„Benannte Stellen“ führen Prüfungen und Bewertungen im Rahmen der vom Hersteller durchzuführenden Konformitätsbewertung durch. Kurz gesagt: Ohne Prüfung gibt es keine Marktzulassung. In Österreich waren bisher die Europaprüfstelle für Medizinprodukte (PMG) der Technischen Universität Graz sowie der TÜV Austria die Ansprechpartner für die Hersteller. Beide haben ihre Tätigkeit als Benannte Stelle eingestellt.
Der Grund dafür waren nicht zuletzt die schärfer werdenden Bedingungen: eine verstärkte Aufsicht vonseiten der Europäischen Kommission, erhöhte Mindestanforderungen, neue Prozesse zur Bewertung der technischen Dokumentation und klinischen Bewertung. Jährliche Überwachungsaudits sowie unangekündigte Audits und Rotationen bei den Auditoren führen zu einer Neuorganisation bei allen Beteiligten. So hat sich die Anzahl der Benannten Stellen in den letzten Monaten in Europa bereits halbiert.
Ursprünglich sollte die Komplexität der Regularien reduziert werden. Der neue Text mit 600 Seiten – also einer Verfünffachung im Vergleich zum Umfang der bisherigen Richtlinien mit rund 120 Seiten – unternimmt dagegen den Versuch einer stärkeren Regelungstiefe mit vielen offenen Baustellen bei der Umsetzung. Dass noch viele Fragen ungelöst sind, bestätigt auch Mag. Alexander Hayn, Vizepräsident der AUSTROMED und Obmann der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) im Bundesgremium des Foto-, Optik- und Medizinproduktehandels, jedoch wurden einige wesentliche Punkte noch rechtzeitig klargestellt. „Eine neue Benannte Stelle nach Österreich zu bekommen ist natürlich das Ziel, aber eher ein Langfristprojekt, denn die verschärften Anforderungen machen etwa drei Jahre Vorlaufzeit realistisch. Das hilft den betroffenen Herstellern, Händlern, aber auch den Anwendern kurzfristig nicht weiter“, resümiert Hayn.
Um die „subjektive Wahrnehmung“ auch mit Fakten zu hinterlegen, hat die WKO eine Mitgliederumfrage gestartet. Das Ergebnis war eindeutig: „Es ist sehr bedenklich, dass einerseits Start-ups gefördert werden, Österreich sich um den Sitz der European Medicines Agency (EMA) bewirbt, aber auf der anderen Seite keine Stelle erhalten bleiben kann, die Konformitätsbewertung für Medizinprodukte im eigenen Land durchführt“, so Hayn. Offen war für die meisten Unternehmen vor allem die Frage, was mit Waren zu geschehen hat, deren Zertifikat ausläuft, die aber bereits auf Lager liegen: „Das betrifft die komplette Supply Chain“, so der Experte. Positive Signale kamen nach Gesprächen dann aber von der Medizinmarktaufsicht: Bereits vor dem 31.1.2017 erstmalig in Verkehr gebrachte Ware kann auch weiterhin verkauft werden (laut § 2 Abs 10 MPG gilt bereits fertige Ware, die sich freigegeben im Ausgangslager befindet, als in Verkehr gebracht).
Die Entspannung ist aber nur kurzfristig spürbar. Mittel- und langfristig heißt das Fehlen der Benannten Stellen, dass Unternehmen erhebliche Mehrkosten haben werden, um innovative Produkte auf den Markt zu bringen. Das Ergebnis wird auch für Einkäufer nicht ohne Folgen bleiben: Die Produktvielfalt und die Zahl der Anbieter werden sich reduzieren, Preiserhöhungen zur Deckung der Mehrkosten sind zu erwarten. Heimische Klein- und Mittelbetriebe können rasch auf Anforderungen der Spitäler reagieren, doch: „Wenn wir hier keine Lösung finden, dann wird sich die Branche ausdünnen und wir werden diese Stärke in Gesamteuropa nicht weiter ausspielen können“, fasst Hayn zusammen.