Forum der Branchengruppen: Meilensteine in der Entwicklung von Medizinprodukten

… aus der Diabetologie

DI Martin Glöckler
Sprecher der Branchengruppe Diabetes

Eine Innovation, die bei Weitem die meisten Menschen als Anwender eines Medizinproduktes erreicht hat, war die Selbstmessung des Blutzuckers bei Vorliegen einer Diabeteserkrankung. Damit gelang ein wichtiger Schritt zur Vermeidung gefährlicher Komplikationen im Falle einer Fehleinschätzung des aktuellen Insulinbedarfes. Der Therapeut schließt aus dem Verlauf der gemessenen Werte, die in einem Tagebuch, im Blutzuckermessgerät oder neuerdings in einer App aufgezeichnet werden, auf die Wirksamkeit und Adhärenz der aktuellen Therapie oder verordnet gegebenenfalls eine Änderung, deren Effektivität wiederum über die Blutzuckerselbstmessung kontrolliert wird.
Das erste Blutzuckermessgerät wurde 1970 vorgestellt. Die Messung erfolgt über einmal verwendbare Teststreifen. Dafür wird Kapillarblut durch Stechen der Fingerbeere gewonnen, das im Testreifen, entsprechend der Glukosekonzentration, Strom fließen lässt. Für moderne Teststreifen reicht eine ganz geringe Menge Blut, sodass das Stechen kaum zu verspüren ist. Jene 5 bis 10 % Diabetiker, deren Produktion körpereigenen Insulins zum Erliegen gekommen ist (Diabetes Typ 1 und fortgeschrittener Diabetes Typ 2) und die bis zu zehnmal täglich ihren Blutzucker zu bestimmen haben, bevorzugen Sensoren zur kontinuierlichen Messung der Glukosekonzentration im Gewebe (FGM- und CGM-Systeme). Von der Krankenkasse bereits zugelassen sind implantierbare Sensoren mit einem Tauschintervall von 180 Tagen. Diese selbst applizierbaren oder vom Arzt implantierten Sensoren, in Verbindung mit einer Insulinpumpe, bilden im Ansatz den ersehnten künstlichen Pankreas.

… aus dem Bereich der ­Verbandsstoffe

Martina Laschet
Sprecherin der Branchengruppe Verbandsstoffe

Die wichtigste Innovation kann nicht an einem Produkt festgemacht werden, es war die Weiterentwicklung der hydroaktiven Wundversorgung. Historisch gesehen, wurden Wunden verbunden, um sie nur von äußeren Einwirkungen zu schützen und das Infektionsrisiko herabzusetzen. Die Erkenntnis, dass die Wundheilung ein dynamischer Prozess ist und sich daher auch die Anforderung an die Funktion des Wundverbandes entsprechend dem Heilungsstadium ändert, hat diese Weiterentwicklung begünstigt.
Mittlerweile steht eine Reihe von interaktiven und bioaktiven Wundauflagen zur Verfügung – das ist sehr wichtig, denn einen für alle Wunden gleichermaßen gut geeigneten Verband gibt es nicht! Hydroaktive bzw. „moderne“ Wundauflagen, stellen ein therapeutisches Prinzip dar und sorgen in jeder Wundheilungsphase für optimale Bedingungen.
Chronische oder schlecht heilende Wunden sind mit einem enormen Verlust an Lebensqualität verbunden und mit zusätzlichen Kosten für die Patienten. Der Wundreport der Initiative Wund?Gesund! hat gezeigt, dass ca. 70 % der Patienten bereits seit einem halben Jahr und länger an einer chronischen Wunde leiden – eine enorme psychische Belastung aufgrund der Schmerzen, der sozialen Isolation im ­Zusammenhang mit der Geruchsentwicklung und zusätzlicher Kosten für begleitende Therapien. Bei Erwerbstätigen kommen die volkswirtschaftlichen Kosten der Arbeitsunfähigkeit hinzu. Durch den Einsatz innovativer Verbandstoffe wird die Wundheilung nachhaltig beschleunigt – die verkürzte Behandlungsdauer bringt eine verbesserte Lebensqualität durch weniger Verbandwechsel, weniger Schmerzen und Geruchsbelästigung sowie eine rasche Wiedereingliederung in den gewohnten Lebensalltag. Außerdem, was nicht unerheblich ist, führt eine Wundversorgung mit modernen Verbandstoffen zu einer finanziellen Entlastung: weniger ­Material- und Personalkosten und weniger Zusatzkosten für die Patienten.
Innovationen müssen einen messbaren Mehrwert für Patienten und Anwender bringen – das bedeutet, Zeit und Kosten zu sparen. Wir müssen Ärzten und Pflegekräften zuhören und beobachten, wie eine Weiterentwicklung unserer Produkte unterstützt werden kann. Ich denke hier einerseits an die Handhabung der Wundauflagen oder an den hygienischen Verbandwechsel und andererseits an digitale Lösungen zur Wunddiagnostik und Wundverlaufsdokumentation. Es ist wichtig, Erfahrungen unter den Wundexperten auszutauschen und permanent zu lernen. © oreste.com

