungen ist es daher kaum verwunderlich, dass oft die Verfahrensexperten, also die Rechtsanwälte, einen höheren Stellenwert als Anwender und Anbieter haben.
Es fehlen die Gesamtperspektive und Lösungsorientierung im Sinne aller Beteiligten. Derzeit ist das Gesetz ist eher ausschreiberfreundlich als bieterorientiert.
DI Georg Schönig: Es ist leider oft die Realität, dass der günstigste Preis dominiert. Den günstigsten Preis kann ein Unternehmen für das einfachste seiner Produkte anbieten, insofern gibt es noch den Spielraum, auf die angebotene Qualität zu verzichten oder keinen Auftrag zu bekommen. Aufgrund der regelmäßigen Wiederholung von Ausschreibungsverfahren in kurzen Zeiträumen, zum Beispiel nach einem Jahr, entsteht eine unaufhaltsame Preisspirale nach unten mit einer unvermeidbaren Qualitätsminderung, die ich vor allem im Gesundheitssektor kritisch sehe.
Ulrich Köberl: Insgesamt ist der „Einfluss“ der Bieter sehr stark reglementiert worden. Anbieter haben im rechtlichen Rahmen zum Beispiel die Möglichkeit, Anfragen zu stellen.
Früher war die Kommunikation zwischen Anbieter ausschreibender Stelle einfacher. Das war ein wichtiger Weg, sich über Produkte überhaupt zu informieren und die Spezifika kennenzulernen. Wer heute gesetzeskonform ausschreiben will, unterliegt hier einem engen Korsett.
Mag. Katrin Lhotka: Der Anspruch des Bieters wären prozessrelevante Kriterien, die für eine Gesamtkostenminimierung beim Auftraggeber sorgen und nicht nur in der jeweiligen Kostenstelle. Es wäre für die Bieter von zentraler Bedeutung, die Gewichtung der Qualität gegenüber dem Preis zu erhöhen.
Wir fordern daher die Einführung eines Mindestprozentsatzes für die Bewertung der Qualität, denn das gewährleistet eine patientenorientierte Vergabe.
Für Bieter empfiehlt es sich, immer auch zu hinterfragen, inwieweit es Möglichkeiten gibt, Alternativartikel anzubieten.
DI Georg Schönig: Erstens müssen wir in unserer täglichen Arbeit als Vertreter von Medizintechnikunternehmen viel öfter betonen, dass die Produkte, die wir liefern, nicht ein „kritischer Kostenfaktor“ sind, sondern dass unsere Produkte täglich heilen helfen, Leben retten und Leben verlängern. Das sollte einen gewissen Wert haben.
Zweitens müssen wir erreichen, dass an allen Stellen im Gesundheitswesen – bis in die Politik – erkannt wird, dass der Einsatz hochqualitativer und innovativer Medizinprodukte nicht nur einen Vorteil für den Patienten darstellt, sondern auch, dass mit diesen Technologien ein zusätzlicher volkswirtschaftlicher Nutzen erzeugt werden kann.
Drittens ist es die Aufgabe der Politik, mit dieser Erkenntnis dafür zu sorgen, dass die vorhandenen Spielräume in den EU-Richtlinien und den nationalen Gesetzen zur öffentlichen Vergabe entsprechend positiv genutzt werden. Eine gesetzlich verankerte Gewichtung bei Vergabeentscheidungen von mindestens 50 % Qualität, bei kritischen Produkten im Sinne von lebenserhaltend, lebensrettend oder besonders innovativ durchaus auch 70 oder 80 %, wäre eine gute Möglichkeit, das zu erreichen.
Ulrich Köberl: Wir bewegen uns in einem sehr sensiblen Markt, denn am Ende geht es um das Leben der Menschen. Wir müssen daher auf verschiedenen Ebenen das Gespräch suchen und immer wieder aufmerksam machen, dass es nicht das Gleiche sein kann, ob Handschuhe für das Reinigungspersonal oder implantierbare Herzschrittmacher gekauft werden.
Natürlich können wir die EU-Gesetzgebung nicht ändern, aber wenn beide Seiten das offene Gespräch suchen – zum Beispiel über eine Plattform wie die AUSTROMED – kann das viel bewirken. „Kommunikation“ heißt das Schlagwort, auch im Vergaberecht!
Mag. Katrin Lhotka: Der Einspruch von Bieterseite ist das gesetzlich vorgesehene Instrument. Auf unserer Wunschliste steht darüber hinaus, dass das Anbieten von Alternativen zulässig sein sollte. Die sachliche und zeitnahe Abwicklung der Fragen muss rasch Klarheit für alle Parteien schaffen. „Less emotion“ muss das Motto sein, denn Anfragen sind derzeit das einzige Rechtsmittel, um diese Klarheit herzustellen. Wer aber Fragen stellt, steht rasch im Verdacht zu kritisieren. Es ist auch wünschenswert, an einer Steigerung der Entscheidungs- und Sachkompetenz der Auftraggeber zu arbeiten.
DI Georg Schönig: Unser Ziel kann nur eine nutzenorientierte Beschaffung nach dem Bestbieterprinzip sein, die, wenn das sinnvoll erscheint, auch den Gesamtnutzen und die Folgekosten eines Produktes sektorenübergreifend bewertet. Gerade im Bereich von innovativen Technologien ist das besonders wichtig. Innovationen können sich nicht mit älteren Technologien in den Stückkosten messen, ihre wirtschaftlichen Vorteile kommen oft in anderen Bereichen zum Tragen. Eine Wundauflage, die länger auf einer Wunde verweilen kann, ist zwar teurer, die Kosten für die Pflegekraft, die den Verband nur halb so oft wechseln muss, können aber deutlich niedriger sein. Ein Herzschrittmacher, der telemetrisch nachgesorgt und monitiert werden kann, kostet zwar mehr, der Patient muss aber nicht zweimal im Jahr, unter Umständen mit einem Krankentransport, zur Routinekontrolle ins Krankenhaus fahren. In Summe ist der Einsatz neuer Technologien oft günstiger. In der Gesamtkostenbetrachtung liegt die Chance der innovativen Technologien für Österreich.
Ulrich Köberl: Standortsicherung und die Wertschöpfung im Land zu halten ist ein großes Thema. Es gibt aktuell bereits die Möglichkeit, nicht nur Produkte, sondern auch Verfahren auszuschreiben. Hier können Unternehmen zeigen, dass sie nicht nur ein Produkt x zum Preis y anbieten, sondern in gesamten Versorgungssystemen denken. Dazu gehören zum Beispiel auch Services vor Ort, bei denen heimische Unternehmen mit einem Standortvorteil punkten können.
Mag. Katrin Lhotka: Auf jeden Fall braucht es eine Erweiterung der Perspektive. Innovationen sollten als entscheidender Faktor zur Standortsicherung in einer Ausschreibungen höher zu bewerten sein.
Wir müssen uns bei Ausschreibungen auf einen zukunftsorientierten Nutzen konzentrieren und nicht nach althergebrachten Mustern entscheiden. Eine prozessorientierte Betrachtungsweise gegenüber der reinen Beurteilung von Stückkosten würde hier viele Vorteile bringen. Wer nachhaltig wirtschaftet, kommt nicht umhin, auch Themen wie den CO2-Verbrauch oder den ökologischen Fußabdruck in einen Kriterienkatalog einzubinden.
Eine Stückelung der Aufträge in Teillose kann hilfreich sein, um die individuellen Bedürfnisse der Patienten zu garantieren.