Die letzten beiden Jahre haben im Gesundheitswesen viel verändert. Peter Lehner, Obmann der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) und Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger, zieht Zwischenbilanz zu Themen, die uns noch weit über die Pandemie hinaus begleiten werden, wie Transparenz, Harmonisierung oder Digitalisierung. Seine Funktion sieht er als Auftrag: Lobbyist für 8,5 Millionen Versicherte zu sein und ihnen eine Stimme im Gesundheitssystem zu geben, das „viel zu lange zu viel System und zu wenig Gesundheit war“.
Ich bin stolz, dass wir die Feuertaufe bestanden haben und die Reform der Sozialversicherung ein starkes Fundament für eine zukunftstaugliche Sozialversicherung in Österreich bietet. Wir haben jetzt volle zwei Jahre seit der Zusammenlegung der Sozialversicherungen, die uns gezeigt haben, dass wir es auch schaffen, in einer der größten Gesundheitskrisen der letzten 100 Jahre effizient und handlungsfähig zu bleiben. Versicherte mussten zu keinem Zeitpunkt Angst haben, ihre Leistungen nicht zu erhalten. Das schafft Vertrauen und Sicherheit.
Gleichzeitig haben wir auch, so wie jedes anderen Unternehmen, unsere Mitarbeiter durch die Krise bringen müssen, das heißt, auf Homeoffice sowie virtuelle Zusammenarbeit umstellen und bei größtmöglichen Schutzmaßnahmen einen weitestgehend normalen Betrieb gewährleisten. Durch viele Vorarbeiten im Bereich der Digitalisierung waren wir zum Glück darauf sehr gut vorbereitet. Und es hat sich an Beispielen wie der E-Medikation gezeigt, dass die kurzen Wege zwischen den nunmehr fünf anstelle von 21 Trägern die Abstimmungen wesentlich leichter und schneller machen.
Sie war nur das Vorläuferprojekt zum E-Rezept, das wir aktuell ausrollen. Künftig wird damit nicht nur das Rezept elektronisch übermittelt, sondern auch die Prozesse rund um die Verordnung, Einlösung und bis hin zur Abrechnung von Kassenrezepten digitalisiert. Bis Mitte des Jahres sollen alle Ärzte und Apotheker an die Softwarelösung angebunden sein. Damit entstehen nicht nur Vorteile für den Patienten, sondern auch für das gesamte System. Gesundheit ist für mich Mannschaftssport, da müssen alle etwas davon haben!
Wir brauchen mehr Eigenverantwortung in der Bevölkerung, um einen Paradigmenwechsel von einem Reparatursystem hin zu einem Präventionssystem zu schaffen. Das setzt unter anderem auch voraus, dass wir die Gesundheitskompetenz heben und schon im Kindergarten damit beginnen! Wir wissen, dass die Impfung der einzige Weg aus der Pandemie ist, und dennoch kommt das bei der Bevölkerung nicht an. Zudem haben wir im internationalen Vergleich viel weniger gesunde Lebensjahre.
Der Erfolg steht außer Frage: Die Sozialversicherung war vor der Reform eine Dauerbaustelle, die „Südosttangente der Innenpolitik“. Wir haben eine 30 Jahre andauernde Diskussion erfolgreich beendet – mit einem neuen System, das funktioniert.
Die erste Herausforderung ist das „österreichische Gesundheitssystem“. Wir haben klare Aufgabenaufteilungen und diese müssen – auch im Budget – konsequent gelebt werden. Die Gesundheitspolitik muss vorausschauend agieren und darf nicht von momentanen Stimmungslagen abhängig sein. Wir haben eine Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern, die wird verwässert, etwa beim Impfen oder bei der Palliativmedizin. Es gibt hier klare Zuständigkeiten und da werden wir gerne als Zuzahler benutzt. Ich bin aber nicht der Bankomat des Bundes.
Eine weitere Herausforderung ist der medizinische Fortschritt: Personalisierte Medizin heißt auch Kostenexplosion. Daher benötigen wir die Digitalisierung, um damit eine Effizienzsteigerung des Systems zu erzielen. Wir möchten uns für die Versicherten neue, moderne Behandlungsmethoden oder kostspielige Diagnosen leisten können. Auch hier gilt wieder: Gesundheit ist Mannschaftssport!
Damit verbunden ist das Thema der Datennutzung. Wir müssen mit den vorhandenen Daten Mehrwert für die Versicherten schaffen, etwa um Krankheiten früh zu erkennen und rasch zu behandeln. Wir müssen die Daten, die heute dank der Digitalisierung und der neuen Technologien zur Verfügung stehen, sammeln, vernetzen und nutzen. Wichtig ist, Gestalter und Treiber des Wandels zu sein. Nur so können wir ihn in die gewünschte Richtung lenken. Sind wir die Getriebenen, werden uns internationale Tech-Giganten überholen.
Die Harmonisierung der Leistungen ist noch Work in Progress und nicht alle Träger sind gleich weit. Aber wir arbeiten kontinuierlich daran, dass gleiche Beiträge auch zu gleichen Leistungen führen. In der SVS haben wir das bereits geschafft. Die ÖKG arbeitet an vielen Ecken und Enden noch intensiv daran.
Grundsätzlich sehe ich das sehr positiv und bin offen gegenüber den digitalen Gesundheitsanwendungen. Aber die Umsetzung ist nicht so leicht, wie es scheint. Wir brauchen einen Zulassungsprozess für digitale Gesundheitsanwendungen, um die Qualität und die Wirkung sicherzustellen. Es braucht eine Zertifizierung und eine Qualitätssicherung von digitalen Anwendungen, das ist die Voraussetzung für den Einsatz und die Erstattung. Das soll keine mutwillige Verbürokratisierung sein, sondern es muss auch hier die Patientensicherheit im Vordergrund stehen.