Seit zweieinhalb Jahren ist der Begriff „Inflation“ in aller Munde. Reden wir alle von derselben Sache?
Unter Inflation wird ein andauernder Anstieg der Preise für Waren und Dienstleistungen verstanden. Gemessen wird das mit dem Verbraucherpreisindex (VPI), für den die Preise der von den privaten Haushalten konsumierten Güter und Dienstleistungen von Statistik Austria erhoben und zu 759 Indexpositionen zusammengefasst werden. Die Inflationsrate eines Monats ist dann die prozentuelle Veränderung dieses Indexwertes gegenüber dem gleichen Monat im Vorjahr.
Das Thema, das Österreich seit Mitte 2021 bewegt, ist die rasant gestiegene Inflationsrate. Warum ist diese hierzulande so hoch?
Schuld sind vornehmlich drei Gründe: 1. die Pandemie und die durch sie bedingte Änderung des Konsumentenverhaltens und die Störung von Lieferbeziehungen, 2. ein Energiepreisschock in Europa, der hauptsächlich durch eine Minderversorgung mit Erdgas aus Russland ab dem Sommer 2021 ausgelöst wurde, und 3. der Ausbruch des Ukrainekrieges.
Und wie lautet dazu die Langfassung?
Die Pandemie mit den Lockdowns hat dazu geführt, dass sich die Nachfrage von den Dienstleistungen hin zum Güterkonsum verlagert hat. Das hat der Industrie bereits Mitte 2021 einen Boom beschert – und die Folge war, dass mehr Rohstoffe und Energie für die Produktion dieser Konsumgüter benötigt wurden. Dadurch haben auch der internationale Warenhandel und der Transport zugenommen. Während Dienstleistungen überwiegend im Inland produziert werden, werden viele Güter oder die dafür notwendigen Rohstoffe und Vorprodukte importiert. Auch das hat die Nachfrage nach Treibstoffen, aber auch nach Hafen- und Schiffskapazitäten und Containern erhöht. Gleichzeitig waren aber die Lieferketten noch gestört. Diese Kombination aus beeinträchtigten Liefernetzwerken und einer höheren Nachfrage war ein Inflationstreiber des Jahres 2021.
Dazu kommt, dass die Rohölfördermenge ab dem Sommer 2020 nicht im Gleichschritt mit der sich rasch erholenden Industriekonjunktur gestiegen ist. Die Folge waren deutlich gestiegene Preise für Treibstoffe, Heizöl und alle anderen auf Mineralöl basierenden Produkte wie Kunststoffe. Zusätzlich sind aufgrund des Baubooms zuerst in den USA die Holzpreise in die Höhe geschossen, danach auch in Europa. Denn die USA haben Holz ab 2021 vermehrt aus Europa importiert. Dadurch sind die Preise für Verpackungen enorm gestiegen.
Der zweite Faktor, der die Inflation befeuert hat, ist im Sommer 2021 eingetreten, als Russland die Erdgasversorgung für Europa eingeschränkt hat – und das zu einer Zeit, als die Nachfrage danach dank der guten Konjunktur hoch war. Verschärft wurde die Situation dadurch, dass in Kontinentaleuropa weniger Atomstrom verfügbar war, da in Frankreich reparaturbedingt und in Deutschland mit dem Ausstieg weniger Atomstrom produziert wurde. Und dann kam noch der Ausbruch des Ukrainekriegs im Februar 2022 als dritter Faktor dazu. Im Sommer 2022 bewirkte eine sehr stabile Hochdruckwetterlage Niedrigwasserstände und höhere Temperaturen in Flüssen sowie weniger Wind, wodurch die Produktion an erneuerbarer Energie geringer ausfiel.
Die Folge war ein massiver Preisanstieg bei Strom, Gas und Erdöl. Und das Resultat?
Dieser Energiepreisschock war der größte Inflationstreiber des Jahres 2022. Wobei sich dieser in Österreich aufgrund der meist auf ein Jahr abgeschlossenen Lieferverträge zwischen Energieversorgern und Endkunden erst ab der Mitte des Vorjahres und damit später als in anderen EU-Ländern deutlicher gezeigt hatte. Zu Jahresbeginn 2022 war Österreich noch unter den Euroraumländern mit der niedrigsten Inflation. Ab Ende 2022 und im ganzen Jahr 2023 war Österreich dann eines der Länder mit der höchsten Inflation in Europa.
Aber die Energiepreise sind doch seit Oktober 2022 auf dem europäischen Großmarkt wieder gesunken?
Ja, aber diese Preissenkungen sind hier bisher nur in sehr geringem Ausmaß und später – erst ab dem Sommer 2023 – angekommen.
Gibt es neben den Energiepreisen noch andere Inflationstreiber?
Ja, die Dienstleistungspreise, die in Österreich stärker gestiegen sind als in der Eurozone. Mit Jahresbeginn 2022 ist die Senkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie und Hotellerie, die es während der Pandemie gab, ausgelaufen. Das wirkte wie eine Steuererhöhung auf die Preise, die teilweise an die Gäste weitergegeben wurde. Ein weiterer Faktor sind die seit dem vierten Quartal des Vorjahres deutlichen Tariflohnanstiege in Österreich. Diese wurden heuer über höhere Arbeitskosten vor allem bei arbeitsintensiven Dienstleistungen über höhere Preise an die Konsumenten weitergegeben. Die Löhne sind so wie Rohstoff- und Energiekosten sowie Mieten ein wichtiger Inflationstreiber.
Das heißt, angesichts der bereits bekannten und zu erwartenden Tariflohnerhöhungen kann man davon ausgehen, dass die Inflation auch im kommenden Jahr nicht spürbar sinken wird?
Wir erwarten einen Rückgang der Inflationsrate von 7,75 % im Jahresdurchschnitt 2023 auf 4 % 2024. Für die Folgejahre gehen wir von einem weiteren Absinken aus. Der 2-Prozent-Zielwert der Europäischen Zentralbank dürfte in Österreich aber erst nach 2025 erreicht werden.
Österreich ist im Hinblick auf die Inflation nach wie vor unter den europäischen Schlusslichtern zu finden. Was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort?
Die Wettbewerbsposition wird dadurch verschlechtert. Unternehmen haben noch mehr Druck, Kosten einzusparen und Rationalisierungspotenziale auszuschöpfen. Das trifft natürlich auch die Medizinprodukte-Branche.
Die Regierung hat einige Maßnahmen gegen die Teuerung gesetzt. Wie wirkt sich das aus?
Vor allem die Folgen der Teuerung auf den Kaufkraftverlust wurde durch Transferzahlen abgefedert. Als direkter Eingriff auf die Preise für die Konsumenten ist vor allem die Strompreisbremse zu nennen. Die öffentliche Hand hätte aber früher und stärker in die Energiepreise für Haushalte und Klein- und Mittelbetriebe eingreifen können.