Leitlinien nationaler und internationaler Fachgesellschaften geben dem Betreuungsteam strukturierte Hilfe zur Behandlung des Diabetes mellitus und fokussieren meist in Form von Therapiepfaden auf die Medikamentenoptionen und deren Vor- und Nachteile. Neben diesen Grundlagen für die ärztlichen Empfehlungen müssen Patienten mit Diabetes täglich Entscheidungen treffen, die unmittelbar ihre Lebensqualität und das Risiko für Folgeerkrankungen beeinflussen.
Wenn strikte Therapiepfade über die einzigartige Konstellation des Patienten mit seiner persönlichen Geschichte und Krankheitsanamnese gestülpt werden, stehen Guidelines nicht selten im Widerspruch zur Patientenpräferenz. Dadurch kann die Therapieadhärenz verschlechtert werden.
Die Patientenpräferenz als Kriterium für gemeinsame Entscheidungen ist nur in wenigen Leitlinien verankert. Empfohlene Maßnahmen umzusetzen, liegt am Ende stets beim mündigen Patienten. Im Idealfall kann durch entsprechende Kommunikation und Information Patientenpräferenz und Behandlungsleitlinie in Einklang gebracht werden. Die Wissensübermittlung ist initial notwendig. Im Anschluss können die Informationen und die sich daraus ergebenden Vor- und Nachteile vom Patienten abgewogen werden. Das Ergebnis spiegelt dann die persönliche Vorliebe, die Präferenz des Patienten wieder. Die Komponenten für solch eine individuelle Kosten-Nutzen-Rechnung lassen sich großteils aus den Leitlinien extrahieren. Hierfür ist es von Vorteil, bereits bei der Erstellung dieser Leitlinien die Patienten und ihre Präferenzen einzubeziehen.
In der Diabetesbehandlung ist die Auswirkung der Patientenpräferenz auf den Therapieerfolg auch nur eingeschränkt wissenschaftlich untersucht. In einer Cochrane-Analyse zeigte sich (allerdings bei Nichtdiabetikern) Evidenz für den Einfluss der Patientenpräferenz auf den Therapieerfolg. Patienten, die randomisiert ihrer favorisierten Behandlung zugeteilt worden waren, zeigten eine größere Besserung als Patienten, die nicht ihre bevorzugte Therapie erhalten hatten oder indifferent gegenüber der Therapiewahl waren. Einschränkend sei angemerkt, dass nicht alle Patienten das Konzept des „shared decision making“ annehmen wollen und dies bevorzugen. Der Effekt dieser Maßnahme, also die Einbeziehung des Patienten in die Therapieentscheidung, die über die übliche Information hinausgeht, wird in der Literatur durchaus kontrovers diskutiert. Je nach untersuchtem Kollektiv präferieren aber 16 bis 50 % der Patienten eine weitgehende Entscheidungsbeteiligung. Diese variiert nach soziodemografischen und krankheitsassoziierten Variablen.
Diese Prioritäten werden auch in den Leitlinien diskutiert, sodass Patientenprioritäten und Leitlinien einander nicht ausschließen, sondern bei richtiger Umsetzung in den klinischen Alltag synergistisch zum Erfolg führen können. Therapieentscheidungen müssen also die genannten Faktoren berücksichtigen und von den Patienten zumindest akzeptiert und im besten Fall aktiv unterstützt werden. Dies können Patienten jedoch nur, wenn sie über die Konsequenzen ihrer Entscheidungen entsprechend aufgeklärt sind. Das ärztliche Gespräch ist sicherlich nicht die einzige, aber eine relevante Quelle für diese Informationen zu Vor- und Nachteilen der Substanzen bzw. Therapiemaßnahmen.
An dieser Stelle lässt sich wieder ein Bogen zu nationalen und internationalen Leitlinien spannen. Wenn die Informationen aus diesen Guidelines richtig angewandt werden, stehen diese keinesfalls im Gegensatz zur Patientenpräferenz. Ein strikter Entscheidungspfad ohne Berücksichtigung der individuellen Ziele des Patienten kann jedoch die Effektivität der eingesetzten Maßnahmen verringern.
Die Individualisierung der Diabetestherapie war eine der größten Änderungen der letzten Jahre, sie allein bedeutet jedoch noch nicht automatisch, dass auch die Bedürfnisse des Patienten abgedeckt werden. Wenn die Vorlieben des Patienten erfasst und in die Diskussion über den weiteren Behandlungsplan einbezogen werden, ist bereits ein wichtiger Schritt gesetzt. Am Beispiel der subkutanen Therapieoptionen zeigt sich häufig, wie wichtig dieser Schritt für den Therapieerfolg und die Adhärenz des Patienten ist. Die Barrieren vor Beginn einer solchen Therapie sind häufig und vielfältig, jedoch können diese Hürden meist abgebaut werden, wenn die jeweiligen Befürchtungen verbalisiert und im Rahmen einer fundierten Informationsübermittlung beleuchtet werden.
Aktuelle evidenzbasierte Guidelines in der Hand des klinisch erfahrenen Behandlers stehen bei Einbeziehung des Patienten nicht im Widerspruch zur Patientenpräferenz, sondern können sich gegenseitig positiv beeinflussen. Besonders wertvoll wird dieser Synergismus, wenn Guidelines und Patienten dasselbe Ziel verfolgen: den Erhalt oder die Verbesserung der Lebensqualität trotz chronischer Erkrankung durch eine Bewältigung des Diabetes in allen betroffenen Lebensbereichen und verschiedenen Krankheitsstadien.
Literatur beim Verfasser