Im März war rasch klar, dass die Gesundheitsversorgung großer Teile der Bevölkerung ohne telemedizinische Anwendung nicht weiterlaufen kann. Was viele Jahre für so manche Entscheidungsträger undenkbar war, wurde über Nacht plötzlich wie selbstverständlich eingesetzt: Krankschreibungen per Telefon, Rezepte kamen via e-card vom Arzt direkt in die Apotheke oder das Arzt-Patienten-Gespräch per Video. „Erstmalig in der Geschichte unseres Landes wurden der Gesundheit alle anderen politischen Bereiche untergeordnet. Gleichzeitig hat die Pandemie einen Schub in der Digitalisierung ausgelöst und die bisher oft artikulierte Skepsis in der Bevölkerung war mit einem Schlag vorbei. Wir haben erlebt, dass Telemedizin nicht nur da ist, sondern auch funktioniert und das Leben in diesen schwierigen Zeiten besser gemacht hat“, bringt es Peter Lehner, Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger, auf den Punkt. Klar ist für den Vorsitzenden der Konferenz der Sozialversicherungsträger auch, dass in Zukunft Gesundheitsthemen mehr denn je als „Teamspiel“ gesehen werden müssen: „Damit diese Lösungen auch künftig weiter funktionieren, braucht es den Schulterschluss von Ärzten, Apotheken, Unternehmen, Patienten der Sozialversicherung und der Politik.“
Wie viele derzeit denkt auch Lehner über die Lehren nach, die wir – zumindest bisher – aus der Krise ziehen können. Die wohl wichtigste formuliert Lehner: „Datennutzung und Datenschutz ist kein Widerspruch und wir dürfen der Digitalisierung durchaus vertrauen.“ So hat man – wohl auch erstmalig in der Geschichte – etwa bei der Definition von Risikogruppen die vorhandenen Sozialversicherungsdaten zum Schutz der Patienten eingesetzt. Die meisten der Betroffenen wurden über entsprechende Medikamente, die eingenommen werden müssen, identifiziert. Diese Personen erhielten Nachricht von der Sozialversicherung, die auf die gesetzliche Möglichkeit hinweist. „Sinnvoll wäre, diese Daten auch für die Forschung freizugeben und damit den Forschungs- und Wirtschaftsstandort zu unterstützen.
“Wie wichtig die Standortstärkung ist, hat sich auch in der Krise deutlich gezeigt. Die Grenzen wurden geschlossen, wichtige Beschaffungsvorgänge von Medizinprodukten damit behindert. „Hier braucht es dringend Verbesserungen und ein Nachdenken in der EU, dass die Abschottung in einem vereinten Europa der falsche Weg ist“, meint Lehner. Durch Engpässe an Medizinprodukten im Hygiene- und Desinfektionsbereich sind zwar sehr rasch kreative Nischen entstanden, doch am Ende wird wohl auch hier die Struktur der heimischen Wirtschaft mit ihren Klein- und Mittelbetrieben ein Hemmnis sein. „Die Ausschreibungen und die Beschaffung muss neu überdachte werden, sonst haben hier kleine Betriebe kaum eine Chance, zum Zug zu kommen“, so Lehner.
Knappe Ressourcen waren in den letzten Jahren immer wieder ein Thema in der Gesundheitspolitik. Dennoch hat sich in der Krise der intra- und extramurale Sektor als stressresistent gezeigt und auch nach Corona wird Gesundheit in einen ökonomischen Rahmen eingebettet sein müssen. „Wir haben gesehen, dass die Ressourcen wichtig sind, damit wir auch künftig sinnvoll planen können. Geld steht weder jetzt noch nach der Pandemie ohne Limit zur Verfügung und Schulden werden in der neuen Normalität auch zurückbezahlt werden müssen. Daher ist es gerade in Krisenzeiten wichtig, auf die Kosten im Gesundheitswesen zu achten und genau zu überlegen, welche Investitionen sinnvoll sind“, ist Lehner überzeugt.
Österreich benötigt jedenfalls eine klare Beschaffungsstrategie, um uns in Zukunft zumindest in Teilen der Gesundheitsversorgung autarker zu machen. „Länder, Bund und Sozialversicherungen müssen zusammenarbeiten, um eine dezentrale Lagerhaltung zu ermöglichen und diese Lager auch sinnvoll bewirtschaften. Zentrallager in Europa können schon helfen, sind aber bei systemkritischen Produkten auch nicht die beste Lösung. In Summe ist die Beschaffung und Lagerhaltung von Medizinprodukten und Medikamenten auch eine Frage von Wirtschaftsgesprächen mit Ärzten und Apothekern sowie Spitalsbetreibern, denn Lagerhaltung sind Kosten“, ist Lehner überzeugt. Strategische Gespräche müssen bald aufgenommen werden, auch wenn derzeit noch vieles unter dem Einfluss der Pandemieentwicklung verschoben wird und sich die Agenden auf aktuelles Krisenmanagement fokussieren.
Damit sichergestellt ist, dass auch all jene Patienten in Krisenzeiten gut versorgt werden, in denen der Fokus des gesamten Gesundheitssystems auf die Bekämpfung einer Pandemie gelenkt ist, hat Lehner einen klaren Ansatz: „Wenn es uns gelingt, ELGA für alle Bereiche durchgängig zu nutzen, dann können wir auch in Krisensituationen viel besser reagieren. Sei es, um Risikogruppen rascher festzulegen oder Screeningmaßnahmen ins Laufen zu bringen. Wir haben viele Gesundheitsdaten, die wir auch nutzen sollten, um die Versorgung gerade in solchen Extremfällen noch weiter zu verbessern. Gesundheit muss auch in ‚guten Zeiten‘ hohe Priorität haben, damit wir uns schlechteren Zeiten darauf verlassen können.“ Für eine Zeit „nach Corona“ wünscht sich Lehner, dass es gelingt, die Ängste vor der Digitalisierung weiter abzubauen und weiterhin am Teamansatz arbeiten: „Gesundheit ist gleichzeitig öffentliche und individuelle Leistung.“