Ideen und Umsetzung von Nachhaltigkeit in der Praxis

Ob Kunden, Zulieferer, Mitarbeiter, Gesundheitspersonal oder Patienten – eine zukunftsfähige Lebensgrundlage wünschen sich wohl alle Menschen. Die aktuellen Krisen, die weltweit spürbar sind, verstärken den Wunsch nach stabilen, sicheren und intakten Rahmenbedingungen. „Eine weitreichende sozio-ökonomische Verantwortung erfordert mehr als nur freiwillige Selbstverpflichtungen und punktuelle Maßnahmen einzelner engagierter Betriebe. Internationale Verpflichtungen zum Schutz von Arbeitnehmern und der Umwelt münden daher zunehmend in einheitlichen gesetzlichen Vorgaben, wie etwa den Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette. Unternehmen werden künftig verpflichtet werden, Risikoanalysen durchzuführen, die ihr Verhalten gegenüber Mensch und Umwelt abbilden, sodass der Wunsch nach einer zukunftsfähigen Lebensgrundlage auch für spätere Generationen Realität bleiben kann“, bringt es Mag. Roland Pfleger, AUSTROMED-Vorstandsmitglied, auf den Punkt. Er ist Ansprechpartner für das Nachhaltigkeitsthema in der Interessensvertretung der Medizinprodukte-Unternehmen.
Österreichs Wirtschaft und auch die Medizinprodukte-Branche hat sich schon seit Jahren dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben. In den vergangenen Monaten hat es allerdings noch mehr an Bedeutung gewonnen. Temperaturrekorde, schmelzende Gletscher und Extremwettersituationen sind Zeugnisse des Klimawandels. Zudem landen pro Jahr mehr als zwölf Millionen Tonnen Plastik im Meer – mit verheerenden Auswirkungen auf Tiere, Umwelt und Menschen. Dazu kommen das Abholzen des Regenwaldes, Monokulturen oder der Einsatz von Fungiziden und Pestiziden.
Die Bemühungen, aktiv zu werden, haben jüngst deutlich zugelegt. Wie eine aktuelle Analyse der Strategieberatung Boston Consulting Group zeigt, haben sich bereits sechs von zehn der 100 größten Unternehmen umfassende Klimaschutzziele gesetzt – gegenüber 2021 bedeutet dies ein Plus von 23%. Jedes fünfte Unternehmen – und damit über 50% mehr als im Jahr zuvor – reduziert seinen Treibhausgasausstoß ausreichend, um das Pariser 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Klar zeigen Studien aber auch, dass klein- und mittelständische Unternehmen noch viel Arbeit vor sich haben: Laut dem Beratungsunternehmen EY hat nur ein Drittel dieser Betriebe bereits eine schriftlich verankerte Nachhaltigkeits- und Klimastrategie. 37% gaben an, keine Nachhaltigkeitsstrategie zu haben und auch keine zu planen. Rund vier von zehn Befragten haben überdies keinen Maßnahmenplan, um Klimaneutralität zu erreichen, und planen auch nicht, einen solchen zu erstellen. Und das, obwohl zahlreiche Gesetzesinitiativen, unter anderem die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) oder die EU-Taxonomie, vorhersehbar sind.

Proaktiv handeln

Da die Medizinprodukte-Branche vor großen Herausforderungen steht, engagiert sich die AUSTROMED sowohl auf Ebene des Vorstandes als auch im Rahmen einer neu gegründeten „Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit“ zu diesem Thema. „Die Arbeitsgruppe widmet sich der Aufgabe, faktenbasierte Grundlagen zu schaffen und Wege zur Nachhaltigkeit an die Mitgliedsunternehmen zu kommunizieren“, sagt Sebastian Mörth, Sprecher der Arbeitsgruppe. Ziel ist es, nicht nur über die legistischen Entwicklungen zu informieren, sondern das Thema proaktiv zu bearbeiten. Das heißt zum Beispiel, auf Spannungsfelder hinzuweisen: „Wir wollen als Medizinprodukte-Branche natürlich sozio-ökonomisch verträglich arbeiten, jedoch stehen die Sicherheit der Patienten und die Versorgungsicherheit an erster Stelle unserer Mission“, sind sich Pfleger und Mörth einig. Darüber hinaus will die AUSTROMED als Informationsdrehscheibe besonders den Klein- und Mittelbetrieben praktische Arbeitsunterlagen zur Hand geben, wie die Forderungen aus dem „EU Supply Chain Law“ national sinnvoll umgesetzt bzw. interpretiert werden können.
Schließlich soll ein Know-how-Pool aufgebaut werden, in dem Mitgliedsfirmen ihr bereits erprobtes Wissen austauschen können, wie etwa zum Einsatz von Photovoltaik im Betrieb. „Jedes Unternehmen muss selbst entscheiden, welche Projekte umgesetzt werden und wie die Umsetzung der Vorgaben im Einzelfall ausgestaltet ist. Wir wollen dazu das Rüstzeug zur Verfügung stellen, damit rasch und einfach agiert werden kann und die Betriebe den Fokus auf ihr Kerngeschäft, die sichere Versorgung der Patienten, legen können“, betont Pfleger. „Insgesamt finde ich es schade, dass der Begriff Nachhaltigkeit so inflationär benutzt wird. Das macht die praktische Arbeit nicht einfacher“, sagt Mörth, der sich wünscht, das Thema trotzdem weit zu sehen: „Es gehört viel dazu, vom Produkt über das Unternehmen bis hin zum wirtschaftlichen Umfeld. In der AUSTROMED sind internationale, europäische und österreichische Unternehmen Mitglieder und haben natürlich unterschiedliche Anforderungen. Gleichzeitig muss klar sein, dass Medizinprodukte keine Lifestyle-Gadgets sind, sondern unverzichtbar für das Leben der Menschen.“

