Die Gefährdung von Beschäftigten im Gesundheitswesen durch scharfe und spitze Instrumente, die mit biologischen Arbeitsstoffen – egal welchen Ursprungs – kontaminiert sind, ist seit Langem bekannt. Schon in einem Jahresbericht der Arbeitsinspektion vor ca. 20 Jahren wird auf solche Unfallgeschehen eingegangen. Doch nicht nur die in Gesundheitsberufen tätigen Menschen sind von Nadelstichen betroffen, sondern auch das berufliche Umfeld wie Reinigungs- und Entsorgungsfirmen, Beschäftigte in der Wäscherei oder der Küche, sogar die Gärtnerei oder die Haustechnik. Neben den körperlichen und auch psychischen Folgen für Betroffene verursacht ein Nadelstich oder eine Verletzung mit kontaminierten Instrumenten auch erhebliche Kosten für die Allgemeinheit. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, wenn versucht wird, darauf mit gesetzlichen Regelungen Einfluss zu nehmen.
So trat im Jahr 2013 die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zum Schutz der Arbeitnehmer/innen vor Verletzungen durch scharfe oder spitze medizinische Instrumente (Nadelstichverordnung, NastV) – mit einer sehr langen „Einstellungsphase“ – als Umsetzung der Richtlinie des Rates 2010/32/EU zur Durchführung der von der European Hospital and Healthcare Employers’ Association (HOSPEEM) und dem Europäischen Gewerkschaftsverband für den Öffentlichen Dienst (EGÖD) geschlossenen Rahmenvereinbarung zur Vermeidung von Verletzungen durch scharfe/spitze Instrumente im Krankenhaus- und Gesundheitssektor, ABl. Nr. L 134, S. 66, vom 1. Juni 2010, in Kraft und hat zu heller Aufregung im gesamten betroffenen Bereich geführt.
Die Aufregung kommt relativ spät, denn bereits seit dem Inkrafttreten der Verordnung über biologische Arbeitsstoffe (VbA) im Jahr 1998 wären zur Expositionsvermeidung schneidende und stechende Arbeitsgeräte durch solche zu ersetzen gewesen, durch die keine Verletzungsgefahr mehr besteht.
Wenn man die Texte der Verordnungen vergleicht, ist in der NastV gegenüber der VbA keine wesentliche Verschärfung der gesetzlichen Bestimmungen eingetreten, es wurden die Forderungen nur konkreter auf den medizinischen Bereich ausformuliert, wie zum Beispiel das Recapping-Verbot.
Die Sinnhaftigkeit der Einführung von Sicherheitssystemen erscheint nicht diskutabel, alle gängigen Studien bescheinigen einen Rückgang der Stichverletzungen nach der Einführung. Ein scheinbarer Anstieg am Anfang der Einführungsphase ist oft darauf zurückzuführen, dass durch die Schulungen und Unterweisungen der Wissensstand aller Betroffenen steigt und dadurch häufiger auch eine Meldung des Unfalls erfolgt. Bei den Stichverletzungen wird eine Dunkelziffer von nicht gemeldeten Unfällen von ca. 70 % vermutet, dabei wird im niedergelassenen Bereich eine noch höhere angenommen, da in den Krankenhäusern und Ambulatorien eine niederschwellige Möglichkeit für die Meldung von Unfällen und Beinaheunfällen vorhanden ist. Einzelberichte und Daten aus Umfragen legen nahe, dass die Einschätzung eines geringen Risikos und die wahrscheinliche Selbstversorgung von Verletzungen zu einem „Underreporting“ der Ärzte führen.
Die Arbeitsinspektion hat nach Einführung der NastV über einen langen Zeitraum eine Beratungsphase durchgeführt, bei der alle Krankenhäuser und auch der niedergelassene Bereich – dort war ein Unfall ein Auswahlkriterium – ausführlich beraten und über die gesetzliche Lage informiert wurden. Die erforderlichen Maßnahmen wurden notwendigenfalls mit einer Aufforderung aufgetragen.
Der erste Schritt ist, zu prüfen, ob unbedingt ein stechendes oder schneidendes Instrument erforderlich ist. Wenn dies der Fall ist, muss man sich auf dem Angebotsmarkt umsehen, ob Instrumente mit integriertem Sicherheitsmechanismus verfügbar sind, die dem Bedarf entsprechen. Gibt es kein geeignetes Instrument, so ist im Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument festzuhalten, welche anderen Maßnahmen zur Vermeidung von Stich- und Schnittverletzungen getroffen werden. Kein medizinischer Bereich ist von vornherein von der Verpflichtung ausgenommen und das Risiko ist jeweils für einen Bereich individuell zu bewerten.
Unabhängig davon, ob es ein Instrument mit integriertem Sicherheitsmechanismus gibt oder nicht – folgende Schritte können nie fehl am Platz sein:
Die Entscheidung, welcher Schutzmechanismus für das jeweilige Anwendungsgebiet der richtige ist, kann am besten in Zusammenarbeit mit den Anwendern, den Hygienikern und den Präventivfachkräften getroffen werden.
