Heiße Kartoffeln

Was sind aus Ihrer Sicht bis jetzt die wichtigsten Learnings für die Gesundheitspolitik aus den letzten Monaten im Zeichen der Pandemie?

Hofer: In erster Linie einmal, dass Gesundheitspolitik politisch bis zu dieser Pandemie sträflich in ihrer Bedeutung unterschätzt wurde. Für die Bevölkerung hatte sie zwar immer hohe Priorität, dennoch hat das Thema Gesundheit bzw. die Versorgung der Bevölkerung bislang kaum eine öffentliche Rolle gespielt. Wenn, dann war von Dämpfungspfaden die Rede und Einsparungen, die man im System machen müsse. Was natürlich auch offensichtlich wurde, war, dass das zuständige Ministerium nicht für eine solche Aufgabe aufgestellt war und ist. Das ist zwar auch aktuellen Abläufen geschuldet, aber auch der Tatsache, dass die wahre Macht im Gesundheitswesen nie in diesem Ministerium lag. Das Gesundheitsministerium wurde am Beginn der Regierungsbildung von den zuständigen Grünen ja auch – nicht zu Unrecht – bestenfalls als Wurmfortsatz des mächtigen und einflussreichen Sozialressorts gesehen.

 

 

Das Schlagwort „Versorgungssicherheit“ stand oft im Mittelpunkt der Diskussion – wie realistisch kann sich ein Land überhaupt auf derartige Krisen vorbereiten? Und wer ist zuständig?

Da sind wir eben beim Punkt: Die heiße Kartoffel „Versorgung“, also wer sorgt zum Beispiel für die Versorgung des kritischen Gesundheitspersonals mit Schutzausrüstung, wurde hin und her geschoben. Diese Krise müsste man jetzt schon dazu nutzen, um die Kompetenzen für die Zukunft klar festzu­legen. Dass jeder von uns, auch jede Insti­tution, mit der Situation ab März bis zu einem gewissen Grad überfordert war, ist aber auch klar. Wir sind in unserer Vollkaskogesellschaft ja nicht mehr darauf eingestellt, auch einmal das Chaos managen zu müssen.

Wie kann es die Politik jetzt schaffen, parallel zur Pandemie sinnvolle Vorbereitungen für den weiteren Verlauf zu treffen?

Das ist im laufenden Betrieb natürlich schwierig, denn die Krise ist weder gesundheitspolitisch noch und schon gar nicht wirtschaftlich vorbei. Da sind natürlich alle damit beschäftigt, das Werkl so gut es geht am Laufen zu halten. Das war schon das Problem nach Ibiza, einer ganz anders gelagerten Krise: Im sehr schnelllebigen politischen Alltag kam man gar nicht mehr dazu – bei Ibiza wollte man vielleicht auch nicht –, sich um die tieferen Implikationen der Krise und generellen Reformbedarf zu kümmern. Eigentlich bräuchte es jetzt eine Task Force, oder wie immer Sie das nennen wollen, die sich ausschließlich darum kümmert, die Strukturen auf Dysfunktionalitäten und bessere Abläufe hin zu screenen. Klar ist aber auch, gerade wenn es um Versorgungs- und Produktionsabläufe geht, dass das nicht binnen ein, zwei Jahren umzustellen ist. Die Gefahr ist, dass, wenn die Pandemie erst einmal bewältigt ist, dann auch schnell wieder der Druck in Richtung Veränderungen nachlässt.

 

 

Wie stehen die Chancen, kurz- und mittelfristig auf die Stärkung des nationalen Produktionsstandorts zu setzen? Oder kann diese Problematik nur auf gesamteuropäischer Ebene gelöst werden?

Das ist ja fast dasselbe – Europa ist Inland. Der Produktionsstandort Österreich gehört gestärkt, aber wir haben das Thema auch, wenn auch nicht nur im Bereich Gesundheit, eben schon auf gesamteuropäischer Ebene. Und um ehrlich zu sein: Man hat während der bisherigen Pandemie auch gesehen, wie weit es mit der innereuropäischen Solidarität her ist. Zugleich müsste man medial aber auch die Implikationen eines gestärkten Produktionsstandortes Europa und Österreich sehen. Denn natürlich macht das auch etwas mit den Preisen und in vielen Fällen auch den Produktionsbedingungen. Die sind in Europa – zu Recht – schon anders als in Teilen Asiens. Dieser Debatte haben wir uns bisher nicht gestellt.

 

 

In Ihrem Buch „Wahl 2019“ bezeichnen Sie Politiker als „Getriebene der medialen Berichterstattung“ – hat die mediale Berichterstattung auch die Pandemie befeuert?

Der gerade beschriebene Entscheidungsdruck und das Getriebensein durch die sich täglich überschlagenden Ereignisse ist natürlich Ausdruck davon. Es ist jetzt aber nicht so, dass die Medien die Starken wären, die Politiker vor sich hertreiben. Die Medien waren und sind, gerade aufgrund ihrer ökonomischen Minderausstattung, sehr stark von dieser Krise überfordert. Die Diskussion über mangelhafte und teils widersinnige Verordnungen setzte etwa erst sehr spät und nur mit Zeitverzögerung ein. Man hat, wie in vielen Politikbereichen, also in dieser Zeit schon gesehen, wo Fehlentwicklungen und Defizite bestehen. Die Krise hat diese vielleicht nur noch sichtbarer gemacht.

Angenommen, wir schreiben das „Ende der Pandemie“ – was hat sich in der heimischen Politik verändert?

Das zu prognostizieren wäre Scharlatanerie. Wir wissen ja noch nicht einmal, was da aktuell noch kommt. Kurzfristig wird es sicher einen Trend zu Beständigem und Verlässlichem geben, davon können bis zu einem gewissen Grad auch Amtsinhaber, so sie ihre Sache gut gemacht haben, profitieren. Was langfristige Änderungen angeht, bin ich zurückhaltend. Wenn Sie sich die Reaktion vieler in der Bevölkerung nach den Lockerungen zu Beginn des Sommers anschauen, muss man zumindest die Prognose mancher Zukunftsforscher, die ja gemeint haben, dass sich alles, wirklich alles ändern werde, skeptisch betrachten. Natürlich wird es auch in der Politik in Teilbereichen einen stärkeren Fokus auf mögliche Krisenszenarien geben und wir werden wirtschaftlich noch lange an dieser Krise zu kiefeln haben. Das wird auch zentrale Bereiche wie die Verteilungsfrage neu anfachen. Aber ob, mit Blick auf logische nächste Krisen wie die Auswirkungen der Klimaveränderungen, da wirklich ein breites Umdenken stattfindet, darf doch bezweifelt werden. Dazu ist die weltpolitische Landschaft ja auch viel zu unterschiedlich.

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