Leitfaden konkretisiert Optionen

„Konkret sein“ ist für Mörth und Pfleger das Gebot der Stunde, denn: „Greenwashing unterstützen wir nicht.“ Und das mit gutem Grund, denn quer durch alle Bevölkerungsschichten und Generationen ist das Nachhaltigkeitsthema in den Fokus gerückt. Werbefloskeln und Absichtserklärungen sind nicht mehr genug, um zu überzeugen. Echtes Engagement und sichtbarer Output sind gefragt und das erfordert klare Ziele und ihre konsequente Verfolgung. „Das erfordert auch, dass die Bereitschaft vorhanden sein muss, zu investieren und konkrete Schritte zu setzen. Während früher der Antrieb eher die Gewinnmaximierung war, indem beispielsweise Abfälle verringert wurden, so ist heute der gesellschaftliche Druck weitaus spürbarer Treiber. Die junge Generation fordert Taten statt Worte und macht auch die Dringlichkeit und Dimension des Themas viel deutlicher“, ist Pfleger überzeugt.
Damit die Medizinprodukte-Branche diesem Anspruch gerecht werden kann, wird an einem Leitfaden gearbeitet, der im Frühjahr 2023 vorliegen soll. Der Inhalt reicht vom gesetzlichen Ist-Stand über die Maßnahmen, die on-top gesetzt werden könnten. Ein Glossar soll die wichtigen Begrifflichkeiten abbilden, Literaturtipps sollen helfen, sich rasch in das Thema einzulesen.
Er wird gemeinsam mit der PHARMIG, dem Verband der pharmazeutischen Industrie, erstellt. „Wir arbeiten als Interessensvertretungen zusammen, weil viele grundlegende Aufgaben ähnlich sind. Durch das Bündeln der Ressourcen können wir rascher und zielgerichteter agieren“, sagt Pfleger. „Gerade für Klein- und Mittelebetriebe soll ein breites Aufklärungsangebot geschnürt werden, etwa mithilfe von Checklisten, Workshops und Beratung“, ergänzt Mörth und betont weiter: „Diese Betriebe stehen vor der Herausforderung, dass es meist keine eigenen Rechts- oder Nachhaltigkeitsabteilungen gibt, die sich ausschließlich dem Thema widmen können. Auch das Budget dazu wird in vielen Fällen nicht so einfach locker zu machen sein. Daher wollen wir in der AUSTROMED auch den Wissenstransfer von Konzernen hin zu KMUs fördern, wo vielleicht schon mehr Vorarbeit geleistet wurde oder die Ressourcen da sind, die Herausforderungen strukturiert anzugehen.“
Daher soll auch der gemeinsame Erfahrungsaustausch forciert werden. „Uns ist klar, dass sich bei manchen Projekten die Betriebe nicht in die Karten schauen lassen, aber dort, wo geteilt werden kann, wollen wir die Unternehmen ermutigen, ihre Erfahrungen auch weiterzugeben“, sagt der Sprecher der Arbeitsgruppe „Nachhaltigkeit“. Alle Maßnahmen müssen unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit laufen und das Kerngeschäft nachhaltiger machen, ohne unseren Auftrag, Patienten gut und sicher zu versorgen, zu vernachlässigen. Dazu benötigen wir ein einfaches und vernünftiges System, damit Medizinprodukte-Unternehmen zu überschaubaren Kosten ihre Nachhaltigkeitsbeweise erbringen können.“

Gastkommentar

© tirol kliniken

Mag. Stephan Kostner
Abteilungsleitung Zentraleinkauf (ZEK), Tirol Kliniken Holding

Praktische Projekte mit Mehrwert

Nachhaltigkeit steht auf der Agenda der Geschäftsleitung der Tirol Kliniken ganz oben. Eine Arbeitsgemeinschaft mit sechs interdisziplinären Fachgruppen zu den Themen Mobilität, Verpflegung, Gebäude & Energie, Beschaffung & Ressourcen, Soziale Verantwortung und Kommunikation wurde eingesetzt. 2023 wird eine neue Stabsstelle für Nachhaltigkeit direkt bei der Geschäftsführung geschaffen. In der Fachgruppe Beschaffung und Ressourcen wird versucht, über einzelne Projekte, die häuserübergreifend durchgeführt werden, das Thema Nachhaltigkeit zu verankern und voranzutreiben. Aktuell soll zum Beispiel auf Umweltpapier umgestellt werden. Schwieriger ist es, Nachhaltigkeitskriterien in allen Beschaffungsvorgängen zu verankern. In unseren Ausschreibungen und auch in der Lieferantenbeurteilung haben Nachhaltigkeitskriterien Einzug gefunden. Jedes Produkt hat einen CO2-Fußabdruck, die Tirol Klinken haben das Ziel der CO2-Neutralität. Ein Leuchtturmprojekt ist das Recycling von medizintechnischen Einmalgeräten. Diese Geräte enthalten viele wertvolle Rohstoffe. Hier läuft seit 2020 ein Projekt mit einem Lieferanten mit Einbindung eines lokalen Entsorgers, der die eingesammelten Geräte stoffgerecht dem Recyclingprozess zuführt – ein Projekt, das wir ausweiten wollen. Auch der Verkehr rückt in den Fokus. Durch Erhöhung von Bestelllosgrößen und anderen Aktivitäten ist es uns gelungen, die Anzahl der Anlieferungen deutlich zu senken. Auch ist die Sensibilisierung der Mitarbeiter ein wichtiger Hebel, denn viele kleine Schritte können nur mit deren Hilfe umgesetzt werden.