Durch die Gespräche bei Unfallerhebungen wurden oft von Betroffenen, vor allem im Bereich der Krankenhäuser und Ambulatorien, fehlende Schulung und Information über die Produkte genannt. Weiters wurde auch in einigen Fällen eine Fehlfunktion der Schutzmechanismen vermutet.
In dem Zusammenhang wäre zu erwähnen, dass auch im Medizinproduktegesetz (§ 8) steht: „Die Produkte müssen so ausgelegt und hergestellt sein, dass die Sicherheit für Patienten, Anwender und Dritte nicht gefährdet ist.“ Wenn ein Anwender feststellt, dass ein Schutzmechanismus nicht richtig funktioniert, wenn er sich wieder aus der Schutzstellung bewegt oder ein Instrument für die vorgesehene Anwendung nicht die entsprechende Tauglichkeit aufweist („wackelige“ Klingen auf Skalpellen mit Sicherheitsmechanismen wurden mehrfach genannt), was liegt näher, als sich einmal mit dem Hersteller in Verbindung zu setzen und auf die störenden Eigenschaften hinzuweisen? Auch die AUSTROMED, Interessensvertretung der Medizinprodukte-Unternehmen, www.austromed.org, ist hierfür ein Ansprechpartner. Nur eine Meldung über Fehlfunktionen oder über Probleme bei der Handhabung kann ein Produkt mit integriertem Schutzmechanismus auch verbessern.
Bei den Unfallerhebungen war auch ein Gutteil der Unfälle durch sogenannte „Entsorgungsfehler“ zu beobachten, wie das Abwerfen einer Nadel in einen ungeeigneten oder in einen überfüllten Entsorgungsbehälter. Diese Stiche sind auf jeden Fall einfach vermeidbar. Aber auch Instrumente mit Schutzmechanismus sind in den für die Entsorgung vorgesehenen Behälter abzulegen!
In allen Einrichtungen sind Menschen unterwegs, die keine stationären Patienten oder Arbeitnehmer sind und auf die kein Einfluss genommen werden kann, die aber auch Spritzen verwenden können, wie etwa Diabetiker. Für die Beschäftigten in der Reinigung, Entsorgung oder Wäscherei bleiben die Schutzvorkehrungen weiter aufrecht, um Stich- oder Schnittverletzungen durch nicht sachgerecht entsorgte Instrumente oder undefinierbare Gegenstände (Stich oder Schnitt, aber man weiß nicht genau, womit) zu vermeiden. Das bedeutet, in keinen Müll- oder Wäschesack oder Abfallsammelbehälter hineinzugreifen, Müll- und Wäschesäcke nicht an den Körper gedrückt zu transportieren und beim Sortieren der Wäsche oder des schmutzigen Geschirrs in der Küche auch auf fehlentsorgte Nadeln gefasst zu sein.
Ein besonderes Kapitel sind dabei Einrichtungen, die nicht als Krankenanstalt oder Gesundheitseinrichtung geführt werden, in denen aber Menschen mit Behinderung oder sehr alte Menschen betreut werden oder die mobile Pflege anbieten. In diesen ist zwar die Einrichtung
Arbeitgeber des dort tätigen ärztlichen Personals bzw. der Schwestern oder Pfleger, stellt aber die medizinischen Instrumente nicht zur Verfügung. Diese werden den Klienten verschrieben und die gängige Verschreibepraxis inkludiert keine Instrumente mit Sicherheitsmechanismus. Sobald die Instrumente aber von den Arbeitgebern zur Verfügung gestellt werden, greift die NastV und es sind, sofern es sich durch die Bewertung des Risikos ergibt, solche mit integriertem Sicherheitsmechanismus zu verwenden. Nicht enthoben ist aber der Arbeitgeber auch in solchen Fällen der Verpflichtung zur Festlegung einer sicheren Arbeitsweise.
Augenmerk sollte man auch der Sterilisation und der Instrumentenaufbereitung von Mehrweginstrumenten schenken – auch hier kommen häufig Verletzungen vor. Vor allem die Zahnmedizin sticht hier heraus, da viele der dort verwendeten Instrumente scharf oder spitz sind. Am Markt sind Boxen zur Unterbringung von Bohrern und Feilen direkt am Behandlungsstuhl erhältlich, mit denen die Instrumente dann in die Sterilisation transportiert werden können, wodurch die Verletzungen beim „Ausklauben“ der Instrumente vermieden werden.
Die Neuerungen sind nicht so einschneidend, wie sie auf den ersten Blick erscheinen. Das Ziel aller im Gesundheitsbereich Tätigen muss immer in erster Linie die Sicherheit und Gesundheit der Patienten sein. Man darf aber auch die eigene Sicherheit und Gesundheit durchaus einmal im Fokus haben, wenn es darum geht, sich an Dinge zu gewöhnen, die letztendlich der Sicherheit von allen Beteiligten dienen.