KI in der medizinischen Forschung

Künstliche Intelligenz (KI) spielt eine immer wichtigere Rolle in der medizinischen Forschung und hat in den letzten Jahren das Potenzial, die Art und Weise, wie Forschende und Gesundheitspersonal Krankheiten verstehen, diagnostizieren und behandeln, verändert. Von der Entdeckung neuer Medikamente über die Genanalyse bis hin zur präziseren Diagnose von Krankheiten – KI verspricht, die medizinische Forschung effizienter und gezielter zu machen. Allerdings bringt der Einsatz von KI auch erhebliche Herausforderungen mit sich, insbesondere im Hinblick auf ethische Bedenken, Datenschutz und die notwendige technologische Infrastruktur.

Moderne Bildanalyse

Eines der herausragendsten Beispiele für den Einsatz von KI ist die Analyse medizinischer Bilder. Algorithmen für maschinelles Lernen (ML) und tiefe neuronale Netze können verwendet werden, um Röntgenbilder, MRTs, CT-Scans und andere medizinische Bilddaten mit hoher Präzision zu analysieren. Diese Systeme sind in der Lage, Anomalien zu erkennen, die Ärztinnen und Ärzten möglicherweise entgehen, und tragen so zur Früherkennung und besseren Diagnose bei. Studien zeigen, dass KI-basierte Systeme in einigen Fällen genauso gut, wenn nicht sogar besser als Menschen in der Erkennung bestimmter Krebsarten wie Haut- und Lungenkrebs sind. Ein weiterer Bereich, in dem KI große Fortschritte macht, ist die Genetik. Mit den enormen Datenmengen, die aus genetischen Sequenzierungen gewonnen werden, können KI-Algorithmen Muster und Anomalien erkennen, die zu einem besseren Verständnis genetischer Erkrankungen führen. Dies ist ein Schlüsselelement der Präzisionsmedizin, bei der Behandlungen auf die genetischen Profile einzelner Patientinnen und Patienten zugeschnitten werden. KI kann auch bei der Optimierung klinischer Studien helfen. Eine der größten Herausforderungen bei klinischen Studien ist die Auswahl geeigneter Patientinnen und Patienten. KI-basierte Systeme können Patientendaten analysieren, um Personen zu identifizieren, die den spezifischen Anforderungen einer Studie entsprechen. Darüber hinaus kann KI helfen, den Fortschritt von Studien in Echtzeit zu überwachen und die Ergebnisse schneller und präziser zu interpretieren.

Aktuelle Herausforderungen

Trotz der erheblichen Fortschritte bringt der Einsatz von KI in der medizinischen Forschung auch eine Vielzahl von Herausforderungen mit sich, die in den kommenden Jahren adressiert werden müssen.

„Die Frage ist nicht, ob wir KI nutzen, sie wird bereits genutzt. Wir haben erhoben, dass wir uns damit etwa zehn Stunden pro Monat pro Person einsparen. Diese Zeit könnten wir in Fortbildungen stecken oder Forschung kosteneffektiver gestalten“, sagt Univ.-Doz. Dr. Siegfried Reich, Geschäftsführer der Salzburg Research Forschungsgesellschaft. Die Herausforderungen sind für den Experten klar: „Es entsteht eine Zweiklassenforschung zwischen Forschenden, die Zugang zu KI-Infrastrukturen haben und damit umgehen können, und jenen, die diesen Zugang nicht haben.“ Er ist auch überzeugt, dass die Gesellschaft damit die Serendipität verliert: „Das Stolpern über eine Sache, nach der man nicht gesucht hat, die aber ein Problem auf überraschende Weise löst, hört sich damit auf. Wir werden den ‚glücklichen Zufall‘ und die menschliche Intuition reduzieren. Wenn zudem Forschende nicht mehr frei entscheiden, woran sie arbeiten, könnten sie ihre Rolle möglicherweise nicht mehr wie gewohnt erfüllen, die Forschungsgemeinschaft könnte uniformer werden, was zu weniger disruptiven Innovationen führen könnte“, malt er ein durchaus kritisches Bild.

Klara Neumayr, PhD-Studentin an der Paris-Lodron-Universität Salzburg im Fachberiet Materialwissenschaften, sieht durchaus Vorteile. „KI steigert die Produktivität enorm, etwa beim Schreiben von Anträgen und wissenschaftlichen Publikationen.“ Ihr Forschungsfokus liegt darauf, wie KI bei der Modellierung komplexer Systeme eingesetzt werden kann. „Das erfordert hohe Rechenkapazität und Zeit, da lässt sich mit KI viel optimieren. Komplexe Simulationen lassen sich schneller und präziser durchführen und ich nutze KI für das Design von Experimenten.“

Der Erfolg von KI-Modellen hängt stark von der Verfügbarkeit und Qualität der Daten ab, auf denen sie trainiert werden. In der medizinischen Forschung ist das besonders kritisch, da medizinische Daten oft fragmentiert, inkonsistent und in unterschiedlichen Formaten vorliegen. Hinzu kommen Beschränkungen durch den Datenschutz. In den nächsten Jahren wird es entscheidend sein, wie Forschende den Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten sicherstellen können, während sie gleichzeitig den Schutz der Privatsphäre der Patientinnen und Patienten gewährleisten.

