Herzinfarktpatientinnen werden mitunter weniger effektiv behandelt als Männer, nicht zuletzt weil die Verhaltensweisen von Frauen ein multiples Krankheitsbild aufweisen können. „Dies ist ein Grund, warum ein Herzinfarkt bei Frauen oft zu spät erkannt und therapiert wird“, weiß die diplomierte Pflegeexpertin Ulrike Nigl-Heim, die unter anderem an der Hochschule für Gesundheit Freiburg in der Schweiz lehrt. Hingegen werden bei Männern Symptome, die auf eine Depression hindeuten, vielfach falsch diagnostiziert, gelten doch Depressionen immer noch eher als „Frauenkrankheit“. Allein: Mann und Frau äußern ihre Beschwerden und Bedürfnisse unterschiedlich – einer der wesentlichen Punkte für genderbasierte Pflege.
Das Pflegepersonal sollte die genderspezifischen Unterschiede der verbalen Gewohnheiten kennen, gleichzeitig aber auch bedenken, dass es sich immer nur um Tendenzen handelt: Das Individuum muss immer im Fokus bleiben, schließlich spielen soziokulturelle Prägungen ebenso eine große Rolle. Nigl-Heim dazu: „Ältere Frauen etwa wurden anders erzogen. Das heißt: Das, was Frau oder Mann tut bzw. tun darf, wurde anders gelernt, als das heute der Fall ist.“ Freilich können auch junge Menschen in „alten“ Verhaltensmustern stecken, selbst wenn sich die heutige Generation als emanzipiert bezeichnen darf. Da auch der Bildungshintergrund von Bedeutung ist, kann es durchaus vorkommen, dass ältere Menschen emanzipierter sind als junge, weil sie sich mit genderspezifischen Themen eingehend befasst haben.
„Pflegende müssen soziokulturelle Prägungen erkennen, aber auch Verhaltensweisen gegen den Strich lesen können“, so die Pflegeexpertin. Gender Care setzt also auf verbale und nonverbale Kommunikation. Dass sie sich Zeit nehmen und aktiv zuhören können, sollten Pflegepersonen vor allem Frauen signalisieren, denn diese wollen vielfach über Beschwerden und Bedürfnisse sprechen. Indes falle Männern und älteren Menschen das Sprechen über Gefühle und Emotionen vielleicht schwerer – mit Betonung auf „vielleicht“.
Krankenhausaufenthalte und insbesondere Notfallsituationen sind oft mit stundenlangen Wartezeiten verbunden. Im Rahmen einer Studie wollte Ulrike Nigl-Heim herausfinden, wie das Wohlbefinden der Patienten während langer Wartezeit verbessert werden kann. Einmal mehr zeigten sich genderspezifische Unterschiede: „Männer bevorzugen die Ablenkung durch Elektronik, wie iPad oder E-Book, und bequeme Sitzgelegenheiten. Auf Patientinnen wirken hingegen Farben, Bilder, Pflanzen oder das Plätschern eines Brunnens beruhigend. Vor allem aber ist für Frauen der Kontakt zu Pflegenden oder Ärzten wichtig.“ Und während Männer zur Förderung des Wohlbefindens erfrischende Aromagerüche wie Zitrone präferieren, ziehen Frauen Vanille und leicht blumige Noten vor.