… aus dem Bereich der Prothetik und Implantologie

Thomas Rabara
Sprecher der Branchengruppe Implantate

Die moderne zementfreie Hüftendoprothetik mit minimalinvasiven Zugängen kann als eine der wichtigsten Innovationen im Bereich der Implantate-Chirurgie des Bewegungsapparates genannt werden. Dadurch kann rasch eine Mobilität von Patienten hergestellt werden, das führt zu hoher Patientenzufriedenheit.
Hüftoperationen gehören heutzutage aufgrund langjährig guter Resultate bereits zu Routineeingriffen. Durch kontinuierliche Innovationen auf diesem Gebiet, wie zum Beispiel den vorderen Zugang, wird der Heilungsverlauf maßgeblich beschleunigt und verbessert, was vor allem für Patienten mehr Wohlbefinden und gesteigerte Lebensqualität bedeutet. Zusätzlich sprechen die extrem niedrigen Revisionsraten von 7 bis 9 % nach mehr als 20 Jahren für sich.
Einerseits haben sich in den letzten Jahren die Implantate enorm weiterentwickelt und verbessert, zum Beispiel durch zementfreie Beschichtungen, hochvernetztes Polyethylen mit Vitamin E versetzt oder moderne Keramikpaarungen. Das Zusammenspiel dieser Entwicklungen führt zu einer sehr hohen Langlebigkeit und geringerem Produktverschleiß im Vergleich zu den ersten Generationen von Hüftimplantaten. Andererseits wurden minimalinvasive chirurgische Techniken sowie Frühmobilisierungsprogramme für Patienten entwickelt. Aufgrund moderner Operationstechniken profitieren Patienten von kleineren Narben sowie minimaleren Muskelverletzungen.
Wünschenswert wäre eine stetige Weiterentwicklung im Bereich der Pfannenpositionierung, um den Abrieb im künstlichen Gelenk weiter zu minimieren. Auch stellt sich die Frage, ob und wie weit die Gleitpaarungen noch weiter verbessert werden können. Ich erwarte auch eine Weiterentwicklung im Bereich der „Early-Intervention-Methoden“, um die Notwendigkeit zum Einbau von künstlichen Gelenken zeitlich verzögern zu können.

… aus der In-vitro-Diagnostik

Peter Bottig
Sprecher der Branchengruppe In-vitro-Diagnostik

Die In-vitro-Diagnostik ist eine sehr alte diagnostische Methode, die bereits in der Antike bis spät ins Mittelalter ihre Wurzeln in der Harnbeschau hatte. ­Etwas systematischer geht es dann erst im 19. Jahrhundert weiter, wesentlich auch durch die Entwicklung der Biochemie und erste Bluttests wie zum ­Beispiel Glukosebestimmungen.
Das, was wir heute als In-vitro-Diagnostik erleben, hat mit diesen ersten Ansätzen wenig zu tun. Seit den 60er- und 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts ist die Anzahl der möglichen Tests geradezu explodiert und insbesondere der Automatisierungsgrad der Analysen kontinuierlich gewachsen.
Ein einzelnes Produkt als Meilenstein zu nennen, ist schwierig. Als bahnbrechend sehe ich die Entwicklung der Polymerase-Kettenreaktion (PCR), einer Vervielfältigungsmethode für die DNA im Jahr 1983. Diese biochemische Methode hat schlussendlich die Entschlüsselung des menschlichen Genoms ermöglicht. Die PCR ermöglicht Gensequenzierung und stellt damit eine Basis für die molekulare Diagnostik dar. Krankheitsursachen können dadurch auf genetischer Basis identifiziert werden und dies bildet einen der Schlüssel zur personalisierten Medizin, die heute ein wesentlich zielgerichteteres therapeutisches Schema für viele Krankheiten, vor allem auch Krebs, ermöglicht.
Patienten profitieren durch diese zielgerichtete Therapie enorm, da „ihre“ Erkrankung nicht nach Schema F, sondern ganz gezielt bekämpft wird. Dies führt zu wesentlich besseren Therapieerfolgen. Schlussendlich rücken so Diagnose und Therapie unter dem Stichwort „Companion Diagnostics“ immer enger zusammen.
In den nächsten Jahren erwarte ich mir weitere Entwicklungen in der Molekulardiagnostik, aber auch viel mehr Bedeutung von „Big Data“.