Viele der fortschrittlichsten KI-Modelle, insbesondere solche, die auf tiefen neuronalen Netzen basieren, sind „Black Boxes“. Das bedeutet, dass es oft schwer nachvollziehbar ist, wie diese Modelle zu ihren Entscheidungen kommen. In der Medizin, wo das Leben von Patientinnen und Patienten auf dem Spiel steht, ist dies besonders problematisch. Forschende, aber auch Anwendende müssen verstehen können, warum ein KI-System eine bestimmte Diagnose oder Behandlung vorschlägt. Die Entwicklung transparenterer und interpretierbarer Modelle wird eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre sein.

Was darf man glauben?

Wenn die Trainingsdaten einer KI überwiegend von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe stammen, werden andere Gruppen unterrepräsentiert. Dies führt zu Verzerrungen in den Ergebnissen. Theresa Ahrens, Leiterin des Departments Digital Health Engineering am Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE), betont etwa, dass „kaum ein Datensatz frei von Bias“ ist und eine vielfältige Datenbasis essenziell für das Training von KI-Systemen im Gesundheitswesen ist. Selbst bei ausgewogenen Daten können Algorithmen durch ihre Struktur oder die Gewichtung bestimmter Merkmale Verzerrungen aufweisen. Dies kann dazu führen, dass bestimmte Symptome oder Krankheitsbilder übersehen oder falsch interpretiert werden.

In der Gendermedizin ist es entscheidend, geschlechtsspezifische Unterschiede zu erkennen und zu berücksichtigen. Ein Bias in KI-Systemen kann jedoch dazu führen, dass solche Unterschiede ignoriert werden: Wenn KI-Systeme auf Daten trainiert werden, die überwiegend von Männern stammen, können sie Symptome, die bei Frauen anders auftreten, nicht korrekt interpretieren. Dies kann zu Fehldiagnosen führen. Beispielsweise äußert sich ein Herzinfarkt bei Frauen oft mit anderen Symptomen als bei Männern, was in der Diagnostik berücksichtigt werden muss. Verzerrte KI-Systeme könnten dann Therapieempfehlungen geben, die für Frauen weniger wirksam oder sogar schädlich sind, da geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medikamentenwirkung nicht berücksichtigt werden.

Regulierung, Zulassung und Infrastruktur

Der Einsatz von KI in der Medizin wirft auch eine Reihe von ethischen Fragen auf. Wer ist verantwortlich, wenn eine KI eine falsche Diagnose stellt oder eine fehlerhafte Behandlung empfiehlt? Diese Frage bleibt noch weitgehend unbeantwortet. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass KI-Systeme, die auf voreingenommenen oder unvollständigen Daten trainiert wurden, bestehende Ungleichheiten im Gesundheitswesen verstärken. In den kommenden Jahren wird es wichtig sein, klare ethische Richtlinien für den Einsatz von KI in der Medizin zu entwickeln.

Die Regulierung von KI-Systemen in der Medizin ist eine weitere Herausforderung. Derzeit gibt es noch keine weltweit einheitlichen Standards für die Zulassung von KI-basierten medizinischen Geräten oder Software. Die Zulassungsverfahren sind oft langwierig und es gibt Bedenken, dass die derzeitigen Regulierungsrahmen nicht in der Lage sind, mit dem rasanten Fortschritt der Technologie Schritt zu halten. In den kommenden Jahren wird es entscheidend sein, flexible und dennoch strenge Regulierungsprozesse zu entwickeln, die Innovationen nicht hemmen, aber gleichzeitig die Sicherheit und Wirksamkeit von KI-Systemen gewährleisten.

Obwohl KI bereits vielversprechende Ergebnisse in der Forschung liefert, bleibt die Integration in die klinische Praxis eine große Herausforderung. Viele Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte sind skeptisch gegenüber dem Einsatz von KI in der Patientenversorgung, sei es aufgrund mangelnden Vertrauens in die Technologie oder weil sie Bedenken haben, dass KI ihre Rolle in der medizinischen Versorgung gefährden könnte. Es wird entscheidend sein, Schulungen und Aufklärung anzubieten, um medizinisches Fachpersonal im Umgang mit KI-Systemen zu schulen und Vertrauen in die Technologie aufzubauen.

Der Einsatz von KI erfordert eine erhebliche technologische Infrastruktur, insbesondere leistungsstarke Rechenkapazitäten und Speichersysteme, um die riesigen Mengen an Daten zu verarbeiten. In vielen medizinischen Forschungseinrichtungen fehlt es jedoch an den notwendigen Ressourcen. In den kommenden Jahren wird es entscheidend sein, in die technologische Infrastruktur zu investieren, um das volle Potenzial von KI in der Medizin auszuschöpfen.